16.1. Lebendige Stunden Zuklus
box 21/3
Schwur, Remigio! So wahr ich lebe, beiheuert Lionardo. nichtet — so klein gegen mich, als er sich sein Leben lang schreien! Und da kommt Weihgast auch schon, dis
Und Paola: Ja, so wahr Du lebst! Und sie eilt auf ihn zu
überlegen gefühlt hat... Ja, mein lieber Jackwerth, der,
Komödiant tritt ab, die Probe ist aus, nun wird es ernst.
und stößt ihm den Dolch in den Hals. Lionardo sinkt,
den ich da erwarte, das ist nämlich ein Jugendfreund von Weihgast ist sehr freundlich mit dem armen Freunde; er
Paola starrt, den Dolch erhoben, den Blick auf ihm, wie in
mir. Und vor fünfundzwanzig Jahren und auch noch vor
steht ihm in jeder Weise zur Verfügung. Es thut uns
jenem Bilde. Aber Remigio spricht, gefaßt, beinahe heiter:
zwanzig Jahren waren wir sehr gut miteinander, denn wir
eigentlich ein bischen leid um ihn, da wir wissen: gleich
War dies der Sinn? Ist mein Gebet erhört,
haben beide auf demselben Fleck angefangen, nur daß wir
wird jetzt Rademacher reden. Aber er redet noch nicht
Daß für mein Bildniß mie Erleuchtung werde?
dann einen verschiedenen Weg gegangen sind, er immer
Ja, so vollend' ich's! Der Du dies gefügt,
gleich. Weihgast will ihn auf alle Weise trösten, und um ihm
5 Himmel, eine Stunds lang gewähre
höher hinauf und ich immer tiefer hinunter. Und heut' ist
was Angenehmes zu sagen, meint er: „Ich bin ein wenig
Der Scele Frieden, Ruhe dieser Hand!
es so weit, daß er ein reicher und berühmter Dichter ist und
befangen, ich will es Dir gestehen; denn äußerlich betrachtet,
ich bin ein armer Teufel von Journalist und crepir im
Er versperrt die Thür und tritt an das Bild, Paola
möchte man wohl glauben, daß ich Derjenige bin, dessen
Spital. Aber es macht nichts, es macht nichts — denn jetzt
starrt. Da verdunkelt es sich, jene Glocken ertönen, rasch
Los besser gefallen ist. Und doch — wenn man die Sache so
kommt der Moment, wo ich ihn zerschmettern kann . .. und
ist die Bühne verwandelt: der kleine Saal, das Bild,
nimmt, wie sie ja doch eigentlich genommen werden muß —,
sich werd' es thun! Wenn er nur kommt — wenn er nur
Pauline mit Leonhard. Dieser fragt: Was ist Ihnen,
wer hat mehr Enttäuschungen erlebt? Immer der, der
kommt! Ich weiß, Herr Jackwerth, heute Nachmittags war
Pauline? Sie scheint zu erwachen, sie sieht sich um, und
scheinbar mehr erreicht hat. — Das klingt paradox, und
Ihre Geliebte bei Ihnen — aber was ist denn alle Gluth,
der Dichter merkt an: „In ihren Zügen drückt sich allmälig
doch ist es so. — Ah, wenn ich Dir erzählen wollte ...
mit der man ein geliebtes Wesen erwartet, gegen die Sehn¬
die Ueberzeugung aus, daß ein Schicksal über ihr ist, dem
nichts als Kämpfe, nichts als Sorgen. — Ich weiß nicht,
sucht nach Einem, den man haßt, den man sein ganzes Leben
sie nicht entrinnen kann.“ Und so läßt er sie zu Leonhard,
ob Du die Bewegung der letzten Zeit so verfolgt hast. Nun
lang gehaßt hat und dem man vergessen hat, es zu sagen!“
indem sie ihm die Hand reicht und ihm ernst und fest ins
stürzen sie über mich her. ... Wer? Die Jungen. Wenn
So speit er seinen Neid aus, und der Kom iant, der ihm
Auge sieht, „nicht mit dem Ausdruck der Liebe, sondern der
mon bedenkt, daß man vor zehn Jahren selbst noch ein
mit dem grimmigen Eifer des Raté zuhört, hat einen
Entschlossenheit“ sagen: Ich komme! Dann geht sie rasch.
