II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 362

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16.1. Lebendige Stunden— Zukius
au
Schicksal haben, tödten und glühendes Leben spenden, sich auf¬
in das wirkliche eingeschaltet, das ist „Die Frau mit dem
opfern dabei — auch Hedda Gabler hat, beiläufig bemerkt,
Dolche“, diese groteske Phantasie voll poctischer und seelischer
danach gestrebt. Daß jedoch Remigio's Fähigkeit, über den
Weisheit.
jähen Schmerz hinweg, ruhevoll zum Schaffen zu schreiten,
Komödie und Wahrheit spielen auch in den „Letzten Masken“
der Phantasie einer Frau entspringt, ist das Wesentliche. So
ineinander. Rademacher, der arme Journalist, stirbt im
hoch stellt die an einer Künstlerseele gebildete und zum Be¬
Krankenhause. Ein gescheiter, zugrunde gegangener Dichter,
greifen erzogene Frau den schöpferischen Mann, daß sie ihm
aber ein Dichter eben, läßt er sich von dem Komiker, der
zutraut, über Nichtigkeiten, wie hübsche Burschen es sind,
als Stubengenosse bei ihm ist, in der fieberischen Erregung
gelassen wegzusehen. Was ist Leonhard? Ein Junge mit
der Agonie hinreißen, eine Probe abzuhalten, eine Probe all
weißem Halse. Es ist ganz gleichgiltig, ob Paulinens
der tödtlichen Wahrheiten, die er seinem talentlosen, aber
wirklicher Remigio gegebenen Falles so reagiren würde; aus¬
glücklich zur Berühmtheit emporgekommenen Jugendfreund
schlaggebend bleibt nur, daß Pauline ihrem Manne solche
zu guterletzt in's Gesicht schleudern will. Niemals noch ist
Kraft in die Seele legt, ja, daß sie dergleichen bestimmt
der bei aller darstellenden Kraft doch immer weiche und
von ihm erwartet, daß er sie anders enttäuschen würde. Ein
zärtliche Schnitzler so scharf und so voll rückhaltloser
tobender Remigio könnte den Lionardo tödten, das hälfe ihm
Satire gewesen. Niemals noch hat seine schmiegsame
wenig. Er würde sicher in der nächsten Nacht betrogen, und
Anmuth so straffe, harte Linien gezogen. Und nie ist
diesmal anders noch, gemeiner, einfach gewöhnlich. Tief lebt
er von seiner charmanten Ironie so dicht an grausame
im Weibe die Auffassung der künstlerischen Natur, und nur
Bitterkeit herangetreten, wie in diesem Stück. Hier beginnt
das Weib allein vermag, da es die Mysterien der Be¬
der Haß gegen den im Metier verdorrten Menschen furchtbar
fruchtung kennt, den Dichtermenschen zu verstehen. Des
aus der Schule zu reden. Und im letzten Stück ist die Ge¬
Künstlers Art, nie im Leben selbst, sondern stets nur dem
schichte von Remigio umgekehrt. Da ist der von den „geistigen
Leben gegenüberzustehen, konnte erschöpfend nicht verhandelt
Beziehungen“ ausgeschlossene, der schöne Mann auch zu¬
werden, ohne auch diesen Frauentypus zu zeigen. Pauline
gleich der wahrhaft gute Mensch. Da sind zwei im Hand¬
ist eine jener Ergänzungen, die nur die reife Gestaltung
sich findet.
werk Verdorbene, zwei in der „Literatur“ über und über
mit Tinte beschmierte Seelen die Minderwerthigen. Und
Ein beträchtlicher Reiz dieses Stückes liegt in der merk¬
das ist mit der Verve gezeigt, die Schnitzler's heiterer
würdigen, zuletzt frappirenden Erfindung. Pauline, die in
Dialog besitzt.
der Frau mit dem Dolche ihre eigenen Züge erkennt und
Arthur Schnitzler mag das tiefe Verlangen gespürt
sich halb wach, halb träumend, an ein Erlebniß erinnert, das
haben, sein menschliches Fühlen über den Raub am Leben,
dreihundert Jahre zurück liegt. War sie, Pauline, die Freundin
den der Dichter begeht, zur Ruhe zu bringen. Aus dieser
des Leonhard nicht einmal Paola, die Geliebte des Lionardo?
Sehnsucht sind vier kleine, wunderbar feine Dichtungen ent¬
So kommt man zum erstenmal in eine fremde Stadt, findet
standen, prangend in all' der Vollendung, die nur aus der
sich sogleich zurecht, geht ohne zu fragen durch Gassen, die
inneren Nothwendigkeit herrührt. Es ist in mancher Be¬
bekannt scheinen, weiß im Voraus, was für ein Platz hinter
ziehung die erfreulichste Arbeit, die er geleistet hat. Sie
jener Biegung sich birgt, und hegt, im Innersten
zeigt seine helle, künstlerische und seelische Ehrlichkeit: sie
erstaunt, die wunderliche Gewißheit, schon einmal hier
zeigt
ferner seinen ruhigen, sicheren Entwicklungs¬
gewesen
zu sein. Wann? Schnitzler spielt gerne mit
gang. Wie er mit dem Anatol=Typus und dem
solchen Räthseln, denen Hebbel schon nachgegrübelt
„süßen Mädel“, fertig geworden („Schleier der Beatrice"),
hat. Spiegelbilder liebt er und Verschachtelungen.
er hier mit Allem fertig geworden, was
Das Leben, das manchmal selbst ein wenig dichtet, fesselt
Papier, was „de la literature“ in
ihn, und der Maler Pinsel, wie er den Maler Pinsel malt,
der Dichtkunst
ist. Und nun werden wir vielleicht einmal eine große Ge¬
ist für ihn ersichtlich nicht nur ein Scherz, sondern von
stalt von ihm sehen, eine, die den mit allen prächtigen
ieferer Bedeutung. Die komödiantische Revolution in der
Wünschen ausgestatteten Bentivoglio noch um Haupteslänge
virklichen, bis sie einander völlig decken, so sehr, daß man
überragt. Sehen? Man weiß ja, daß Arthur Schnitzler auf
den Ernst erst merkt, wenn ein richtiger Herzog ernsthaft
der Wiener Bühne hinter Schönthan und Trotha zurück¬
ermordet wird. Das war „Der grüne Kakadu“, dieser in
stehen muß. Aber im nächsten Mai kehrt uns das „Deutsche
seinem Ri#hthum an Beziehungen wie in seiner farbigen Theater“ aus Berlin vielleicht wieder.
Intensität ganz einzige Einfall. Das geträumte Schicksal
Felix Salten.