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16. 1. Lebendige Stunden zuklus
Telephon 12801.
Alex. Welgl’s Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Ausschnitt
„OBSERYER“
Nr. 30
I. österr. behördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
Wien, IX/1, Türkenstrasse 17.
— Filiale in Budapest: „Figyelö“ —
Vertretungen in Berlin, Chicago, Genf, London, Newyork, Paris, Rom, Stockholm.
Ausschnitt aus:
Bresirner General Inseiter
vom:
+ 22
ERSATZ
— —
Lobe=Theater.
Sonnabend, den 8. Februar: Zum ersten Male: „Lebendige
Stunden“. Einacter=Cyelus von Arthur Schnitzler.
Ein allen gemeinsames Problem hat den vier Einactern den
Gesammttitel, der auch den Untertitel des ersten Stückes bildet, ge¬
geben: Sind das die wahrhaft lebendigen Stunden, die in vollem
Erfassen der Wirklichkeit verfließen, oder die Stunden künstlerischen,
allen Jubel und alles Leid der Gegenwart objectivirenden, veredeln¬
den und verklärenden Schaffens? Und hieran knüpft sich die weitere
1
50 Frage, ob der Künstler, dem alle Realität nur Mittel zu seinem Ge¬
6100
Für
n
1n Sh
Liebhaber erblicken müsse. Einem schwindsüchtigen Provinzschau¬
2 staltungszweck ist, über sie hinwegschreiten und die Hinopferung der
spieler erzählt er dies Alles, aber als Weihgast kommt, schweigt er.
5 Liebe und sogar des Lebens seiner Allernächsten auf dem Hochaltar!
Er sieht, wie arm Weihgast doch eigentlich innerlich ist und daß er
„
" 100 seiner Kunst annehmen darf. Zwei Weltanschauungen, von denen die
an dem Verhaßten, auch Glücklosen schon genug gerächt sei. Wenige
n eine zu diesen Fragen Ja, die andere zu ihnen Nein sagt, werden
Augenblicke nach diesem Besuche stirbt Rademacher. In diesem Stücke
durch zwei Typen vertreten. Die vielleicht auf den ersten Blick be¬
ist die psychologische Schilderung am reifsten und die Tragik voll
Abonne
stechende Idee hält ernsterer Prüfung nicht Stand, weil die Gegen¬
innerer Wahrheit. Geistsprühend ist das den Abend beschließende
Abonnej
überstellung zu abstract ist; im Leben wird man diese Typen in so
Stück „Litteratur“ geschrieben, eine Tragikomödie voller Ironie
reiner Form nicht finden, vor allen Dingen spielt in das Erleben des
und Satire. Besonders bewundernswerth ist der vollendete, fesselnde
Sinnenglücks doch auch immer ein gestaltendes Element, die
Dialog. Die Bohémienne Margarethe, die in ihrem Caféhaus=Kreise
Inhalts4 Phantasie, hinein.
die schönste Gelegenheit zu Abenteuern gehabt und ihre interessanten
blätt
Aber nicht diese Probleme, sondern die Art ihrer Behandlung
Erlebnisse in glühender Lyrik geschildert hat, will den ganz unkünst¬
wodurch
durch Schnitzler fesselt uns. Lebendiger, frischer Dialog, aus dem
lerischen, sehr correcten Baron und Sportsman Clemens heirathen.
die Idee in prächtiger Herausarheitung mit plastischer Deutlichkeit
Leben
Der ist entsetzt, daß Margarethe einen Roman mit den schönsten
11 700
vor unser Auge tritt, feine Lebensbeobachtung im Einzelnen und
theilung
Pikanterien veröffentlichen will, geht zum Verleger und läßt, ohne
kraftvolle Satire sind die Hauptvorzüge des Cyclus. Die Charac¬
daß es Margarethe weiß, alle Bände, bis auf einen, den er sich zu
teristik ist in den beiden letzten Stücken hervorragend, während sie
seiner Lectüre vorbehält. einstampfen. Während dieser Zeit kommt
in den ersten nur skizzenhaft gehalten ist.
