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16.1. L#dige Stunden ZukIus
box 21/2
„Berliner Lokal-Anzeiger.“
interessanten Dichtung noch eingehender beschäftigen. Die Darstellung
Im Deutschen Theater hatten die vier Einacter von Arthur
war den Traditionen des Deutschen Theaters würdig.
Schnitzler mit ihrem Gesammttitel „Lebendige Stunden“ ein etwas
„Deutsche Warte.“
spätes, aber gutes Ende. Man war erfreut, man war sogar
Der Wiener Dichter hat mit seinen neuen Einaktern feine und geist¬
entzückt, und der Beifall wollte nimmer aufhören.
reiche psychologische Skizzen geliefert, Seelengemälde von bedeutender
Es war wirklich ein Vergnügen. Man durfte die weihevolle Miene echt
Tiefe, Bilder, die dem Leben abgelauscht und wie mit dem Pastellstift
menschlich glätten, man brauchte nicht mehr über tiefverborgene Dinge
hingehaucht sind, dramatische Dekorationsarbeit, die sich um ein Leitmotin
und höhere Gedanken zu grübeln, man mußte nicht mehr litterarisch
schlingt und in immer kunstvolleren Ranken weiterspinnt, aber durch
sein — man konnte lachen, recht herzlich lachen, wie bei jedem anderen
ihren sinnreichen Zauber das Interesse des Zuhörers nie erschlaffen läßt.
Lustspiel, wie bei einem ganz gewöhnlichen Schwank. Ja, Arthur
In dem einleitenden Schauspiel „Lebendige Stunden“ entwieft der
Schnitzler hatte sich menschlich herabgelassen, einen Schwank zu schreiben.
Verfassel ein Bild von dem naiven und starken Egoismus einer Künstler¬
einen geistreichen, malitiösen, übermüthigen Schwank, der wirklich lustig
ist.
natur. Noch mehr Beifall fand das romantische dreitheilige Schauspiel
Er heißt „Literatur“. Freilich, er heißt nur so, aber er ist ein
Frau mit dem Dolche." Das Schauspiel „Die letzten
guter Spaß. Die anderen drei Einacter führen nicht literarische Titel,
Klasken“ spielt in einem Krankenhause. Der Schwank „Literatur“
aber sie sind ganz Literatur. So ganz und gar, daß man nur mit er¬
war das lustige Satirspiel, das auf die tragischen und ernsten Verwicke¬
gebenem Respekt auf die Worte lauschen und mit heißem Bemühen über
lungen folgte. Der Dichter wurde nach jedem Stück gerufen und mit
Wort und Seene nachdenken muß. Denn was man sieht und hört, liegt
Beifall überschüttet.
ziemlich jenseits von Einfachheit und echtem Empfinden. Es ist ein Aus¬
flug auf das nebelhafte Gebiet der abstrakten Ideen, der subtilen psycho¬
Freißtunige Zeitung.“
logischen Spekulationen. Ein Gedanke, eine These, ein psychologisches
„Lebendige Stunden.“ Der Eindruck der einzelnen Akte war
Axiom vereinigt die drei ersten Stücke. Es ist der Gedanke, daß die
verschieden, doch der Gesammteindruck stark und tief; dementsprechend
Todesstunde des Sterbenden dem Lebenden, und zwar dem schaffenden
waren Wirkung und Erfolg nach Außen groß. Die Stimmung kam zu¬
Künstler die lebendigen Stunden schafft. Das quellende Leben sprießt
nächst nicht leicht zu Stande; und doch sind die „Lebendigen Stunden“
aus dem Tode, wo das Vergehen einsetzt, beginnt das Werden. Wenn
im Cyllus das tonangebende (oder: das grundtongebende) Stück; es ist
der Geist eines Menschen entflieht, der nur eine kurze Episode im Alltags¬
auch psychologisch das feinste und gelungenste, wie denn auf gleicher
getriebe war, schafft sein Schmerz, sein Dahinscheiden dem beobachtenden,
künstlerischer Höhe nur der letzte Akt steht durch die Anmuth seines
dem mitfühlenden lebenden Künstler das wahre Leben, die kürzere oder
Geistes.
