II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 290


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16.1. Lebendige Stunden— zyklus
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noch gelebt, und Du kannst so reden? Für Dich hat sie Pauline, hat wein ganzes Leben gar keinen andern Sinn] zu Haus — ihre Mutter stammt ja aus Florenz, also
sich umgebracht, und Du gehst hin und schütteist es von
gehabt. Aber dann, wenn sie den Gatten liebt, warum hört vielleicht: eine ferne Erinnerung, wer weiß? Und jetzt
Dir ab? Und in ein paak Tagen nimmst Du's vielleicht
sie dann die Betheuerungen Leonhards an? Warum ist sie betrachtet sie das Bild erst genauer, während Leonhard
hin, als wär' es ihre Schuldigkeit gewesen? Hab' ich
dann hieher gekommen, heute und vorgestern und vor acht leidenschaftlich in sie dringt, heute Abends zu ihm zu
nicht Recht: seid ihr nicht Einer wie der Andere? Hoch¬
Tagen? Warum bebt sie, wenn ihr Knie das seine berührt, kommen. Von wem ist das Bild? Der Katalog sagt:
müthig seid ihr — das ist es: hochmüthig, Alle, die
warum werden ihre Blicke feucht, wenn er zu ihr spricht? Unbekannter Maler, starb um 1530. Und Pauline starrt
Großen wie die Kleinen! Was ist denn Deine ganze
Aber sie schneidet diese heftigen Fragen ab: nie, sie hat ihn
Schreiberei, und wenn Du das größte Genie bist, was
immer hin, während draußen die Glocken Mittag läuten.
nie geliebt, nie, wenn es auch eine Zeit gab, wo sie bereit
ist sie denn gegen so eine Stunde, so eine lebendige Stunde,
Und plötzlich sagt sie: „Ich bin es, ich bin es selbst. Er¬
gewesen wäre, seine Geliebte zu werden — aber das ist
in der Deine Mutter hier auf dem Lehnstuhl gesessen ist
kennen Sie mich nicht? Und hier im Schatten, der todte
vorbei, er hat es versäumt, es wird nicht wiederkommen.
und zu uns geredet hat oder auch geschwiegen — aber
Jüngling — Sie! Erinnern Sie sich nicht, Leonhard?
„Andere Frauen sagen in meinem Fall: ich hege für Sie
da ist sie gewesen — da! und sie hat gelebt, gelebt!“ Und
Lionardo, erinnerst Du Dich nicht?“ Und es ist dunkel
die Liebe einer Schwester, einer Freundin — verlangen
wieder muß der Dichter sich behaupten: „Lebendige
geworden, noch tönen die Glocken, dann verstummen sie,
Sie keine andere. Ich, Leonhard, sage Ihnen, daß ich so
Stunden? Sie leben doch nicht länger als der Letzte, der
es wird wieder hell, die Bühne hat sich verwandelt: wir
ziemlich Alles für Sie fühle, was Sie sich nur wünschen
sich ihrer erinnert. Es ist nicht der schlechteste Beruf.
sehen in das Atelier des Meisters Remigio; Morgengrauen;
könnten, nur Freundschaft nicht, bei Gott, nein!“ Und
solchen Stunden Dauer zu verleihen, über ihre Zeit
Lionardo auf dem Boden; Paola kommt, weiß gekleidet,
plötzlich hält sie ein und fragt, wie verloren: „Hab' ich
hinaus.