der sehr wenig correcte Liebhaber aus früheren Tagen, der Caféhaus¬
Im ersten Einacter „Lebendige Stunden“ vergiftet sich
Litterat Gilbert, zu Margarethe und bringt ihr seinen neuesten
die schwerkranke Mutter eines Dichters, weil der Anblick ihrer Leiden
Roman. Und nun ergiebt sich, daß sie Beide in ihren Romanen ihre
dem Sohne die Schaffenskraft raubte. Der Gegensatz zu dem das
glühenden Briefe, die sie in der Zeit ihres Liebesrausches gewechselt,
Liebesopfer als natürlich empfindenden Künstler wird in dem alten
verwerthet haben. In diesem letzten Stück sind die Gegensätze der
Freunde der Mutter gezeigt, der erzürnt und vorwurfsvoll dem
Lebensanschauungen sein herausgearbeitet.
Sohne die heroische That seiner Mutter verräth. Im zweiten Stück
Im ersten Stück characierisirte Herr Ziegel den Alten vortreff¬
„Die Frau mit dem Dolche“ liebt die Frau eines Künstlers,
lich. Die Ausgestaltung dieser Figur ist recht undankbar, um so mehr:
Pauline, seelisch ihren Gatten und sinnlich ihren Freund Leonhard.
muß hier anerkannt werden, daß der Darsteller das Mögliché ge¬
Frau und Freund treffen sich in einer Bildergalerie vor einem
leistet hat. Von Herrn Schlaghammer, dem Darsteller des
Renaissance=Bilde „Die Frau mit dem Dolche" und Paula hat die
jungen Dichters, kann man das Gleiche nicht sagen, weit besser ge¬
Vision, daß sie diese Frau sei und schon im 16. Jahrhundert ein
lang ihm dagegen im zweiten Stück die Verkörperung des Leonhard.
gleiches, dreieckiges Verhältniß erlebt habe. Wir sehen sie dann im
Frl. Illing schenkte uns als „Frau mit dem Dolche“ eine bewun¬
Costüm des Cinquecento, vor ihr den Jüngling Lionardo, der sie die
dernswerthe Meisterleistung. In dem dritten Einacter „Die letzten
Nacht zuvor besessen und sie nie mehr besitzen wird, weil ihr Rausch
Masken“ fanden die Hauptrollen durch die Herren Ziegel (Rade¬
verflogen ist. Der Gatte Remigio kehrt zurück, Paola tödtet ihren
macher). Marr (Schauspieler) und Botz (Weihgast) eine ganz vor¬
Liebhaber mit einem Dolche, und diesen dankbaren Vorwurf hält der
treffliche Darstellung. Im letzten Stück ragte wieder Frl. Illing
Künstler in einem Bilde fest. Außer seinem künstlerischen Tempera¬
als Margarethe durch ihr geistsprühendes Spiel hervor und Herr
ment besitzt Remigio augenscheinlich keines. Die Seene verändert
Botz characterisirte den Gilbert mit vieler Feinheit, während in der
sich wieder in die Bildergalerie. Paula verspricht Leonhard, in der
sonst anzuerkennenden Darstellung des Clemens durch Herrn Marx
Weit bedeutender, als die vor¬
das etwas zu starke Auftragen der Farben der Rolle nicht zum Vor¬
nächsten Nacht ihm anzugehören. ..
hergchenden ist das dritte Stück „Die letzten Masken“. Der
theile gereichte. Die Gesammtdarstellung des von Herrn Regisseur
Daß
nahende Tod entfernt die letzten Masken in einem Krankenhause.
Niedt gut inscenirten Cyclus verdient das höchste Lob.
Der sterbende Journalist Rademacher, ein seelisch Reicher. aber ein
ichrigens im zweiten Stück der Bildersalon Alles zu wünschen übrig
Enterbter des Schicksals, will vor seinem Ende seinen erfolgreicheren,
ließ, ist ein kleiner, wohl leicht zu behebender Fehler, der aber der
früheren Freund den Modedichter Weihgast, noch einmal sprechen.
um ihm uis Gesicht zu sagen, was er für ein hohler Geselle sei und Stimmung gefährlich zu werden vermag. Die Novität fand eine
A. 8.
daß er, der sich in der Liebe seiner Frau sonne, in ihm ihren einstigen sehr warme Aufnahme,
16. 1. Lebendige Stunden zuklus
Telephon 12801.