In den mittleren Akten ist das stärker, was man „Theater“
längere Unsterblichkeit. „Lebendige Stunden“, der erste Einacter, soll
nennt. Natürlich noch immer Schnitzlerisch, nicht grob von Kunstwegen
zeigen, wie ein junger Dichter, dessen Schaffenskraft plötzlich erlahmt ist,
oder unverfroren in der Gesinnung. Im ersten Akt enthüllen sich
zu einem echten Dichter wird, als er erfährt, daß seine geliebte Mutter
Charaktere, Gefühle, Menschenschicksale in klug gleitendem Dialoge. Der
Selbstmord beging, um den Sohn. den ihre Krankheit im Schaffen
Autor ergreift nicht gerade Partei aber man hört doch heraus, daß
hinderte, von sich zu befreien. „Die Frau mit dem Dolche“ der
seine Sympathie mit der naiven menschlichen Empfindung ist Auch das
zweite Einacter, schlägt andere Töne an. Eine Frau giebt sich mit ihrem
zweite Stück ist sozusagen eine Literaten= und Künstlerstück, in das der
Liebhaber ein Rendezvous im Museum vor dem Bilde der „Frau mit
Gegensatz vom warm gelebten und überlegen gestalteten Leben hinein¬
dem Dolche". Dieses Bild ist der jungen Frau sehr ähnlich. Und vor
spielt. Die beiden letzten Akte sind im engeren Sinne Tragikomödien.
dem Bilde philosophirt sie, ob sie dem geliebten Gatten untreu oder dem
Das Leben selbst spielt sich Theater vor, im unbewußten Wechsel tragischer
ungeliebten Liebhaber ein recht heimliches Stelldichein in dessen Wohnung
und komischer Stimmungen. Von Literatur ist hier nicht minder die
geben soll. Plötzlich sieht sie sich einige Jahrhunderte vorher, als
Rede; aber das Leben kommt gewissermaßen der Literatur zuvor. Es
Florentinerin und Zeitgenössin der Medici.
Sie sieht sich als Gattin
hängt sich Masken um. Manchmal noch in der lezten Stunde, da die
eines Künstlers, am Morgen einer Nacht, die sie mit einem ungeliebten
große Abrechnung mit der Welt stattfinden soll. Der Schlußakt löst die
Geliebten verlebt hat. Der Gatte kommt plötzlich an und die treulose
immerhin schwülen Stimmungen in Lachen auf. Es ist ein Capriccio,
Frau ersticht vor den Augen ihres Mannes, den sie liebt, den „unge¬
ein flottes und espritvolles und zugleich eine runde satirische Komödie.
liebten“ Jüngling, der ihr eben die Schäferstunden verschafft hatte. Und
Kleine Cabotins und Selbstbetrüger der Literatur treten auf. Nicht von
den Moment des Sterbens benutzt der Gatte, um seine Frau mit dem
ringenden oder müden Seelen und von rücksichtslosen Gestalten ist die
Dolche und den Sterbenden dazu zu malen. Der Vorhang fällt plötz¬
Rede, vielmehr von den unfreiwillig belustigenden Handwerkern der
lich, geht wieder auf, die junge Frau und ihr Galan stehen wieder im
Schreiberei oder den Dilettanten, die fnobhaft mit ihren „lebendigen
Museum, und sie sagt dem liebegirrenden Jüngling, daß sie am Abend zu
Stunden“ d. h. mit ihrem bischen Liebesabenteuerthum haufiren gehen.
ihm kommen werde. „Die lehien Masken“, der dritte Einakter, be¬
Ihnen wird mit guter Laune ein Lebemann, ein Held der Ställe ent¬
schließt den Cyclus. Ein Sterbender will einem Menschen, den er haßt,
gegengesetzt, ein Zeitgenosse, der so gar kein Künstler und in so hohem
das ganze Maß des Hasses und der Verachtung offenbaren. Aber er
Grade ein Verächter aller Federn ist, daß seine Geliebte die Legitimität
kommt nicht dazu —
der Lebende ist zu klein, geistig zu werthlos.
mit der Einstellung des Literaturbetriebs erkaufen muß — was ihr nicht
„Litteratur". Ein lustiges Bild aus dem Leben der Münchener und
schwer wird.
