16.1. Lebendige Stunden zvklus
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Hanns von Zobeltitz:
Würde auch er in den Tod gehen, so müßten uns Herr Sudermann nicht ein Schauspiel gab,
die Lästermäuler ihre Schlußfolgerungen ziehen, das das Getriebe der politischen Parteien einmal
Sie stirbt im fünften Akt. Herzkrank, wie
gründlicher ausschöpfte ein wirkliches Zeitbild.
sie ist, braucht sie nut etwas Digitalis zu viel Schade um die in vielen Einzelzügen treffend
zu nehmen. Aber sie darf wieder nur unter ganz
gezeichneten Gestalten, schade um all die geist¬
besonders bühnenwirksamen Umständen sterben,
reichen, überraschenden Wendungen und Gedanken¬
die arme Beate.
blitze! Das Ganze ist doch — so interessant es
Ihr Mann hat nämlich eigentlich auch nur
ist — im Theatralischen stecken geblieben, mehr
noch das eine Interesse, den Slandal zu vermeiden.
ein Kunststück, als ein Kunstwerk. Man bewundert
So kommt er auf die sonderbare Idee, dieser
die erstaunliche Geschicklichkeit, mit welcher der
schlichte, gradlinige Mensch, Richard Völkerlingk
Autor die einzelnen Risse in seinem Bau über¬
mit den Parteihäuptern zu einem Frühstück ein¬
tüncht, man bewundert seine zielsichere Techtk.
zuladen; am Abend wird dann Beate nach seinem
Aber je mehr man in das Gefüge des Dramas
Stammschloß abreisen. Wer sollte nach diesem
einzudringen strebt, desto breiter sieht man die
Freundschaftsfrühstück noch an irgend eine tödliche
Lücken klaffen, desto mehr erkennt man die innere
Entzweiung zwischen ihm und Richard glauben!
Unglaubwürdigkeit des ganzen Konflikts, auf dem
Wer würde es nach diesem Beweis des Verständ¬
es sich aufbaut. Nicht zuletzt an einer Gestalt,
nisses, der Eintracht wagen, die Verleumdung
die ich bisher absichtlich nur gestreift habe — an
dieses Herrn Meixner weiter zu verbreiten!
Richard Völkerlingk. Als ein reifer, fester Mann
Ohne Zweife': bühnenwirksam ist dieser letzte wird er uns geschildert, eine Leuchte, auf welche
Akt in hohem Grade. Es ist unheimlich, wie sich
alle Gutgesinnten all ihre Hoffnungen setzen:
die beiben Todfeinde freundschaftlich antoasten
klug, feurig, ehrgeizig; der Geliebten „hat er ein
um des lieben Scheins willen, wie die arme
neues Leben aufgebaut“, sie ist an ihm, „dem
Beate, den Willen zum Tod im Herzen, lächelnd Großen, erstarkt und gewachsen“; er „denkt an
zwischen ihnen sitzt. Alle mit einer Selbstbe= Pflichten, die anderen an Rechte“. Solch ein Mann
herrschung, wie sie unter solchen Vollblutnaturen kann fehlen — ohne Zweifel. Aber wenn er
eben nur — auf der Bühne möglich ist. Bis fehlt, so zieht er auch die Konsequenzen, läßt sich
dann schließlich die Gräfin mit einer merkwürdigen
nicht von der Last der Erdensorgen festhalten,
Rede von ihnen allen Abschied nimmt. Sterbend
begnügt sich nicht mit der Gewissensberuhigung,
läßt sie das Leben hoch leben! Und da sie sehr
seine Leidenschaft zur Frau des Freundes zur
geistreich ist, kann sie selbst in diesem Augenblick
milden Freundschaft abgedämpft zu haben, schleppt
ein paar tiefgründige Worte sich nicht schenken:
nicht eine öde Ehe und das Bewußtsein der
„Wer lebt denn eigentlich? Wer wagt denn, zu
Schuld ein paar Lustren mit sich herum. Solch
leben? Irgendwo — da blüht was und leuchtet
ein Mann hat nicht die Stirn, einen Tag,
zu uns herüber, und dann schauern wir heimlich
