II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 292

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Lebendige Stunden— zuklus
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Der Journalist sieht ihm nach: „Wie armselig sind doch Ah, er kommt zurück, aber nein, er ist es nicht, es ist vom nächsten gelindert und verwandelt wird. Ist nicht
die Leute, die auch morgen noch leben müssen . .. WasGilbert, ein College, einer aus ihrer Vergangenheit, aber er abscheulich, was die Künstle. ihun? Sie treten nackt vor
hab' ich mit ihm zu schaffen? Was geht mich sein Glück, kommt nur als guter Bekannter, er will gar nicht stören,
das Publicum hin! Statt zu leiden und sich zu freuen,
was geh'n mich seine Sorgen an? Was haben wir Zwei das Andere ist ja längst vorbei. Und indem sie plaudern,
horchen sie sich aus und machen darüber ein Stück, ein
miteinander zu reden gehabt? He! Was? ... Was hat
natürlich sprühend, stellt es sich heraus, daß auch er einen
Bild! Ist das Leben nicht mehr, als jemals ein Werk sein
unsereiner mit den Leuten zu schaffen, die morgen auch noch Roman geschrieben hat, und es stellt sich allmälig heraus,
kann? Eine lebendige Stunde nicht mehr als alle Gedichte
auf der Welt sein werden?“ Er sinkt auf den Sessel.
daß sie Beide denselben Roman geschrieben haben, nämlich
und alle Gemälde der Welt? Ja, aber wer lebt sie denn je,
Und noch einmal gehi der Vorhang auf. Clemens,
um die Briefe herum, die sie damals, als sie sich liebten,
die lebendigen Stunden? Werden sie nicht immer erst in
ein junger Graf. Margarethe, eine junge Witwe. Sie miteinander getauscht — sie war so vorsichtig, die ihren
der Erinnerung lebendig? Sind sie es, im Gedichte, im
haben sich gern, sie werden sich heiraten. Sie sino sehr immer früher aufzusetzen, und er, die seinen immer vorher] Gemälde ausgedrückt, nicht mehr, als sie es, erlebt, jemals
glücklich. Nur daß es ihn manchmal ein bischen verstimmt,
abzuschreiben. Wie wird das nun werden? Sein Roman sein können? Leben wir nicht vielleicht überhaupt nur,
daß sie eine Vergangenheit hat, nämlich eine literarische:
ist natürlich auch schon gedruckt. Das gibt ja einen wenn wir schaffen? Welch ein Leben aber, das so viel
sie hat Gedichte gemacht und hat sie drucken lassen. Das ist
europäischen Scandal! Und Clemens? „Ja, Clemens hat zerstört! Doch wo wäre ein Leben, das nicht zerstört? Und
ihm schrecklich; da kann er eben nicht mit, wie sie sagt.
recht. Aerger als die Weiber beim Ronacher sind wir, die
was heißt leben endlich, was heißen alle Gewalten des
Eigentlich komisch von einem Menschen, der ein Dutzend
sich in Tricots hinausstellen. Unsere geheimsten Seligkeiten,
Lebens, Liebe, Haß, Neid, die uns treiben und doch in
stadtbekannie Verhältnisse gehabt hat. Aber er meint:
unsere Schmerzen, Alles stellen wir aus! Pfui! Pfuil Mich
nichts zerfallen, wenn uns der Tod antritt! Wie verblaßt
„Stadtbekannt hin, stadtbekannt her
— ich hab's
ekelt ja vor mir!“ Da kommt der Graf zurück
da jeder Schein, der uns gelockt oder gequält hat, in der
Niemandem erzählt, ich hab's nicht drucken lassen, wenn
und erklärt resolut, daß schon Alles in Ordnung
Stunde des Todes! Ist sie nicht vielleicht die einzige wahr¬
mir Eine trunken am Hals gehängt ist, und ein Jeder hat
ist: er hat mit Künigel abgemacht, daß ihr Roman ein¬
haft lebendige Stunde? „Und so lang' Du das nicht hast,
sich's um einen Gulden fünfzig kaufen können! Darauf gestampft wird, bis auf ein einziges Exemplar, das er ihr
dieses: Stirb und werde!, bist Du nur ein trüber Gast
kommt's an! Ich weiß ja, daß es Leute gibt, die davon mitbringt — sie wollen es jetzt gleich zusammen lesen. Er
auf der dunklen Erde.“
leben; aber ich find' es im höchsten Grad unfein. Ich sag' nimmt das Buch, setzt sich, schlägt es auf. Da ergreift sie es,
Unter den Darstellern ist zuerst Herr Bassermann
Dir, mir kommtts ärger vor, als wenn sich Eine im Tricotwirft es ins Feuer und lehnt sich an ihn: „Clemens, wirst
der den Remigio vielleicht nicht mit der ganzen Hoheit,
als griechische Statue beim Ronacher hinausstellt. So eine
Du mir jetzt glauben, daß ich Dich liebe?“
welche die Rolle verlangt, den Dichter Weihgast vortrefflich,
griechische Statue sagt doch nicht Mau! Aber was so ein
Aber nun kommt das Publicum und verlangt, daß wir
nur vielleicht um einen Grad zu deutlich in der Ironie,
Dichter Alles ausplauscht, das geht über den Spaß!“ Nun,
ihm sagen sollen, was der Dichter denn mit diesen Stücken
den Grafen Cle aber einfach prachtvoll gab und dobei eine
hoffentlich wird sie es nicht mehr thun. Sie hat es aber schon
sagen will. Darauf ist zu antworten: Wenn wir es könnten,
ganz außerordentliche Kraft der Verwandlung bewies, und
wieder gethan: Sie hat sogar einen Roman geschrieben,
wäre er keiner. Sein Amt ist es eben, uns durch seine
neben ihm gleich Fräulein Triesch zu nennen, die, seit
einen großen Roman, der „sozusagen das Meiste enthält,
Worte mehr fühlen zu lassen, als mit Worten ausgesprochen
wir sie zuletzt, vor drei Jahren, im Raimund=Theater
was über das Meiste zu sagen ist“; und Künigel, der Ver=werden kann. Jeder Gedanke wird, wenn er ausgesprochen
sahen, merkwürdig reif und stark im Ausdruck geworden
leger, ist entzückt davon. Clemens wird wüthend. „Daß Duwird, eigentlich schon beformirt, weil das Wort ihn ab¬
ist. Die Herren Reinhardt, Nittner, Kayßler!
ihn hast schreiben müssen — gut; aber lesen soll ihn schließt und begrenzt. „Sobald man spricht, beginnt man
und Hofmeister schlossen sich in ihrer ja bekannten.
wenigstens Keiner. Bring' ihn her, wir wollen ihn ins schon zu irren,“ heißt es. Und das ist es gerabe, was der
Weise an. Der Erfolg war sehr lebhaft und laut, am
Feuer werfen.“ O nein! Uebrigens ist es auch gar nicht Dichter vermeidet, indem es ihm gegeben ist, seine Gefühle
lautesten natürlich nach der heiteren „Literatur". Der
mehr möglich, der Roman ist schon gedruckt. Da springt zugleich höchst bestimmt und doch höchst fragwürdig dar¬
Dichter wurde stürmisch immer wieder und wieder
Clemens auf und renni fort. Was hat das zu bedeuten? zustellen. Die vier Stücke regen tausend Gedanken und
gerufen.
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Verläßt er sie? Will er ihr nur Angst machen? Es läutet. Gefühle in uns auf, aber so, daß jeder und jedes soaleich!
Zermann Bahr.“