Wiener Kaffeehaus=Litteraten, voll Witz und Bosheit, mit allerlei guten
„Berliner Börsen-Zeitung.“
Anspielungen, ein Einakter, der unterhält.
„Lebendige Stunden.“ Der Dichter hat sich über die Pseudo¬
„Welt am Montag.“
Dichter lustig machen wollen, die sich einreden, der „Gott in ihnen“ stehe
Immer wieder klingt an, verweilend oder flüchtig, der Gedanke vom
höher als das natürliche Menschenempfinden, darum setze sich jedes Ge¬
Marionettenspiel des Lebens, der in der leicht melancholischen Welt
fühl in Schaffensdrang um. Sie seciren ihre feelischen Regungen und
Schnitzlers häufig wiederkehrt, an letzte Fragen des räthselvollen
1 beobachten sich, um sich zu beschreiben.
Wir wissen nicht, was
Menschendaseins wird hier und da gerührt. Derlei stimmungsvolle
Schuttzler die Anregung bot, einmal ein Donnerwetter über „Die
Spielereien weiß dieser Autor mit einer oft raffinirten, doch nie aufdring¬
Talente des Kaffeehauses“ loszulassen, aber er verkenne nicht, daß auch
lichen Technik zu schaffen, säuberliche Erzeugnisse einer vorgeschrittenen
er gleich den Geißelten seine Empfindungen schaffend verwerthete. Frei¬
Kunst, die dem Scharfblick und dem Takt ihres mit weicher Grazie und
lich wären es nicht Empfindungen des Schmerzes im gewöhnlichen Sinne,
kosender Anmuth, mit koketter Ironie und leiser Lyrik begabten Bildners
war es kein Unglück, das ihn traf, als er die Eingebildeten mit ihrem
Ehre machen, die angenehm unterhalten, ohne daß hinterher das ästhetische
harmlosen Größenwahn kennzeichnen und züchtigen wollte, aber ein Weh
Gewissen mit Vorwürfen sich einzustellen hätte. In den „Letzten
wars immerhin, und daraus geboren erstanden die vier Theaterstücke —
Masken“ sind unentbehrliche Theatermittel virtnos verwendet im Dienste
für Literaturmenschen, die jede geistreiche, wie jede ironische Wendung
einer geistreichen Idee, deren Ausführung hinter der Erfindung nicht
verstehen, jede Anspielung freudig auffassen. Nr. 1: „Lebendige
zurückbleibt. Es entsteht ein Momentbild von intimer Wahrheit mit
Stunden.“ Das Stückchen wurde von den Herren Reinhard
einer Fülle von Imponderabilien, das in seiner Geschlossenheit starken
(Freund der Verstorbenen), Rittner (Sohn), Fischer (Gärtner) sehr
Eindruck macht. Den glücklichen Abschluß bildet endlich „Literatur,“
leeenswahr gespielt. Nr. 2: „Die Frau mit dem Dolche.“ Gespielt
eine espritfunkelnde feuilletonistische Boshaftigkeit auf einem seinen Wirk¬
wurde
es meisterhaft. Nr. 3: „Die letzten Masken.“ Nr. 4:
lichkeitsuntergrund mit allerliebsten Witzen, die nicht dem Zettelkasten
„Literatur.“ Das Stückchen strotzt vor Anspielungen, die ein
entnommen sind, sondern zwanglos der Situation entspringen.
Premièren=Publikum goutirt, das mit Literaten und solchen, die es sein
„Deutsche Tageszeitung.“
wollen, verkehrt. Herr Dr. Schnitzler wurde zum Schluß stürmisch,
wie auch im Laufe des Abends oft gerufen. Es war also ein Erfolg.