— Leben Sie wohl, Herr Hausdorfer. Ihr
ganz jenem Bilde gleich, geht zur Staffelei, zieht den
Ihnen nicht das schon einmal . . .?" Und da Leonhard
Schmerz gibt Ihnen heute noch das Recht, mich mi߬
Schleier weg, es ist dasselbe Bild, unvollendet, noch ohne
auffährt, sie habe nie zuvor noch so zu ihm gesprochen,
zuverstehen. Im Frühjahr, wenn Ihr Garten auf's Neue
die Hand mit dem Dolche. Paola hat ihren Gatten, der in
immer noch wie im Traume: „Sonderbar — mir war doch
blüht, sprechen wir uns wieder. Denn auch Sie
Flerenz weilt, diese Nacht mit seinem Schüler Lionardo
ganz...“ Doch sie schüttelt die seltsame Lähmung ab und ist
leben weiter.“
betrogen. Jetzt ekelt sie. Sie wird Remigio Alles gestehen;
nun wieder ganz sicher: sie reist morgen mit ihrem Gatten sie will kein Geheimniß mit jenem haben. Noch beschwört
Der Vorhang geht wieder auf und wir erblicken einen
fort, sie hat ihm heute Alles gestanden . . . daß sie in er sie, von ihrem Wahn zu lassen, da tritt der Gatte schon
kleinen Saal in einem Museum. Bilder der italienischen
Gefahr ist, wenn er sie nicht fortbringt. Leonhard erschrickt:
ein. Er will heiter auf sie zu. Sie wehrt ihm:
Renaissance. Eines stellt eine sehr schöne Frau in weißem
„Und Sie glauben, er wird Ihnen jemals diese Regung
Kleide vor, einen Dolch in der erhobenen Rechten, mit
Gib Acht, daß Du nicht vorschnell mich umarmst,
verzeihen? Er ist ein Mann, und wir Alle sind eitel. Er
Der hier war mein Geliebter eute Nacht.
einem Blick zum Boden, als läge dort wer von ihr ermordet.
ist ein Dichter und tausendmal eitler als wir Alle. Er
Der Saal ist leer. Ein Diener geht langsam vorbei. Dann
Remigio befiehlt gelassen: Zeh, Lionardo! Aber der.
wird Sie Ihr Leben lang büßen lassen. Er wird Sie so
schreit auf:
kommt Pauline, um Leonhard hier zu treffen, den sie —
bitter peinigen, als wenn es geschehen wäre.“ Wär' es
Tödtet mich Remigio!
liebt? Nein, sie liebt ihren Mann, den berühmten Dichter,
geschehen, antwortet Pauline, so würde er mich umbringen.
Ich nehme kine Gnade von Euch an!
von dem man heute wieder überall spricht, nach dem Erfolge
Und Leonhard: „Was fällt Ihnen ein? Er macht ein neues
Remigio gewährt es ihm nicht:
seines neuen Stückes. Sie müßte ihn darum hassen, meint
Stück daraus und am Ende ist er Ihnen noch dankbar.“
.Wer haßt, mag tödten — tödten mag, wer liebt!
Leonhard, gerade für dieses Stück, in dem sie vorkommt und
Und Pauline: „Möglich. Er wäre der Mann, Beides zu ver¬
Gleichgiltigkeit greift nach der Wasse nicht.
der Gatte und sein Verrath und ihre Verzweiflung und
einigen.“ Aber jeßt nichts mehr davon. Sie wollen lieber die
Das Glas zersplittr' ich nicht, das ärmlich schlechte,
seine Rückkehr und ihr Verzeihen und alle ihre Geheimnisse,
Daraus ein Kind verbot'nen Trank genoß.
Bilder ansehen, das Bild der weißen Frau, die ihr so ähnlich
schamlos der Neugier des Pöbels hingebreitet. Wie kann
Daß Dir die Gabe des Bewußtseins ward,
sein soll. Sie hat es früher schon betrachtet. Leonhard hat
sie einen Mann noch lieben, dem sie und ihr ganzes Schicksal
Mucht mir aus Tir nichts And'res, als Du bist,
gesagt, es gleiche ihr geradezu, abgesehen von dem Dolch.
Erbärmliches, zufäll'ges Instrument.
nichts zu bedeuten hat als eine Gelegenheit, seinen Witz] Warum „abgesehen“?, meint sie, man kann nicht wissen.
Rasend vor solcher Schmach, schwört Liovardo, ihn zu
oder allenfalls sein Genie zu zeigen? Vielleicht, sagt Sie fühlt sich sehr wohl hier, bei diesen Italienern, fast wie tödten. Paola schreit auf: Laß ihn nicht fort, er hält ven
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