16.1 LeendiStunden#kius
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zu grell ist, und er bleibt der Liebling der Theateragenten,
Cassiere und Directoren, der aufgeführteste der literarischene
Dramatiker. Er ist nämlich literarisch, weil er -Problemes aufrollt,
einen krampfhaft geistreichen Dialog sprüht. Und da er deutlich
ist, sozusagen mit meterhohen Buchstaben schreibt, die auch der
Schwachsichtigste lesen muss, kann es ihm nicht fehlen, und er
mnuss der Liebling aller jener sein, die -Höherese sein möchten
und einen unerzogenen Geschmack haben: vom Commis bis
zur Banquiersgattin. Er ist der einzige, auf den Brahm rechnen
kann, er ist todte Gewissheit, wenn die Naturalisten längst auf
dem Platze geblieben sind. Aber er gehört nur finanziell zu Brahm,
weil dieser Glückliche an seinen Stücken Geld verdient, nicht
künstlerisch; und er kann den Zusammensturz der Partei nicht
aufhalten, deren Fahne die Berliner tragen.
Auch Heyermanns, ihre letzte Hoffnung, wird ihnen nicht
heifen. Er ist nicht etwa der gesuchte, undenkbare Milien¬
dramatiker, sondern er hat nur in seinem Stimmungsbilde ein
neues Milien entdeckt: die Proletarier des Meeres, die Fischer,
An Beobachtungsintensität unter Hauptmann stehend, übertrifft
er ihn in einer unangenehmen, tendenziösen Redseligkeit, die gar
nicht holländisch ist und mehr auf Abstammung und Stellung
des Verfassers als jüdischen Journalisten hindentet. Sie zeigt,
dass Heyermanns zwischen den Veristen und Leitartikeldichtern
steht; von den ersteren hat er kleine Geschicklichkeiten des Hand¬
werks, von den letzteren die grossen Tiraden und eine spitzig¬
wirksame, verlogene Satire gelernt. Er ist einer unter vielen, kein
eclawenr, sondern ein #roittenr. Er wird, wie seinen Genossen
schon jetzt geschieht, versagen, wenn sein Stoff versagt; die
Kunst wie auch nur die grobe Theaterwirkung geht, wenn sie
den ihnen vertrauten Boden verlassen, über ihre Kraft; gleich
Antäus sind sie erdgeboren und werden schwach, wenn ihr Fuss
nicht den mütterlichen Boden tritt; ihr Pegasus ist ein karren¬
ziehender Ackergaul, der nicht wie ein echtes Götterpferd
hoch durch die Lüfte fliegen kann.Die versunkene Glocke¬
war dem deutschen Bühnennaturalismus die Todtenglocke, und
niemand weist ihm Den Weg zum Lichte
Ist also kein Dichter aus der von den Berlinern so viele
Jahre geschlagenen Schlacht als Ueberlebender geblieben? Waren
Eifer und Lärm völlig vergeblich? So schlimm haben es die
Götter nicht mit uns gemeint. Einer von den vielen Lposteln,
die Otto Brahm für seine Lehre fand, hat sich als Dichter
erwiesen. Arthur Schnitzler hat sich nicht mit der unkünstleri¬
schen, leichten Gruppierung der Za######ers begnügt, er ist tiefer
gegangen und hat in verborgenen Schächten der Kunst geschürft.
Aber er ist dabei über das =Deutsche Theatere hinausgewachsen.