Im Deutschen Theater gelangte gestern Arthur Schnitzlers
neuer Einakter=Cyklus „Lebendige Stunden“ zur ersten Aufführung.
„Berliner Neueste Nachrichten“.
Der Erfolg, den der Abend dem Dichter und der Darstellung brachte,
„Tebendige Stunden“, vier Einakter von Arthur Schnitzler.
war ein starker. Der Wiener Poet hat unter dem Gesammttitel des ersten
Ein echter Schnitzler=Abend. Lebensphilosophie, Causerie, Groteske,
Stückes vier Einakter von Werth vereint. „Literatur,“ der Name des
Poesie und witzige, wenn nicht blendende Aperaus: jedes in seiner Art
Schlußschwankes hätte dem Abend die bezeichnendere Signatur gegeben:
geschickt behandelt und alles wiederum in seiner Summe von einem ge¬
es ist wirklich Literatur, was da den Inhalt der ersten beiden Schauspiele
staltungskräftigen Formtalent zu starken Wirkungen und Pointen heraus¬
„Lebendige Stunden“ und „Die Frau mit dem Dolche“ bildet.
gearbeitet.
Elegant gearbeitete Sachen, fein ziselirt oder apart
Dann kam die Sensation des Abends: nach dem Voraufgegangenen ein
in der Form, mit Liebhaberwerth. Das ist nicht wenig. Die vier
überraschender Aufschwung in rein dichterische Höhen: das Schauspiel
verschiedenen
Einakter
sind nicht gleichwerthig." Der erste,
„Die letzten Magken,“ eine durch die Feinheit der psychologischen
„Lebendige Stunden“ ein Schauspiel genannt, ist eine knappe pfycho¬
Motivirung und die Kraft der poetischen Ausgestaltung gleich verblüffende
logische Skizze in Dialogform.
Das zweite kleine Schauspiel „Die
Studie, die es allein wohl verdient, daß wir uns mit der jedenfalls 1 Frau mit dem Dolche“, ein Capriccio. Schnitzller frappirt durch
16.1. L#dige Stunden ZukIus
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„Berliner Lokal-Anzeiger.“
interessanten Dichtung noch eingehender beschäftigen. Die Darstellung
Im Deutschen Theater hatten die vier Einacter von Arthur
war den Traditionen des Deutschen Theaters würdig.
Schnitzler mit ihrem Gesammttitel „Lebendige Stunden“ ein etwas
„Deutsche Warte.“
spätes, aber gutes Ende. Man war erfreut, man war sogar
Der Wiener Dichter hat mit seinen neuen Einaktern feine und geist¬
entzückt, und der Beifall wollte nimmer aufhören.
reiche psychologische Skizzen geliefert, Seelengemälde von bedeutender
Es war wirklich ein Vergnügen. Man durfte die weihevolle Miene echt
Tiefe, Bilder, die dem Leben abgelauscht und wie mit dem Pastellstift
menschlich glätten, man brauchte nicht mehr über tiefverborgene Dinge
hingehaucht sind, dramatische Dekorationsarbeit, die sich um ein Leitmotin
und höhere Gedanken zu grübeln, man mußte nicht mehr litterarisch
schlingt und in immer kunstvolleren Ranken weiterspinnt, aber durch
sein — man konnte lachen, recht herzlich lachen, wie bei jedem anderen
ihren sinnreichen Zauber das Interesse des Zuhörers nie erschlaffen läßt.
Lustspiel, wie bei einem ganz gewöhnlichen Schwank. Ja, Arthur
In dem einleitenden Schauspiel „Lebendige Stunden“ entwieft der
Schnitzler hatte sich menschlich herabgelassen, einen Schwank zu schreiben.