nachdem seine Schuld endlich ans Tageslicht kam,
zusammen, heimlich wie Verbrecher. Das ist alles,
vor der Volksvertretung eine glühen? Rede über
was wir vom Leben haben. Ja, glaubt ihr etwa,
die Heiligkeit der Ehe zu halten oder aus liebem
ihr lebt? Oder ich? —
Parteiinteresse im Hause des anderen, dessen Ehre
Einen Brief hat sie hinterlassen. An ihren
er geschändet, auf dessen Wohl das Glas zu er¬
Mann ist er gerichtet, für den Geliebten ist er
heben. Er handelt! Gut oder schlecht — aber
eigentlich bestimmt. „Ich thue es, weil ich fühle,
er handelt. In „Es lebe das Leben“ jedoch spricht
daß ein Opfer fallen muß. Besser ich, als er —
Herr Richard von Völkerlingk nur. —
denn er hat sein Werk zu vollbringen, ich aber
Das Ensemble des Deutschen Theaters ist
habe mein Leben ausgelebt. So will ich also
nicht ganz auf Dramen zugeschnitten, die in gräs¬
versuchen, ihm zuvorzukommen.“
lichen Salons spielen; die Flüssigkeit des Tons
Richard Völkerlingk wird leben. Er „will
ließ, so schien es mir, bisweilen zu wünschen
nicht, er muß“.
„Leben ... weil ich ... ge¬
übrig. Trotzdem habe ich einige vortreffliche
storben bin.“ Mit dieser echten Bühnenphrase
Leistungen zu erwähnen. Vor allem gab Fräulein
schließt das Drama. Wenn ich mir die Dichtung
Dumont der komplicierten Frau Beate so viel
in die Wirklichkeit übersetzt denken könnte, müßte
Einheitlichkeit und Glaubwürdigkeit, wie wohl
ich freilich fürchten, daß der Märtyrertod Beatens
überhaupt möglich — ein letztes Tüpfelchen auf
ganz vergeblich gewesen ist: denn dieser Richard
dem i fehlte freilich — ihre Beate war mir nicht
Völkerlings würde, wenn er nur einen Schuß
vornehm genug, vornehm im Sinne der ersten
ehrlichen Pulvers wert wäre, den Selbstmord
Gesellschaft; mit glänzenden Matineetoiletten allein
des geliebten Weibes, die gestorben ist, damit er
kennzeichnet man die Gräfin nicht. Als Richard
lebe, nie überwinden, nie etwas Großes leisten,
Völkerlingk sah ich Herrn Sommerstorff, der mit
sondern elend zu Grunde gehen. Graf Michael,
Herrn Sauer abwechselt
der ausgezeichnete
für dessen Glück sie nach ihrem letzten Briefe
Künstler zeichnete mit scharfumrissenen Linien
nebenbei auch stirbt, würde nie vergessen können.
wirklich einen vornehmen, unglücklichen Mann
Und die Kinder, um deren willen sie ebenfalls in
und ging damit, wollte mir scheinen, fast über
den Tod geht? Es wäre doch höchst seltsam,
die Intentionen des Dichters hinaus. Sehr gut
wenn der gescheite Norbert nicht endlich dahinter
war Herr Bassermann in der Rolle des Grafen
käme, daß die Mutter seiner Ellen die Geliebte
Michael; trotzdem es mit dem ostpreußischen Dialekt
seines Vaters war! Und die Partei: müßte es
etwas haperte, war die Gestalt doch wie aus einem
nicht auch für sie
Guß. Auch die Nebenrollen waren gut besetzt —
„Mann über Bordl. der so — heißen:
aber daß eine Bühne vom Range des Deutschen
Schade darum! Schade besonders auch, daß Theaters eine doch immerhin nicht ganz un¬
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Hanns von Zobeltitz:
Würde auch er in den Tod gehen, so müßten uns Herr Sudermann nicht ein Schauspiel gab,
die Lästermäuler ihre Schlußfolgerungen ziehen, das das Getriebe der politischen Parteien einmal
Sie stirbt im fünften Akt. Herzkrank, wie
gründlicher ausschöpfte ein wirkliches Zeitbild.