Alex. Welgl’s Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Ausschnitt
„OBSERYER“
Nr. 30
I. österr. behördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
Wien, IX/1, Türkenstrasse 17.
— Filiale in Budapest: „Figyelö“ —
Vertretungen in Berlin, Chicago, Genf, London, Newyork, Paris, Rom, Stockholm.
Ausschnitt aus:
Bresirner General Inseiter
vom:
+ 22
ERSATZ
— —
Lobe=Theater.
Sonnabend, den 8. Februar: Zum ersten Male: „Lebendige
Stunden“. Einacter=Cyelus von Arthur Schnitzler.
Ein allen gemeinsames Problem hat den vier Einactern den
Gesammttitel, der auch den Untertitel des ersten Stückes bildet, ge¬
geben: Sind das die wahrhaft lebendigen Stunden, die in vollem
Erfassen der Wirklichkeit verfließen, oder die Stunden künstlerischen,
allen Jubel und alles Leid der Gegenwart objectivirenden, veredeln¬
den und verklärenden Schaffens? Und hieran knüpft sich die weitere
1
50 Frage, ob der Künstler, dem alle Realität nur Mittel zu seinem Ge¬
6100
Für
n
1n Sh
Liebhaber erblicken müsse. Einem schwindsüchtigen Provinzschau¬
2 staltungszweck ist, über sie hinwegschreiten und die Hinopferung der
spieler erzählt er dies Alles, aber als Weihgast kommt, schweigt er.
5 Liebe und sogar des Lebens seiner Allernächsten auf dem Hochaltar!
Er sieht, wie arm Weihgast doch eigentlich innerlich ist und daß er
„
" 100 seiner Kunst annehmen darf. Zwei Weltanschauungen, von denen die
an dem Verhaßten, auch Glücklosen schon genug gerächt sei. Wenige
n eine zu diesen Fragen Ja, die andere zu ihnen Nein sagt, werden
Augenblicke nach diesem Besuche stirbt Rademacher. In diesem Stücke
durch zwei Typen vertreten. Die vielleicht auf den ersten Blick be¬
ist die psychologische Schilderung am reifsten und die Tragik voll
Abonne
stechende Idee hält ernsterer Prüfung nicht Stand, weil die Gegen¬
innerer Wahrheit. Geistsprühend ist das den Abend beschließende
Abonnej
überstellung zu abstract ist; im Leben wird man diese Typen in so
Stück „Litteratur“ geschrieben, eine Tragikomödie voller Ironie
reiner Form nicht finden, vor allen Dingen spielt in das Erleben des
und Satire. Besonders bewundernswerth ist der vollendete, fesselnde
Sinnenglücks doch auch immer ein gestaltendes Element, die
Dialog. Die Bohémienne Margarethe, die in ihrem Caféhaus=Kreise
Inhalts4 Phantasie, hinein.
die schönste Gelegenheit zu Abenteuern gehabt und ihre interessanten
blätt
Aber nicht diese Probleme, sondern die Art ihrer Behandlung
Erlebnisse in glühender Lyrik geschildert hat, will den ganz unkünst¬
wodurch
durch Schnitzler fesselt uns. Lebendiger, frischer Dialog, aus dem
lerischen, sehr correcten Baron und Sportsman Clemens heirathen.
die Idee in prächtiger Herausarheitung mit plastischer Deutlichkeit
Leben
Der ist entsetzt, daß Margarethe einen Roman mit den schönsten
11 700
vor unser Auge tritt, feine Lebensbeobachtung im Einzelnen und
theilung
Pikanterien veröffentlichen will, geht zum Verleger und läßt, ohne
kraftvolle Satire sind die Hauptvorzüge des Cyclus. Die Charac¬
daß es Margarethe weiß, alle Bände, bis auf einen, den er sich zu
teristik ist in den beiden letzten Stücken hervorragend, während sie
seiner Lectüre vorbehält. einstampfen. Während dieser Zeit kommt
in den ersten nur skizzenhaft gehalten ist.