Verfassel ein Bild von dem naiven und starken Egoismus einer Künstler¬
einen geistreichen, malitiösen, übermüthigen Schwank, der wirklich lustig
ist.
natur. Noch mehr Beifall fand das romantische dreitheilige Schauspiel
Er heißt „Literatur“. Freilich, er heißt nur so, aber er ist ein
Frau mit dem Dolche." Das Schauspiel „Die letzten
guter Spaß. Die anderen drei Einacter führen nicht literarische Titel,
Klasken“ spielt in einem Krankenhause. Der Schwank „Literatur“
aber sie sind ganz Literatur. So ganz und gar, daß man nur mit er¬
war das lustige Satirspiel, das auf die tragischen und ernsten Verwicke¬
gebenem Respekt auf die Worte lauschen und mit heißem Bemühen über
lungen folgte. Der Dichter wurde nach jedem Stück gerufen und mit
Wort und Seene nachdenken muß. Denn was man sieht und hört, liegt
Beifall überschüttet.
ziemlich jenseits von Einfachheit und echtem Empfinden. Es ist ein Aus¬
flug auf das nebelhafte Gebiet der abstrakten Ideen, der subtilen psycho¬
Freißtunige Zeitung.“
logischen Spekulationen. Ein Gedanke, eine These, ein psychologisches
„Lebendige Stunden.“ Der Eindruck der einzelnen Akte war
Axiom vereinigt die drei ersten Stücke. Es ist der Gedanke, daß die
verschieden, doch der Gesammteindruck stark und tief; dementsprechend
Todesstunde des Sterbenden dem Lebenden, und zwar dem schaffenden
waren Wirkung und Erfolg nach Außen groß. Die Stimmung kam zu¬
Künstler die lebendigen Stunden schafft. Das quellende Leben sprießt
nächst nicht leicht zu Stande; und doch sind die „Lebendigen Stunden“
aus dem Tode, wo das Vergehen einsetzt, beginnt das Werden. Wenn
im Cyllus das tonangebende (oder: das grundtongebende) Stück; es ist
der Geist eines Menschen entflieht, der nur eine kurze Episode im Alltags¬
auch psychologisch das feinste und gelungenste, wie denn auf gleicher
getriebe war, schafft sein Schmerz, sein Dahinscheiden dem beobachtenden,
künstlerischer Höhe nur der letzte Akt steht durch die Anmuth seines
dem mitfühlenden lebenden Künstler das wahre Leben, die kürzere oder
Geistes.
In den mittleren Akten ist das stärker, was man „Theater“
längere Unsterblichkeit. „Lebendige Stunden“, der erste Einacter, soll
nennt. Natürlich noch immer Schnitzlerisch, nicht grob von Kunstwegen
zeigen, wie ein junger Dichter, dessen Schaffenskraft plötzlich erlahmt ist,
oder unverfroren in der Gesinnung. Im ersten Akt enthüllen sich
zu einem echten Dichter wird, als er erfährt, daß seine geliebte Mutter
Charaktere, Gefühle, Menschenschicksale in klug gleitendem Dialoge. Der
Selbstmord beging, um den Sohn. den ihre Krankheit im Schaffen
Autor ergreift nicht gerade Partei aber man hört doch heraus, daß
hinderte, von sich zu befreien. „Die Frau mit dem Dolche“ der
seine Sympathie mit der naiven menschlichen Empfindung ist Auch das
zweite Einacter, schlägt andere Töne an. Eine Frau giebt sich mit ihrem
zweite Stück ist sozusagen eine Literaten= und Künstlerstück, in das der
Liebhaber ein Rendezvous im Museum vor dem Bilde der „Frau mit
Gegensatz vom warm gelebten und überlegen gestalteten Leben hinein¬
dem Dolche". Dieses Bild ist der jungen Frau sehr ähnlich. Und vor
spielt. Die beiden letzten Akte sind im engeren Sinne Tragikomödien.
dem Bilde philosophirt sie, ob sie dem geliebten Gatten untreu oder dem
Das Leben selbst spielt sich Theater vor, im unbewußten Wechsel tragischer
ungeliebten Liebhaber ein recht heimliches Stelldichein in dessen Wohnung
und komischer Stimmungen. Von Literatur ist hier nicht minder die
geben soll. Plötzlich sieht sie sich einige Jahrhunderte vorher, als
Rede; aber das Leben kommt gewissermaßen der Literatur zuvor. Es
Florentinerin und Zeitgenössin der Medici.