sie ist, braucht sie nut etwas Digitalis zu viel Schade um die in vielen Einzelzügen treffend
zu nehmen. Aber sie darf wieder nur unter ganz
gezeichneten Gestalten, schade um all die geist¬
besonders bühnenwirksamen Umständen sterben,
reichen, überraschenden Wendungen und Gedanken¬
die arme Beate.
blitze! Das Ganze ist doch — so interessant es
Ihr Mann hat nämlich eigentlich auch nur
ist — im Theatralischen stecken geblieben, mehr
noch das eine Interesse, den Slandal zu vermeiden.
ein Kunststück, als ein Kunstwerk. Man bewundert
So kommt er auf die sonderbare Idee, dieser
die erstaunliche Geschicklichkeit, mit welcher der
schlichte, gradlinige Mensch, Richard Völkerlingk
Autor die einzelnen Risse in seinem Bau über¬
mit den Parteihäuptern zu einem Frühstück ein¬
tüncht, man bewundert seine zielsichere Techtk.
zuladen; am Abend wird dann Beate nach seinem
Aber je mehr man in das Gefüge des Dramas
Stammschloß abreisen. Wer sollte nach diesem
einzudringen strebt, desto breiter sieht man die
Freundschaftsfrühstück noch an irgend eine tödliche
Lücken klaffen, desto mehr erkennt man die innere
Entzweiung zwischen ihm und Richard glauben!
Unglaubwürdigkeit des ganzen Konflikts, auf dem
Wer würde es nach diesem Beweis des Verständ¬
es sich aufbaut. Nicht zuletzt an einer Gestalt,
nisses, der Eintracht wagen, die Verleumdung
die ich bisher absichtlich nur gestreift habe — an
dieses Herrn Meixner weiter zu verbreiten!
Richard Völkerlingk. Als ein reifer, fester Mann
Ohne Zweife': bühnenwirksam ist dieser letzte wird er uns geschildert, eine Leuchte, auf welche
Akt in hohem Grade. Es ist unheimlich, wie sich
alle Gutgesinnten all ihre Hoffnungen setzen:
die beiben Todfeinde freundschaftlich antoasten
klug, feurig, ehrgeizig; der Geliebten „hat er ein
um des lieben Scheins willen, wie die arme
neues Leben aufgebaut“, sie ist an ihm, „dem
Beate, den Willen zum Tod im Herzen, lächelnd Großen, erstarkt und gewachsen“; er „denkt an
zwischen ihnen sitzt. Alle mit einer Selbstbe= Pflichten, die anderen an Rechte“. Solch ein Mann
herrschung, wie sie unter solchen Vollblutnaturen kann fehlen — ohne Zweifel. Aber wenn er
eben nur — auf der Bühne möglich ist. Bis fehlt, so zieht er auch die Konsequenzen, läßt sich
dann schließlich die Gräfin mit einer merkwürdigen
nicht von der Last der Erdensorgen festhalten,
Rede von ihnen allen Abschied nimmt. Sterbend
begnügt sich nicht mit der Gewissensberuhigung,
läßt sie das Leben hoch leben! Und da sie sehr
seine Leidenschaft zur Frau des Freundes zur
geistreich ist, kann sie selbst in diesem Augenblick
milden Freundschaft abgedämpft zu haben, schleppt
ein paar tiefgründige Worte sich nicht schenken:
nicht eine öde Ehe und das Bewußtsein der
„Wer lebt denn eigentlich? Wer wagt denn, zu
Schuld ein paar Lustren mit sich herum. Solch
leben? Irgendwo — da blüht was und leuchtet
ein Mann hat nicht die Stirn, einen Tag,
zu uns herüber, und dann schauern wir heimlich