Das hat die Aufführung seiner vier Einacter gezeigt; sie war
ebenso ungenügend wie die Regie. Der treffliche Lehrer Brahm
und seine tüchtigen Schüler standen rathlos vor dem Unlern¬
baren: der Kunst. Da galt es eben nicht, dem Leben nachzu¬
machen, im Dialecte, Gang, Geberden sicher zu sein, kleine Münze
auszugeben. Man erinnerte sich der Worte, die schon vor andert¬
halb Jahrhunderten der kluge Aesthet J. J. Engel für naturalistische
Pöbelrevolten fand: Nachahmung, Darstellung der Natur ist, wie
man schon oft erinnert hat und noch immer von neuem zu
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zu grell ist, und er bleibt der Liebling der Theateragenten,
Cassiere und Directoren, der aufgeführteste der literarischene
Dramatiker. Er ist nämlich literarisch, weil er -Problemes aufrollt,
einen krampfhaft geistreichen Dialog sprüht. Und da er deutlich
ist, sozusagen mit meterhohen Buchstaben schreibt, die auch der
Schwachsichtigste lesen muss, kann es ihm nicht fehlen, und er
mnuss der Liebling aller jener sein, die -Höherese sein möchten
und einen unerzogenen Geschmack haben: vom Commis bis
zur Banquiersgattin. Er ist der einzige, auf den Brahm rechnen
kann, er ist todte Gewissheit, wenn die Naturalisten längst auf
dem Platze geblieben sind. Aber er gehört nur finanziell zu Brahm,
weil dieser Glückliche an seinen Stücken Geld verdient, nicht
künstlerisch; und er kann den Zusammensturz der Partei nicht
aufhalten, deren Fahne die Berliner tragen.
Auch Heyermanns, ihre letzte Hoffnung, wird ihnen nicht
heifen. Er ist nicht etwa der gesuchte, undenkbare Milien¬
dramatiker, sondern er hat nur in seinem Stimmungsbilde ein
neues Milien entdeckt: die Proletarier des Meeres, die Fischer,
An Beobachtungsintensität unter Hauptmann stehend, übertrifft
er ihn in einer unangenehmen, tendenziösen Redseligkeit, die gar
nicht holländisch ist und mehr auf Abstammung und Stellung
des Verfassers als jüdischen Journalisten hindentet. Sie zeigt,
dass Heyermanns zwischen den Veristen und Leitartikeldichtern
steht; von den ersteren hat er kleine Geschicklichkeiten des Hand¬
werks, von den letzteren die grossen Tiraden und eine spitzig¬
wirksame, verlogene Satire gelernt. Er ist einer unter vielen, kein
eclawenr, sondern ein #roittenr. Er wird, wie seinen Genossen
schon jetzt geschieht, versagen, wenn sein Stoff versagt; die
Kunst wie auch nur die grobe Theaterwirkung geht, wenn sie
den ihnen vertrauten Boden verlassen, über ihre Kraft; gleich
Antäus sind sie erdgeboren und werden schwach, wenn ihr Fuss
nicht den mütterlichen Boden tritt; ihr Pegasus ist ein karren¬
ziehender Ackergaul, der nicht wie ein echtes Götterpferd
hoch durch die Lüfte fliegen kann.Die versunkene Glocke¬
war dem deutschen Bühnennaturalismus die Todtenglocke, und
niemand weist ihm Den Weg zum Lichte
Ist also kein Dichter aus der von den Berlinern so viele
Jahre geschlagenen Schlacht als Ueberlebender geblieben? Waren
Eifer und Lärm völlig vergeblich? So schlimm haben es die
Götter nicht mit uns gemeint. Einer von den vielen Lposteln,
die Otto Brahm für seine Lehre fand, hat sich als Dichter
erwiesen. Arthur Schnitzler hat sich nicht mit der unkünstleri¬
schen, leichten Gruppierung der Za######ers begnügt, er ist tiefer
gegangen und hat in verborgenen Schächten der Kunst geschürft.
Aber er ist dabei über das =Deutsche Theatere hinausgewachsen.
Das hat die Aufführung seiner vier Einacter gezeigt; sie war
ebenso ungenügend wie die Regie. Der treffliche Lehrer Brahm
und seine tüchtigen Schüler standen rathlos vor dem Unlern¬
baren: der Kunst. Da galt es eben nicht, dem Leben nachzu¬
machen, im Dialecte, Gang, Geberden sicher zu sein, kleine Münze
auszugeben. Man erinnerte sich der Worte, die schon vor andert¬
halb Jahrhunderten der kluge Aesthet J. J. Engel für naturalistische
Pöbelrevolten fand: Nachahmung, Darstellung der Natur ist, wie
man schon oft erinnert hat und noch immer von neuem zu