II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 491

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16.1. Lebendige Stunden zykius
C-
deutlichsten Weise erwiesen und sosos. aus,...
nommen wurde, das Einvernehmen der Dreibundmächte zu getreten, wandte er zunächst der Ausgestaltung des Schul= Leitsterne seines Strebens. Il
wesens in unserem Staate seine Aufmerksamkeit zu und die nicht nur die Wissenschaft, nich
(stören, so hat dieses Ränkespiel doch nur immer den einen
besten Söhnen er gehörte, sonder
Tätigkeit auf diesem Gebiete hat seinen Namen innig mit der
Erfolg gehabt, daß seine Urheber sich eine neue Blamage in
seinen Heimgang zu beklagen
Schöpfung des Reichsvolksschulgesetzes ver¬
ähr Merkbüchlein schreiben konnten.: Die intriganten Herr¬
knüpft. Dieses Kleinod unserer Gesetzgebung, das nun schon
schaften, die es nicht lassen können, den Dreibund in den Be¬

Menschen und Dinge der Umgebung, alle Erlebnisse nur auf
Weihgast der gefeierte Dichter.

Sterben, will er seinen Freund
die in ihnen liegende Möglichkeit künstlerischer Verwertung
Lebendige Stunden#
zu betrachten. Paola ersticht den Geliebten einer einzigen
entgegenschleudern, ihm sagen,
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1 JVier Einakter von Arthur Schnitzler.
Nacht zu Füßen ihres Gemahls und Meisters. Wie sie da
schaut und daß das Weib des
(Erstaufführung am 8. Mai 1902.)
steht, mit dem blutigen Dolch, versteinert und abwesend,
Daß sie, angewidert von ihrem
Dr. St. In dem ersten und titelgebenden Einakter zeigt
wird dem Meister Remigio die Inspiration zur Vollendung
Geliebte war. Daß sein Freun##
eines Bildes: „War dies der Sinn? Ist mein Gebet erhört,
uns Schnitzler ein Opfer der Liebe. Heinrich fühlt seine dich¬
er aber die lebendigen Stunden
terische Begabung an der Seite seiner dahinsiechenden Mutter
daß für mein Bildnis mir Erleuchtung werde?“ Margarete
spricht von seinem Arger und
schwinden. Es geht ein Druck von der Kranken aus, der
(„Literatur") und Gilbert haben sich geliebt und haben sich
milie, seinen Büchern, seinen St#
jeden Aufschwung hemmt. Die Mutter stirbt plötzlich. In
getrennt. Margarete will, noch bevor sie dem Aristokraten
Rademacher kann nicht sprechen
Klemens als sein Weib folgt, den Roman dieser Liebe schrei¬
aller Trauer ist es dem Dichter wie ein Glück. Denn der
erbärmlich dies Leben ist, in de
ben. Dasselbe tut Gilbert. Im vorletzten Kapitel kommt bei
Arzt hat gesagt, es hätte noch drei Jahre dauern können.
„Wie armselig sind doch die 9
ihm wie bei ihr ihrer beider Briefwechsel vor. Wie ist das
Von dem einzigen Freunde der Toten erfährt Heinrich, daß
leben müssen . . ... Was haf
sich die Mutter selbst seinem Schaffen zum Opfer gebracht
möglich? Margarete hat ihre Briefe aufgesetzt. Gilbert: „Auf¬
zu schaffen, die morgen noch
habe. Sie hat sich getötet, um ihm nicht mehr ein Hindernis
gesetzt — diese Briefe an mich, die wie in zitternder Eile
Jetzt hat er nichts mehr mit de
zu sein. Heinrich ist erschüttert, aber nicht zerschmettert. Es
hingeworfen schienen.“ „Noch ein Wort, Geliebter, eh' ich
zu schaffen. Er legt die letzte M
...“ und dann,
fist ihm wie eine Aufforderung, zu beweisen, daß das Opfer
schlafen gehe, mir fallen die Augen zu .
tröstlich klingt das Stück aus
für die Lebendigen.“
nicht umsonst gebracht war. Der Freund der Mutter ist
„wenn dir die Augen zugefallen waren, hast du ihn ins
Reine geschrieben?!“ — Aber auch Gilberts Briefe kommen
sempört, daß Heinrich es so hinnimmt, „als wär' es ihre
Es steckt etwas wahrhaft
(Schülbigkeis gewesen . . . .. Was ist deine ganze Schrei¬
in seinem Roman vor. Also — auch aufgesetzt? „Oh nein,“ streit zwischen Leben und Kunst.
berei, und wenn du das größte Genie bist, was ist sie denn
verteidigt er sich, „ich hab' sie nur abgeschrieben, bevor ich
hier seine Antwort auf eine br
sie an dich absandte. Sie sollten nicht verloren gehen.“ Das
gegen so eine Stunde, so eine lebendige Stunde, in der
einen Schlachtruf, der aber fast
deine Mutter hier auf dem Lehnstuhl gesessen ist und zu
ist das Satirspiel zur Tragödie der „Frau mit dem Dolche“.
hätte geben wollen. Die Einheit
Und Heinrich: „Lebendige Stun¬
Intimste Beziehungen mit dem heimlichen Hintergedanken an
kuns geredet hat ...
dieses Ziel erreichbar? Ist alle
(den? Sie leben doch nicht länger als der letzte, der sich ihrer
die „Literatur“. Sorgfältig konzipiertes Liebesgestammel, Klafft hier kein eiviger Gegensa
#kerinnert. Es ist nicht der schlechteste Beruf, solchen Stunden
Abschriften von flammender Raserei. Immer mit der Mög= mit seiner kurzen Lebensfrist un
Dauer zu verleihen, über ihre Zeit hinaus.“
lichkeit eines späteren Bruches, späterer Verwertung und Zeit nicht immer und ewig nu
Hier klingt uns das Leitmotiv der ganzen Reihe ent¬
späterer Sensation vor Augen. Die Erfindung erschiene uns Werte der Kunst? Kunst erforde
gegen, hell und deutlich und unzweifelhaft. Lebendige Stun¬
fast zu külm und prickelnd, wenn wir nicht durch Emil selbst, unablässiges, ernstes Woll
den — das sind die Augenblicke unmittelbaren, glücklichsten
Franzos wüßten, daß es solche Fälle wirklich gibt. Es ist Hingleiten, ein Vergehen in de
Erlebens. Sie sind selten, kostbar und flüchtig. Aber für den
ein gut Teil Maskerade in diesen Gefühlen und Gefühlchen. heitersten ist, wenn es kein Gel
Dichter sind sie nichts in ihrer frischen Nähe und Vertrau¬
In den „letzten Masken“ zeigt uns Schnitzler Inva= Leben ist das Verschmelzen i
liden der Literatur am Rande des Grabes. Hie. — im An¬
lichkeit. Sie leben in ihm ein sonderbares zweites Leben.
Unterjochung und siegesgierige
Ein neues Werden und Höherwerden. Sie werden neugebildet
gesichte des Todes — erhebt sich die Idee des Zyklus' zuwill die Natur ein namenloses
und umgebildet — zu Kunstwerken, zu Ewigkeitswerten.
wahrhafter Größe. Rademacher war Zeit seines Lebens der endlichkeit ihrer Geschöpfe, in
Ein tiefer Drang liegt in jeder schöpferischen Natur, alle arme Schlucker und unbedeutende Journalist, sein Freund und die Geheimnisse ihrer Gesetz