Sie sieht sich als Gattin
hängt sich Masken um. Manchmal noch in der lezten Stunde, da die
eines Künstlers, am Morgen einer Nacht, die sie mit einem ungeliebten
große Abrechnung mit der Welt stattfinden soll. Der Schlußakt löst die
Geliebten verlebt hat. Der Gatte kommt plötzlich an und die treulose
immerhin schwülen Stimmungen in Lachen auf. Es ist ein Capriccio,
Frau ersticht vor den Augen ihres Mannes, den sie liebt, den „unge¬
ein flottes und espritvolles und zugleich eine runde satirische Komödie.
liebten“ Jüngling, der ihr eben die Schäferstunden verschafft hatte. Und
Kleine Cabotins und Selbstbetrüger der Literatur treten auf. Nicht von
den Moment des Sterbens benutzt der Gatte, um seine Frau mit dem
ringenden oder müden Seelen und von rücksichtslosen Gestalten ist die
Dolche und den Sterbenden dazu zu malen. Der Vorhang fällt plötz¬
Rede, vielmehr von den unfreiwillig belustigenden Handwerkern der
lich, geht wieder auf, die junge Frau und ihr Galan stehen wieder im
Schreiberei oder den Dilettanten, die fnobhaft mit ihren „lebendigen
Museum, und sie sagt dem liebegirrenden Jüngling, daß sie am Abend zu
Stunden“ d. h. mit ihrem bischen Liebesabenteuerthum haufiren gehen.
ihm kommen werde. „Die lehien Masken“, der dritte Einakter, be¬
Ihnen wird mit guter Laune ein Lebemann, ein Held der Ställe ent¬
schließt den Cyclus. Ein Sterbender will einem Menschen, den er haßt,
gegengesetzt, ein Zeitgenosse, der so gar kein Künstler und in so hohem
das ganze Maß des Hasses und der Verachtung offenbaren. Aber er
Grade ein Verächter aller Federn ist, daß seine Geliebte die Legitimität
kommt nicht dazu —
der Lebende ist zu klein, geistig zu werthlos.
mit der Einstellung des Literaturbetriebs erkaufen muß — was ihr nicht
„Litteratur". Ein lustiges Bild aus dem Leben der Münchener und
schwer wird.
Wiener Kaffeehaus=Litteraten, voll Witz und Bosheit, mit allerlei guten
„Berliner Börsen-Zeitung.“
Anspielungen, ein Einakter, der unterhält.
„Lebendige Stunden.“ Der Dichter hat sich über die Pseudo¬
„Welt am Montag.“
Dichter lustig machen wollen, die sich einreden, der „Gott in ihnen“ stehe
Immer wieder klingt an, verweilend oder flüchtig, der Gedanke vom
höher als das natürliche Menschenempfinden, darum setze sich jedes Ge¬
Marionettenspiel des Lebens, der in der leicht melancholischen Welt
fühl in Schaffensdrang um. Sie seciren ihre feelischen Regungen und
Schnitzlers häufig wiederkehrt, an letzte Fragen des räthselvollen
1 beobachten sich, um sich zu beschreiben.
