16.1. Lebendige Stunden zyklus
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mit seinen vier Stücken, Einaktern, einen ausgesprochenen,!
bedeutenden Erfolg. Die ersten drei Stückchen bilden einen
Cyclus, der, anknüpfend an den Titel des den Abend eröffnen¬
den Einakters, „Lebendige Stunden“ einen eigen¬
artigen, wenn auch nicht mehr neuen psychologischen Gedanken
ausdrücken will. An den Tod knüpft sich das quellende Leben.
Der schaffende Künstler schöpft aus dem Vergehen blühendes
Sein, und wenn er Zeuge des Dahinwelkens des Irdischen
ist, erwachsen ihm aus der Beobachtung dieses erschütternden
Vorganges die Triebe zu kräftigem Schaffen. Um den Sohn,
der durch ihre Krankheit sich im Schaffen behindert fühlt, von
sich zu befreien, gibt sich eine Mutter den Tod — dies ist die
grausame Handlung des ersten Einakters. Das Experiment,
diesen Vorwurf menschlich ergreifend zu schildern, ist Schnitzler
nur halb gelungen. Umso fesselnder aber gestaltete sich das
zweite Stück, „Die Fraumitdem Dolche. Eine Frau
hat mit ihrem Liebhaber ein Stelldichein vor dem Bilde der
„Frau mit dem Dolche“. Das Bild regt sie zu Gedanken an,
die sich darauf beziehen, wie wohl der Ausgang ihres gefähr¬
lichen Spieles sich wenden würde. Plötzlich zeigt uns die
Scene die Frau um einige Jahrhunderte zurückversetzt, in
das Zeitalter der Medici, sie ist die Gattin eines Künstlers,
den sie eben mit einem seiner Schüler hintergangen hat. Ihr
Mann erscheint, und da er den Jüngling nicht tödten will,
ersticht sie selbst den jungen Maler mit ihrem Dolche. Da
— die Scene verwandelt sich — das Paar steht wieder in der
Bildergalerie, und die Frau verspricht dem Geliebten, daß sie
am Abend zu ihm kommen werde. Das Auge des Zuschauers
sieht den Vorgang, der sich am Abend abspielen wird, vor sich,
der grausame Ausblick auf das blutige Ende ist die Pointe
des Stückes. „Die letzten Masken“ nennt sich das
dritte Stück. Ein mit dem Tode ringender Mensch will den,
den er im Leben gehaßt, in der letzten Stunde seines Daseins
noch einmal mit seinem Haß überschütten, doch er erkennt, daß
der Gegenstand des Hasses zu nichtig und zu gering ist —
er stirbt, innerlich befreit und geläutert. Ein heiteres, über¬
müthiges und satirisches Bildchen zeigt das letzte Stück,
„Literatur". Mit viel Witz und treffendem Humor
karikirt Schnitzler das „literarische“ sübdeutsche Kaffeehaus¬
teven, seine Anspielungen wurden vom Publikum verstanden
und belacht, und das flotte Stückchen besitzt einen hohen Grad
von Lebensfähigkeit. Den vier neuen Stücken war eine außer¬
ordentlich freundliche Aufnahme beschieden, die Darsteller
gaben ihr Bestes, und so war es thatsächlich #in genußreicher
Abend, anregend in seiner Gesammtheit
in einzelnen
Zügen von tiefem Interesse.
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mit seinen vier Stücken, Einaktern, einen ausgesprochenen,!
bedeutenden Erfolg. Die ersten drei Stückchen bilden einen
Cyclus, der, anknüpfend an den Titel des den Abend eröffnen¬
den Einakters, „Lebendige Stunden“ einen eigen¬
artigen, wenn auch nicht mehr neuen psychologischen Gedanken
ausdrücken will. An den Tod knüpft sich das quellende Leben.
Der schaffende Künstler schöpft aus dem Vergehen blühendes
Sein, und wenn er Zeuge des Dahinwelkens des Irdischen
ist, erwachsen ihm aus der Beobachtung dieses erschütternden
Vorganges die Triebe zu kräftigem Schaffen. Um den Sohn,
der durch ihre Krankheit sich im Schaffen behindert fühlt, von
sich zu befreien, gibt sich eine Mutter den Tod — dies ist die
grausame Handlung des ersten Einakters. Das Experiment,
diesen Vorwurf menschlich ergreifend zu schildern, ist Schnitzler
nur halb gelungen. Umso fesselnder aber gestaltete sich das
zweite Stück, „Die Fraumitdem Dolche. Eine Frau
hat mit ihrem Liebhaber ein Stelldichein vor dem Bilde der
„Frau mit dem Dolche“. Das Bild regt sie zu Gedanken an,
die sich darauf beziehen, wie wohl der Ausgang ihres gefähr¬
lichen Spieles sich wenden würde. Plötzlich zeigt uns die
Scene die Frau um einige Jahrhunderte zurückversetzt, in
das Zeitalter der Medici, sie ist die Gattin eines Künstlers,
den sie eben mit einem seiner Schüler hintergangen hat. Ihr
Mann erscheint, und da er den Jüngling nicht tödten will,
ersticht sie selbst den jungen Maler mit ihrem Dolche. Da
— die Scene verwandelt sich — das Paar steht wieder in der
Bildergalerie, und die Frau verspricht dem Geliebten, daß sie
am Abend zu ihm kommen werde. Das Auge des Zuschauers
sieht den Vorgang, der sich am Abend abspielen wird, vor sich,
der grausame Ausblick auf das blutige Ende ist die Pointe
des Stückes. „Die letzten Masken“ nennt sich das
dritte Stück. Ein mit dem Tode ringender Mensch will den,
den er im Leben gehaßt, in der letzten Stunde seines Daseins
noch einmal mit seinem Haß überschütten, doch er erkennt, daß
der Gegenstand des Hasses zu nichtig und zu gering ist —
er stirbt, innerlich befreit und geläutert. Ein heiteres, über¬
müthiges und satirisches Bildchen zeigt das letzte Stück,
„Literatur". Mit viel Witz und treffendem Humor
karikirt Schnitzler das „literarische“ sübdeutsche Kaffeehaus¬
teven, seine Anspielungen wurden vom Publikum verstanden
und belacht, und das flotte Stückchen besitzt einen hohen Grad
von Lebensfähigkeit. Den vier neuen Stücken war eine außer¬
ordentlich freundliche Aufnahme beschieden, die Darsteller
gaben ihr Bestes, und so war es thatsächlich #in genußreicher
Abend, anregend in seiner Gesammtheit
in einzelnen
Zügen von tiefem Interesse.