Junger war. Jetzt versuchen sie, mich zu entthronen ...
tückischen Einfall: sie wollen vorher eine Probe abhalten,
Das verlockend wirre Spiel, wie dunkles Wasser tief,
Wenn man diese neuen Revuen liest ... Ah, es ist, um
ist aus.
damit es dann besser geht, damit er seine Sachen richtig zu
Uebelkeiten zu bekommen! Mit Hohn, mit Herablassung be¬
„bringen“ weiß — gleich jetzt, der Komödiant will den
Und der Vorhang geht auf und da ist ein „Extra¬
handeln sie mich. Es ist jämmerlich! Da hat man nun
Dichter markiren. Und er setzt sich in Positur: „Du spannst
kammerl“ im Allgemeinen Krankenhaus. Carl Rademacher,
redlich gearbeitet und gestrebt, hat sein Bestes gegeben —
mich auf die Folter, alter Kumpan. Was wünschest Du mir
ein verkommener und verbrauchter alter Journalist, und
und nun ... Ah, sei froh, daß Du von all den Dingen
mitzutheilen?“ Wie sich eben ein Komödiant einen Dichter
1
Florian Jackwerth, ein Komödiant, beide sterbend. Jener
nichts weißt.“ Sein einziger Trost im Aerger ist noch
reden denkt. Und nun legt der Journalist los: wie er den
weiß es, und er hat nur noch einen Wunsch: noch einmal,
seine Frau. „Wahrhaftig, bei ihr find' ich mich selbst —
Dichter haßt, weil er ihn kennt — und „mein lieber Freund,
bevor Alles vorbei ist, seinen Freund Alexander Weihgast
den Glauben an mich wieder, wenn ich nahe daran hin,
nicht nur ich kenne Dich wie tausend Andere, auch Dein
zu sehen, den berühmten Dichter Weihgast. Der Secundarins
ihn zu verlieren — die Kraft zu schaffen, die Lust zu
geliebtes Weib kennt Dich besser als Du ahnst und hat Dich
verspricht ihm, diesen zu holen. Und nun warlet er, sieberisch
leben. Und je älter man wird, umso mehr fühlt man,
schon vor zwanzig Jahren durchschaut ... und ich weiß es
erregt. Ah, wird ihm das wohl thun! Dann stirbt er gern,
daß dies doch der einzige wahre Zusammenhang ist, den es
besser als irgend Einer, denn sie war meine Geliebte zwei
wenn er erst mit dem abgerechnet hat! „Wenn er nur
gibt.“ Und der Andere, der Journalist, schweigt noch
Jahre lang, und hundertmal ist sie zu mir gelaufen, immer und lächeli nur manchmal sonderbar. Endlich fragt
kommt ... wenn er nur kommt! Ich bitt' Dich, mein Herr¬
angewidert von Deiner Nichtigkeit und Leere, und
gott, wenn Du mich auch vierundfünfzig Jahre lang im
der Dichter wieder, was er für ihn thun, wie er ihm helfen
hat mit mir auf und davon wollen. Aber
Stich gelassen hast, gib mir wenigstens die letzte Viertel¬
könne. Da wehrt er ihn ab: „Lass' lafs'. Ich brauche
ich war arm, und sie war feig, und darum ist sie bei Dir
nichts — nichts ... Ich hab' Dich nur noch einmal sehen
stunde noch Kraft, daß es sich ausgleicht, so gut als es geht. geblieben und hat Dich betrogen! Es war bequemer für wollen, mein alter Freund —, das ist Alles. Ja.“ Und
Laß mich's erleben, daß er da vor mir sitzt — bleich, ver= uns Alle.“ Ab. welche Wollust, ihm das ins Gesicht zu ser reicht ihm die Hand, sie sind zu Ende der Dichter geht
box 21/3
Schwur, Remigio! So wahr ich lebe, beiheuert Lionardo. nichtet — so klein gegen mich, als er sich sein Leben lang schreien! Und da kommt Weihgast auch schon, dis
Und Paola: Ja, so wahr Du lebst! Und sie eilt auf ihn zu
überlegen gefühlt hat... Ja, mein lieber Jackwerth, der,
Komödiant tritt ab, die Probe ist aus, nun wird es ernst.