Wir wissen nicht, was
Menschendaseins wird hier und da gerührt. Derlei stimmungsvolle
Schuttzler die Anregung bot, einmal ein Donnerwetter über „Die
Spielereien weiß dieser Autor mit einer oft raffinirten, doch nie aufdring¬
Talente des Kaffeehauses“ loszulassen, aber er verkenne nicht, daß auch
lichen Technik zu schaffen, säuberliche Erzeugnisse einer vorgeschrittenen
er gleich den Geißelten seine Empfindungen schaffend verwerthete. Frei¬
Kunst, die dem Scharfblick und dem Takt ihres mit weicher Grazie und
lich wären es nicht Empfindungen des Schmerzes im gewöhnlichen Sinne,
kosender Anmuth, mit koketter Ironie und leiser Lyrik begabten Bildners
war es kein Unglück, das ihn traf, als er die Eingebildeten mit ihrem
Ehre machen, die angenehm unterhalten, ohne daß hinterher das ästhetische
harmlosen Größenwahn kennzeichnen und züchtigen wollte, aber ein Weh
Gewissen mit Vorwürfen sich einzustellen hätte. In den „Letzten
wars immerhin, und daraus geboren erstanden die vier Theaterstücke —
Masken“ sind unentbehrliche Theatermittel virtnos verwendet im Dienste
für Literaturmenschen, die jede geistreiche, wie jede ironische Wendung
einer geistreichen Idee, deren Ausführung hinter der Erfindung nicht
verstehen, jede Anspielung freudig auffassen. Nr. 1: „Lebendige
zurückbleibt. Es entsteht ein Momentbild von intimer Wahrheit mit
Stunden.“ Das Stückchen wurde von den Herren Reinhard
einer Fülle von Imponderabilien, das in seiner Geschlossenheit starken
(Freund der Verstorbenen), Rittner (Sohn), Fischer (Gärtner) sehr
Eindruck macht. Den glücklichen Abschluß bildet endlich „Literatur,“
leeenswahr gespielt. Nr. 2: „Die Frau mit dem Dolche.“ Gespielt
eine espritfunkelnde feuilletonistische Boshaftigkeit auf einem seinen Wirk¬
wurde
es meisterhaft. Nr. 3: „Die letzten Masken.“ Nr. 4:
lichkeitsuntergrund mit allerliebsten Witzen, die nicht dem Zettelkasten
„Literatur.“ Das Stückchen strotzt vor Anspielungen, die ein
entnommen sind, sondern zwanglos der Situation entspringen.
Premièren=Publikum goutirt, das mit Literaten und solchen, die es sein
„Deutsche Tageszeitung.“
wollen, verkehrt. Herr Dr. Schnitzler wurde zum Schluß stürmisch,
wie auch im Laufe des Abends oft gerufen. Es war also ein Erfolg.
Im Deutschen Theater gelangte gestern Arthur Schnitzlers
neuer Einakter=Cyklus „Lebendige Stunden“ zur ersten Aufführung.
„Berliner Neueste Nachrichten“.
Der Erfolg, den der Abend dem Dichter und der Darstellung brachte,
„Tebendige Stunden“, vier Einakter von Arthur Schnitzler.
war ein starker. Der Wiener Poet hat unter dem Gesammttitel des ersten
Ein echter Schnitzler=Abend. Lebensphilosophie, Causerie, Groteske,
Stückes vier Einakter von Werth vereint. „Literatur,“ der Name des
Poesie und witzige, wenn nicht blendende Aperaus: jedes in seiner Art
Schlußschwankes hätte dem Abend die bezeichnendere Signatur gegeben:
geschickt behandelt und alles wiederum in seiner Summe von einem ge¬
es ist wirklich Literatur, was da den Inhalt der ersten beiden Schauspiele
staltungskräftigen Formtalent zu starken Wirkungen und Pointen heraus¬
„Lebendige Stunden“ und „Die Frau mit dem Dolche“ bildet.
gearbeitet.
Elegant gearbeitete Sachen, fein ziselirt oder apart
Dann kam die Sensation des Abends: nach dem Voraufgegangenen ein
in der Form, mit Liebhaberwerth. Das ist nicht wenig. Die vier
überraschender Aufschwung in rein dichterische Höhen: das Schauspiel
verschiedenen
Einakter
sind nicht gleichwerthig." Der erste,
„Die letzten Magken,“ eine durch die Feinheit der psychologischen
„Lebendige Stunden“ ein Schauspiel genannt, ist eine knappe pfycho¬
Motivirung und die Kraft der poetischen Ausgestaltung gleich verblüffende
logische Skizze in Dialogform.
Das zweite kleine Schauspiel „Die
Studie, die es allein wohl verdient, daß wir uns mit der jedenfalls 1 Frau mit dem Dolche“, ein Capriccio. Schnitzller frappirt durch