nachdem seine Schuld endlich ans Tageslicht kam,
zusammen, heimlich wie Verbrecher. Das ist alles,
vor der Volksvertretung eine glühen? Rede über
was wir vom Leben haben. Ja, glaubt ihr etwa,
die Heiligkeit der Ehe zu halten oder aus liebem
ihr lebt? Oder ich? —
Parteiinteresse im Hause des anderen, dessen Ehre
Einen Brief hat sie hinterlassen. An ihren
er geschändet, auf dessen Wohl das Glas zu er¬
Mann ist er gerichtet, für den Geliebten ist er
heben. Er handelt! Gut oder schlecht — aber
eigentlich bestimmt. „Ich thue es, weil ich fühle,
er handelt. In „Es lebe das Leben“ jedoch spricht
daß ein Opfer fallen muß. Besser ich, als er —
Herr Richard von Völkerlingk nur. —
denn er hat sein Werk zu vollbringen, ich aber
Das Ensemble des Deutschen Theaters ist
habe mein Leben ausgelebt. So will ich also
nicht ganz auf Dramen zugeschnitten, die in gräs¬
versuchen, ihm zuvorzukommen.“
lichen Salons spielen; die Flüssigkeit des Tons
Richard Völkerlingk wird leben. Er „will
ließ, so schien es mir, bisweilen zu wünschen
nicht, er muß“.
„Leben ... weil ich ... ge¬
übrig. Trotzdem habe ich einige vortreffliche
storben bin.“ Mit dieser echten Bühnenphrase
Leistungen zu erwähnen. Vor allem gab Fräulein
schließt das Drama. Wenn ich mir die Dichtung
Dumont der komplicierten Frau Beate so viel
in die Wirklichkeit übersetzt denken könnte, müßte
Einheitlichkeit und Glaubwürdigkeit, wie wohl
ich freilich fürchten, daß der Märtyrertod Beatens
überhaupt möglich — ein letztes Tüpfelchen auf
ganz vergeblich gewesen ist: denn dieser Richard
dem i fehlte freilich — ihre Beate war mir nicht
Völkerlings würde, wenn er nur einen Schuß
vornehm genug, vornehm im Sinne der ersten
ehrlichen Pulvers wert wäre, den Selbstmord
Gesellschaft; mit glänzenden Matineetoiletten allein
des geliebten Weibes, die gestorben ist, damit er
kennzeichnet man die Gräfin nicht. Als Richard
lebe, nie überwinden, nie etwas Großes leisten,
Völkerlingk sah ich Herrn Sommerstorff, der mit
sondern elend zu Grunde gehen. Graf Michael,
Herrn Sauer abwechselt
der ausgezeichnete
für dessen Glück sie nach ihrem letzten Briefe
Künstler zeichnete mit scharfumrissenen Linien
nebenbei auch stirbt, würde nie vergessen können.
wirklich einen vornehmen, unglücklichen Mann
Und die Kinder, um deren willen sie ebenfalls in
und ging damit, wollte mir scheinen, fast über
den Tod geht? Es wäre doch höchst seltsam,
die Intentionen des Dichters hinaus. Sehr gut
wenn der gescheite Norbert nicht endlich dahinter
war Herr Bassermann in der Rolle des Grafen
käme, daß die Mutter seiner Ellen die Geliebte
Michael; trotzdem es mit dem ostpreußischen Dialekt
seines Vaters war! Und die Partei: müßte es
etwas haperte, war die Gestalt doch wie aus einem
nicht auch für sie
Guß. Auch die Nebenrollen waren gut besetzt —
„Mann über Bordl. der so — heißen:
aber daß eine Bühne vom Range des Deutschen
Schade darum! Schade besonders auch, daß Theaters eine doch immerhin nicht ganz un¬