der sehr wenig correcte Liebhaber aus früheren Tagen, der Caféhaus¬
Im ersten Einacter „Lebendige Stunden“ vergiftet sich
Litterat Gilbert, zu Margarethe und bringt ihr seinen neuesten
die schwerkranke Mutter eines Dichters, weil der Anblick ihrer Leiden
Roman. Und nun ergiebt sich, daß sie Beide in ihren Romanen ihre
dem Sohne die Schaffenskraft raubte. Der Gegensatz zu dem das
glühenden Briefe, die sie in der Zeit ihres Liebesrausches gewechselt,
Liebesopfer als natürlich empfindenden Künstler wird in dem alten
verwerthet haben. In diesem letzten Stück sind die Gegensätze der
Freunde der Mutter gezeigt, der erzürnt und vorwurfsvoll dem
Lebensanschauungen sein herausgearbeitet.
Sohne die heroische That seiner Mutter verräth. Im zweiten Stück
Im ersten Stück characierisirte Herr Ziegel den Alten vortreff¬
„Die Frau mit dem Dolche“ liebt die Frau eines Künstlers,
lich. Die Ausgestaltung dieser Figur ist recht undankbar, um so mehr:
Pauline, seelisch ihren Gatten und sinnlich ihren Freund Leonhard.
muß hier anerkannt werden, daß der Darsteller das Mögliché ge¬
Frau und Freund treffen sich in einer Bildergalerie vor einem
leistet hat. Von Herrn Schlaghammer, dem Darsteller des
Renaissance=Bilde „Die Frau mit dem Dolche" und Paula hat die
jungen Dichters, kann man das Gleiche nicht sagen, weit besser ge¬
Vision, daß sie diese Frau sei und schon im 16. Jahrhundert ein
lang ihm dagegen im zweiten Stück die Verkörperung des Leonhard.
gleiches, dreieckiges Verhältniß erlebt habe. Wir sehen sie dann im
Frl. Illing schenkte uns als „Frau mit dem Dolche“ eine bewun¬
Costüm des Cinquecento, vor ihr den Jüngling Lionardo, der sie die
dernswerthe Meisterleistung. In dem dritten Einacter „Die letzten
Nacht zuvor besessen und sie nie mehr besitzen wird, weil ihr Rausch
Masken“ fanden die Hauptrollen durch die Herren Ziegel (Rade¬
verflogen ist. Der Gatte Remigio kehrt zurück, Paola tödtet ihren
macher). Marr (Schauspieler) und Botz (Weihgast) eine ganz vor¬
Liebhaber mit einem Dolche, und diesen dankbaren Vorwurf hält der
treffliche Darstellung. Im letzten Stück ragte wieder Frl. Illing
Künstler in einem Bilde fest. Außer seinem künstlerischen Tempera¬
als Margarethe durch ihr geistsprühendes Spiel hervor und Herr
ment besitzt Remigio augenscheinlich keines. Die Seene verändert
Botz characterisirte den Gilbert mit vieler Feinheit, während in der
sich wieder in die Bildergalerie. Paula verspricht Leonhard, in der
sonst anzuerkennenden Darstellung des Clemens durch Herrn Marx
Weit bedeutender, als die vor¬
das etwas zu starke Auftragen der Farben der Rolle nicht zum Vor¬
nächsten Nacht ihm anzugehören. ..
hergchenden ist das dritte Stück „Die letzten Masken“. Der
theile gereichte. Die Gesammtdarstellung des von Herrn Regisseur
Daß
nahende Tod entfernt die letzten Masken in einem Krankenhause.
Niedt gut inscenirten Cyclus verdient das höchste Lob.
Der sterbende Journalist Rademacher, ein seelisch Reicher. aber ein
ichrigens im zweiten Stück der Bildersalon Alles zu wünschen übrig
Enterbter des Schicksals, will vor seinem Ende seinen erfolgreicheren,
ließ, ist ein kleiner, wohl leicht zu behebender Fehler, der aber der
früheren Freund den Modedichter Weihgast, noch einmal sprechen.
um ihm uis Gesicht zu sagen, was er für ein hohler Geselle sei und Stimmung gefährlich zu werden vermag. Die Novität fand eine
A. 8.
daß er, der sich in der Liebe seiner Frau sonne, in ihm ihren einstigen sehr warme Aufnahme,