II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 265

77
1
nd
u S
16.1. Lestndige SndenKss
box 21/2
eine Pointe. Einen grotesken Akt schuf der Dichter mit dem Schauspiel
kam da wieder einmal zu seinem Recht: Todigesagte leben sehr lange.
„Die letzten Masken“. Man könnte ihn die Tragikomödie einer Sterbe¬
Gestern brachte uns Arthur Schnitzler die neuesten Blüthen aus dem
stunde nennen. Mit realistischen Strichen schildert Schnitzler hier. Die
üppig wuchernden, an phantastischen Kunstgewächsen reichen Garten seiner
feinen Gegenüberstellungen in dem Stückchen zeugen von Künstlerhand.
I Dichtung. Von der skeptischen Kritik der Gesellschaft, ihrer Con¬
Den Beschluß machte ein Schwank „Literatur, eine Schnurre aus
ventionen und Moral=Begriffe ist Schnitzler jetzt zum Studium und
der literarischen Kaffeehaus=Bohème, eine Satire auf die Auswüchse des
zur Untersuchung der ästhetischen Conventionen, der Kunstanschauungen
Literatenthums, voll von witzigen Bemertungen, geistreich und boshaft
und Kunstgesetze vorgedrungen. Das Leben in der Kunst behandeln die
zugleich. Das Publikum, das dem letzten launigen Einfall den lautesten
„Lebendigen Stunden“ Zunächst mehr im Stile der Disputation,
Beifall spendete, war den ganzen Abend in Gebelanne. Es applandirte
bald genug aber in portischen Gestaltungen und Wirklichkeits=Darstellungen.
stürmisch und rief den Dichter viele Male vor die Rampe.
Zuerst herrscht die These vor, der ein beliebiges illustrirendes Lehrbeispiel
zugesellt wied, dann haben wir umgekehrt, und im Sinne der Bühnen¬
„Berliner Tageblatt“
kunst richtiger, der Wirklichkeit nachgebildetes oder dichterisch gestaltetes
„Lebendige Stunden". Es war schließlich ein recht beträchtlicher,
Leben vor uns, aus dem sich ästhetische Lehrsätze, Anschauungen und
ein großer Erfolg, sehr lebhafte Bewegtheit im Publikum, viele Hervor¬
Meinungen über Kunst wie von selbst ergeben sollen. Das erste der vier
rufe des Dichters. Arthur Schnitzier hat vier Einatter geschrieben
kleinen Stücke dasjenige, das dem ganzen Cyklus den Namen giebt
und ihnen nach dem Titel des ersten prologisirenden Stückes die zwin¬
„Lebendige Stunden“ behandelt ein sehr ernstes Problem mit aller
gende Gesammtbezeichnung „Lebendige Stunden“ gegeben. In dem
Herbheit und Schärfe. Die Herren Reinhardt und Rittner ver¬
ernsten Schauspiel „Die letzten Masken“ und in dem Uebermuth¬
traten die zwei verschiedenen Gemüthsverfassungen, die im gleichen
schwank „Literatur“ finden wir alle die Züge wieder, die wir herzlich
Schmerz sich so verschieden äußern, mit aller Hingebung. Sie gewannen
an ihm lieben dürfen. Wir sehen ihn von Neuem als bühnengerechten
der Zuhörerschaft Theilnahme und Zustimmung ab. Stärker wirkte vom
Vollstrecker der Forderungen, die die literarische Schule aufgestellt hat.
ersten Augenblick an das phantastische Bühnenspiel „Die Frau mit dem
welcher er entsprossen ist. Seine Gedanken sind zart und ohne Theaterei,
Dolche". Wie unrecht würde man thun, das kleine Stück für ein dra¬
Bekenntnisse aus dem Leben, Spiegelungen der Wirklichteit, und bei aller
matisches Bekenntniß des Glaubens an die Seelenwanderung, für eine
Feinheit doch höchst geschickt den Bedingungen der Kulisse angepaßt. Mit
mystisch=spiritistische Tendenz=Dichtung zu halten. Eine Dichtung ist sie
Herz und Geist ein Künstler, mit der Hand ein graziöser Kunsthand¬
eben. Sonst nichts, stark empfunden, in leuchtenden Farben ausgeführt,
werker, stellt er eine Gattung dar, deren unsere Bühne nur zu noth¬
eine Schöpfung mehr musikalischen Charakters, eine Träumerei, ein farben¬
wendig bedarf. Und auch sonst knüpft Schnitzler in diesen beiden
prangender Einfall. Schön ausgestattet und von Emil Lessing mit
letzten Stücken an sich selber an.