und stößt ihm den Dolch in den Hals. Lionardo sinkt,
den ich da erwarte, das ist nämlich ein Jugendfreund von Weihgast ist sehr freundlich mit dem armen Freunde; er
Paola starrt, den Dolch erhoben, den Blick auf ihm, wie in
mir. Und vor fünfundzwanzig Jahren und auch noch vor
steht ihm in jeder Weise zur Verfügung. Es thut uns
jenem Bilde. Aber Remigio spricht, gefaßt, beinahe heiter:
zwanzig Jahren waren wir sehr gut miteinander, denn wir
eigentlich ein bischen leid um ihn, da wir wissen: gleich
War dies der Sinn? Ist mein Gebet erhört,
haben beide auf demselben Fleck angefangen, nur daß wir
wird jetzt Rademacher reden. Aber er redet noch nicht
Daß für mein Bildniß mie Erleuchtung werde?
dann einen verschiedenen Weg gegangen sind, er immer
Ja, so vollend' ich's! Der Du dies gefügt,
gleich. Weihgast will ihn auf alle Weise trösten, und um ihm
5 Himmel, eine Stunds lang gewähre
höher hinauf und ich immer tiefer hinunter. Und heut' ist
was Angenehmes zu sagen, meint er: „Ich bin ein wenig
Der Scele Frieden, Ruhe dieser Hand!
es so weit, daß er ein reicher und berühmter Dichter ist und
befangen, ich will es Dir gestehen; denn äußerlich betrachtet,
ich bin ein armer Teufel von Journalist und crepir im
Er versperrt die Thür und tritt an das Bild, Paola
möchte man wohl glauben, daß ich Derjenige bin, dessen
Spital. Aber es macht nichts, es macht nichts — denn jetzt
starrt. Da verdunkelt es sich, jene Glocken ertönen, rasch
Los besser gefallen ist. Und doch — wenn man die Sache so
kommt der Moment, wo ich ihn zerschmettern kann . .. und
ist die Bühne verwandelt: der kleine Saal, das Bild,
nimmt, wie sie ja doch eigentlich genommen werden muß —,
sich werd' es thun! Wenn er nur kommt — wenn er nur
Pauline mit Leonhard. Dieser fragt: Was ist Ihnen,
wer hat mehr Enttäuschungen erlebt? Immer der, der
kommt! Ich weiß, Herr Jackwerth, heute Nachmittags war
Pauline? Sie scheint zu erwachen, sie sieht sich um, und
scheinbar mehr erreicht hat. — Das klingt paradox, und
Ihre Geliebte bei Ihnen — aber was ist denn alle Gluth,
der Dichter merkt an: „In ihren Zügen drückt sich allmälig
doch ist es so. — Ah, wenn ich Dir erzählen wollte ...
mit der man ein geliebtes Wesen erwartet, gegen die Sehn¬
die Ueberzeugung aus, daß ein Schicksal über ihr ist, dem
nichts als Kämpfe, nichts als Sorgen. — Ich weiß nicht,
sucht nach Einem, den man haßt, den man sein ganzes Leben
sie nicht entrinnen kann.“ Und so läßt er sie zu Leonhard,
ob Du die Bewegung der letzten Zeit so verfolgt hast. Nun
lang gehaßt hat und dem man vergessen hat, es zu sagen!“
indem sie ihm die Hand reicht und ihm ernst und fest ins
stürzen sie über mich her. ... Wer? Die Jungen. Wenn
So speit er seinen Neid aus, und der Kom iant, der ihm
Auge sieht, „nicht mit dem Ausdruck der Liebe, sondern der
mon bedenkt, daß man vor zehn Jahren selbst noch ein
mit dem grimmigen Eifer des Raté zuhört, hat einen
Entschlossenheit“ sagen: Ich komme! Dann geht sie rasch.