Er thut es in der Stoffwahl, wenn
nachspürendem Verständniß inscenirt, fanden die drei kleinen Bilder einen
er, der frühere Mediziner „Die letzten Masken“ in der beklemmenden
starken, dem Eindruck entsprechenden Beifall, der den Verfasser sehr oft¬
Atmosphäre des Spitals spielen läßt, er thut es, wenn er in „Litera¬
vor den Vorhang rief. Einen feinen und tiefen Gedanken übersetzt das
tur“ das alte Schnitzler=Thema der mondainen und demimondainen
dritte der vier kleineren Stücke in Leben. Das in Noth und Elend ver¬
Liebe erörtert. Man weiß, wie reizend er es macht, mit welcher galanten
kommende starke Talent empört sich vor dem Ende gegen die in Glück
Skepfis er sich immer auf die Seite der Frauen schlägt, wie er lächelnd
protzende Hohlheit. Ist auch der kranke Schauspieler im Stücke eben nur
den Mann als den Betrogenen hinstellt und den Sünden des Weibes
Theaterbehelf, so ist doch im Ganzen einem vornehmen Gedanken vor¬
Absolution ertheilt, indem er die Schlechtigkeit oder Bornirtneit des so¬
nehmer künstlerischer Ausdruck gegeben. Das treue Krankenhaus=Milieu
genannten starken Geschiechts ergötzlich schildert. Das hat er in „Frei¬
half zum starken Erfolg. Ein töller Schwank folgt diesen „letzten“
wild" und „Liebelei“, das hat er im Anatole=Cytlus gethan. Erthut
Masken“. In der kleinen Satire Literatur ist die Münchener Schrift¬
es auch in „Literatur". Die Frau hat eine Vergangenheit. Die
steller=Boheme ähnlich wie im Roman „Renate Fuchs“, aber mit sieg¬
Handlung ist sehr witzig bis zu dem Punkt geführt, wo der Baron diese
hafterer Lanne, geschildert
Beim verständnißvollen Publikum schlug
traurige Gewißheit erlangen und in dem Literaten den unerwünschten
förmlich jedes Wort ein. Der Jubel erreichte seinen Höhepunkt, als
Vorbesitzer seiner Braut kennen lernen muß. Im letzten Moment wird
Schriftsteller und Schriftstellerin, die einstmals ihr Dachstubenglück gemein¬
ihm ein Schnippchen geschlagen. Fester noch als bisher wird er an
sam genossen, sich mit den Romanen gegenübertreten die sie beide aus
Margareihens Treue glauben, ein armer und doch in seiner Ahnunge=
dem Erlebniß gestalteten. Frl. Triesch traf auch hier Wesen und Ton
losigkeit glücklicher Tropf. Schnißler hat die Figuren brillant abge¬
der kecken, schlauen Bogème=Gestalt vortrefflich, Herr Bassermann,
hoben, den Edelmann mit dem Stallgeruch und der geräuschvollen
der den eleganten Sportsmann so glaubhaft machte, Herr Rittner,
Tugendprotzerei, das schmucke buhlerische und dabei sehr berechnende
in einer Art Hartleben=Maske als prächtiger Gilbert, halfen deu großen,
Weibchen und den nonchalanten Kaffeehauszigenner voll Geist. Cynismus
herzhaften Erfolg erstreiten. Von tragischer Beklemmung bis zur tollsten
und Verachtung gegen alles Korrekte. In dem Schauspiel, das vorher¬
Lustigkeit machte das Publikum alle Stimmungen willig dürch. Das
ging, ist Schnitzler vor allem der Meister diskreter und leise anden¬
echte „bunte Theater“ war's, aber eins, in dem die Farben sich zu einer
tender Kunst. Im Krankenhaus, wo der Tod hinter jedem Bette wink¬
starken Symphonie mischen.
bereit steht, fallen „die letzten Masken“ von den Seelen der Menschen.
(Folgt Inhalt.) Seenenführung des Stückes ist gewagt, aber sie löst sich
„Staatsbürger Zeitung.“
in diesem Schluß harmonisch und mit edler Wirkung auf. Das Kranken¬
Das Interesse bewegt sich an den vier dramatischen Neuheiten Arthur
hausmilien ist ausgezeichnet definirt. Von der Darstellung kann man
Schnitzler's bei der ersten Aufführung in einer für den Dichter immer
viel Gutes sagen.
günstiger sich gestaltenden aufsteigenden Linie. Er wurde mit Hervor¬
„Kleines Journal“.
rufen geehrt, die von Fall zu Fall stürmischer wurden und sich mehrten.