Junger war. Jetzt versuchen sie, mich zu entthronen ...
tückischen Einfall: sie wollen vorher eine Probe abhalten,
Das verlockend wirre Spiel, wie dunkles Wasser tief,
Wenn man diese neuen Revuen liest ... Ah, es ist, um
ist aus.
damit es dann besser geht, damit er seine Sachen richtig zu
Uebelkeiten zu bekommen! Mit Hohn, mit Herablassung be¬
„bringen“ weiß — gleich jetzt, der Komödiant will den
Und der Vorhang geht auf und da ist ein „Extra¬
handeln sie mich. Es ist jämmerlich! Da hat man nun
Dichter markiren. Und er setzt sich in Positur: „Du spannst
kammerl“ im Allgemeinen Krankenhaus. Carl Rademacher,
redlich gearbeitet und gestrebt, hat sein Bestes gegeben —
mich auf die Folter, alter Kumpan. Was wünschest Du mir
ein verkommener und verbrauchter alter Journalist, und
und nun ... Ah, sei froh, daß Du von all den Dingen
mitzutheilen?“ Wie sich eben ein Komödiant einen Dichter
1
Florian Jackwerth, ein Komödiant, beide sterbend. Jener
nichts weißt.“ Sein einziger Trost im Aerger ist noch
reden denkt. Und nun legt der Journalist los: wie er den
weiß es, und er hat nur noch einen Wunsch: noch einmal,
seine Frau. „Wahrhaftig, bei ihr find' ich mich selbst —
Dichter haßt, weil er ihn kennt — und „mein lieber Freund,
bevor Alles vorbei ist, seinen Freund Alexander Weihgast
den Glauben an mich wieder, wenn ich nahe daran hin,
nicht nur ich kenne Dich wie tausend Andere, auch Dein
zu sehen, den berühmten Dichter Weihgast. Der Secundarins
ihn zu verlieren — die Kraft zu schaffen, die Lust zu
geliebtes Weib kennt Dich besser als Du ahnst und hat Dich
verspricht ihm, diesen zu holen. Und nun warlet er, sieberisch
leben. Und je älter man wird, umso mehr fühlt man,
schon vor zwanzig Jahren durchschaut ... und ich weiß es
erregt. Ah, wird ihm das wohl thun! Dann stirbt er gern,
daß dies doch der einzige wahre Zusammenhang ist, den es
besser als irgend Einer, denn sie war meine Geliebte zwei
wenn er erst mit dem abgerechnet hat! „Wenn er nur
gibt.“ Und der Andere, der Journalist, schweigt noch
Jahre lang, und hundertmal ist sie zu mir gelaufen, immer und lächeli nur manchmal sonderbar. Endlich fragt
kommt ... wenn er nur kommt! Ich bitt' Dich, mein Herr¬
angewidert von Deiner Nichtigkeit und Leere, und
gott, wenn Du mich auch vierundfünfzig Jahre lang im
der Dichter wieder, was er für ihn thun, wie er ihm helfen
hat mit mir auf und davon wollen. Aber
Stich gelassen hast, gib mir wenigstens die letzte Viertel¬
könne. Da wehrt er ihn ab: „Lass' lafs'. Ich brauche
ich war arm, und sie war feig, und darum ist sie bei Dir
nichts — nichts ... Ich hab' Dich nur noch einmal sehen
stunde noch Kraft, daß es sich ausgleicht, so gut als es geht. geblieben und hat Dich betrogen! Es war bequemer für wollen, mein alter Freund —, das ist Alles. Ja.“ Und
Laß mich's erleben, daß er da vor mir sitzt — bleich, ver= uns Alle.“ Ab. welche Wollust, ihm das ins Gesicht zu ser reicht ihm die Hand, sie sind zu Ende der Dichter geht