Bei dem zweiten Schauspiel liegt eine eigenartige Verschmelzung des
Eine uneingeschränkte Freude an Arthur Schnitzler's Können
Modernen mit der Romantik des Cinquecento vor. Die Sache ist phan¬
hatte man bei den letzten beiden Stücken. Das einaktige Schauspiel
#astischgeistvoll. Der feine Psychologe und praktische Arzt Doktor
„Die letzten Masken“ ist eine liebevoll beobachtete Studie aus einem
A. Schnitzler tritt aus der dritten Nummer: „Die letzten Masken“
Krankenhause, aus der man ersieht, daß der Dichter zugleich auch Arzt
mit Nachdruck hervor. Es ist völlig originell und athmet den tragischen
ist. (Folgt Inhalt). Das sind alles Menschen, die wirklich eines Dich¬
Humor, der sich schon im Grünen Kakadu“ Schnitzler's glänzend
ters Ange gesehen und mit scharfen Strichen festzuhalten gewußt hat.
enthüllte. Die Herren Reinhardt, Bassermann, Fischer
Das kleine Schauspiel ist im eigentlichsten Sinne eine Tragikomödie, und
und Hofmeister stellten dieses ganz hervorragende Schauspsel
es verdient diesen Titel jedenfalls mehr, als andere Ueberflüssigkeiten.
Schnitzler's mit den feinsten Charakterfarben der Lebenswahrheit
Gespielt wurde es einfach glänzend.
Den Schluß des Abends bildete
dar und der Dichter durfte einen sehr schönen Triumph feiern. Auch
ein toller Schwank. „Literatur“ bringt in ähnlicher Weise, wie Otto
wieder mit der letzten Numwer, einer äußerst witzigen Persiflage des
Ernst in „Jugend von heute“ Karikaturen aus der modernsten Schrift¬
modernsten Streber= und Uebermenschenthums.
Der Schnitzler¬
stellerbohéme auf die Bohne. Die junge Dichterin, die nach berühmten
Abend darf auf zahlreichste Wiederholungen rechnen.
Mustern Selbsterlebtes als reine Phantasie ausgiebt, weil sie sich aus
der Bohème in die Arme eines braven, aber äußerst stumpfsinnigen
„Neue Preuß. (Krenz-) Zeitung.“
Barons flüchten will, der junge genialische Poet, der wie ein Gespenst
Das letzte Stück, „Literatur“, ist ein witziger Schwank, der mit
aus ihrer Vergangenheit vor ihr erscheint, und der famose Baron selbst
scharfer Satire die Manier der Bohemiens verspottet, alle ihre gelegent¬
sind wundervoll charaiterisirt und die Handlung ist in toller Laune und
lichen Liebschaften „literarisch zu verwerthen". Der Literatürbetrieb
mit behendem, stets schlagfertigem Witz durchgeführt. Und es war ein
jener Unterschicht von Schriftstellern ist noch nie so witzig verspottet
Vergnügen, mit wie drolligem, echtem Humor Irene Triesch, sowie
worden, und das Publikum zeigte vollstes Verständniß. Auch die Dar¬
die Herren Bassermann und Rittner dem Dichter zur
Seite
stellung war unübertrefflich
Der Abend brachte dem
Deutschen
standen. Hatten die beiden ersten Einakter einen Achtungserfolg gefun¬
Theater den ersten großen und unbestrittenen Erfolg dieses Winters.
den, so bedeutete die zweite Hälfte des Abends einen entscheidenden Sieg
„Reichsbote.“
für Arthur Schnitzler, den das Publikum zum Schluß gar nicht det
genug vor die Gardine rufen konnte.
Der Schnitzler=Abend, den das Deutsche Theater am
Sonnabend mit dem neuesten Einakter=Cykius des erfolgreichsten Drama¬
„Berliner Börsen-Courier.“
tikes Jung=Wiens veranstaltete, brachte dem Dichter wieder reiche Bei¬
Mit vier Einactern von Arthur Schnitzler hat das „Deutsche
fallsehren. Fast nach jedem einzelnen Werke mußte er mehrfach er¬
Theater“ gestern einen vierfachen Erfolg errungen. Die Zeit der Ein¬
scheinen und die Huldigungen seiner zahlreichen Verehrer dankend
acter schien vorbei. Die Theater hatten ein Vorurtheil gegen die dramati¬
quittiren.
schen Nippessachen. Sie waren allenfalls einmal einzeln zur Ausfüllung
„General-Anzeiger" (Frankfurt a. M.).
eines Theaterabends gut. „Die Einacter machen nichts“, sagten unsere
Der gestrige Arthur Schnitzler=Abend im Deutschen
Theater=Geschäftsleute, „die Einacter sind todt!“ Ein anderer Aberglaube ] Theater bot eine große Ueberraschung. Vielleicht diesmal nicht nur