W
Ausschnitt aus; #r#2r2e Jerdeng
vomt /77707
Leipzig, 8. Oct. Schauspielhaus. Der gestrige
Abend brachte uns den Einacter=Cyklus „Lebendige Stunden“
von Arthur Schnitzler, von dem wir ein Stück „Literatur“
hier schon gesehen haben, da es aus Anlaß einer Matinée des
Vereins Leipziger Presse im Carola=Theater mit Frl. Serda und
den Herren Grelle und Huth gegeben wurde, ein anderes, „Die
letzten Masken“, gehört haben, an einem Recitationsabend
von Leopold Adler, der eine Vorliebe für den Dichter und seine
Richtung besaß. Der Cyklus besteht außer den genannten noch
aus den Einactern „Lebendige Stunden" und „Die
Frau mit dem Dolche". Ob so viele Einacter an einem
Abend beliebt sind, ist eine Frage. Nach unserer Erfahrung
scheut man sich davor, mehrmals die Anstrengung zu machen, die
dazu gehört, sich in ein neues Thema hineinzudenken. Dazu
lusive
Für
kommt, daß die Atmosphäre, die wir athmen, nicht immer er= rto.
„
frischend ist. „Die letzten Masken“ z. B. ist ein Krankenhaus= albar
stück und der Eindruck, den es hinterläßt, ist, bei aller Kunst der Voraus.
9
Fein= und Kleinmalerei, die wir willig anerkennen, nicht ein
ist das
„
befreiender, wie ihn unter Umständen ja wohl auch ein in
es den
einem Lazareth spielendes Werk hervorrufen könnte, sondern ein
Abe
niederschlagender. Die kraftstrotzende Mittelmäßigkeit, die Erfolg
Ab
hat, siegt, und der Mensch, der ein besseres Loos verdient hätir, end die
siecht dahin und stirbt. Dafür entschädigt allerdings „Literatur",rgen¬
Inh das eine tolle Lustigkeit entfaltet, im grellen Gegensatz zu dem eitung")
vorhergehenden Stück. Stimmungs= und schwermuthsvoll setzt jaftliche
b1
wod der erste Einacter ein, nach dem das Ganze seinen Namen er= ese Mit¬
halten hat, etwa so, wie man einen Band Novellen nach der
ersten betitelt, da man sonst keinen Titel weiß. Denn die Bezüge
zu dem Begriff Lebendige Stunden sind bei den drei letzten Ein¬
actern kaum vorhanden. Freilich ist das Erölfnungsstück kein
Stück, sondern eine Scene. Ein noch seltsameres Etwas ist der
Einacter „Die Frau mit dem Dolche“, ein phantastisches, im
Psychologischen gewagtes Gemälde oder Doppelgemälde, das die
Vergangenheit und Gegenwart durch eine Scenenverwandlung
mit einander verbindet. Ob ein Jeder im Publicum begriffen
hat, um was es sich handelt? Nach dem, was wir im Gespräch
gehört haben, bezweifeln wir es billig. Auch in Betreff des
Schlusses der „Letzten Masken“ herrschte vielfach Unklarheit.
Dagegen ist dem Eröffnungsstück Sinn und Zusammenhang
und psychologische Unantastbarkeit nachzurühmen; es ist neben
„Literatur“, das die Krone davonträgt, das Beste des Ganzen.
Daß der Cyklus als solcher dauernd auf das Publicum eine
anziehende Wirkung ausüben wird, glauben wir nicht; dazu ist
Einzelnes zu sehr für eine sog. freie Bühne berechnet. Wahr¬
scheinlich wird das Ganze bald wieder verschwinden und da der
erste Einacter sich für sich nicht halten wird, geben wir der
Direction den Rath, den letzten, „Literatur“, allein auf dem
Spielplan zu behalten, in den er mit Fug und Recht gehört,
im Verein mit einigen anderen den Abend füllenden Sachen;
so wird dies des Erhaltens werthe Stück gerettet. Die gestrige
Vorstellung war übrigens viel zu lang, was auch durch die
langen Pausen bewirkt ward, die darin ihren Grund haben, daß
augenscheinlich die Theaterarbeiter noch nicht so recht eingewöhnt
sind. Das Spiel verdiente vielfach Anerkennung, auch die Regie
von Arthur Eggeling. In Max Brückner (Heinrich, Leonhard)
besitzt das Schauspielhaus einen guten jugendlichen Liebhaber
und Helden, der sympathisch berührt und auch ein wohllautendes
Organ besitzt. In den „Letzten Masken“ gefiel uns Ernst Born¬
stedt, der den Journalisten Karl Rademacher gab, der dem reich
gewordenen und zu Ruhm gekommenen ehemaligen Freunde in
seiner letzten Stunde die Wahrheit sagen will, es aber nicht
kann, wohl deshalb, weil er sich noch schuldiger fühlt als dieser.
Es war fast die beste Leistung, die wir von dem Künstler bisher
gesehen haben. Robert Forsch als schwindsüchtiger Schauspieler
Florian Jackwerth charakterisirte gut, doch hatte er zu wenig das
Aeußere des Phthisikers; er war zu kräftig und lebendig dazu.
Lob verdient Georg Wittmann als Dr. Halmschlöger; der Dar¬
steller traf sehr gut den Ton des menschenfreundlichen Arztes,
der Erbarmen mit seinen Patienten besitzt. Völlig einwandsfrei
war das Spiel in „Literatur“. Es traten auf Margarethe Frey
als Margarethe, Lothar Mehnert als Clemens, Arthur Eggeling
als Gilbert. Halten wir dagegen das Spiel der eingangs ge¬
nannten Künstler, die die Aufführung schon einmal bei uns ermög¬
lichten, so ist der Unterschied der: damals flott, wirkungsvoll,
aber etwas nach der Schablone, diesmal viel feiner, abgewo¬
gener, für das große Publicum vielleicht minder effectvoll, weil
weniger auf die Lachmuskeln wirkend, mehr das bloße Lächeln
erweckend, dabei aber tiefer einwirkend. Das Schauspielhaus hat
den Beweis seiner Fähigkeit erbracht, solche kleine Cabinetsstücke
geben zu können. Das Publicum war ganz bei der Sache und
spendete Beifall; das Pathologische des dritten Einacters war aber
J. R.
wohl nicht nach seinem Geschmack.
im
Ausschnitt aus; #r#2r2e Jerdeng
vomt /77707
Leipzig, 8. Oct. Schauspielhaus. Der gestrige
Abend brachte uns den Einacter=Cyklus „Lebendige Stunden“
von Arthur Schnitzler, von dem wir ein Stück „Literatur“
hier schon gesehen haben, da es aus Anlaß einer Matinée des
Vereins Leipziger Presse im Carola=Theater mit Frl. Serda und
den Herren Grelle und Huth gegeben wurde, ein anderes, „Die
letzten Masken“, gehört haben, an einem Recitationsabend
von Leopold Adler, der eine Vorliebe für den Dichter und seine
Richtung besaß. Der Cyklus besteht außer den genannten noch
aus den Einactern „Lebendige Stunden" und „Die
Frau mit dem Dolche". Ob so viele Einacter an einem
Abend beliebt sind, ist eine Frage. Nach unserer Erfahrung
scheut man sich davor, mehrmals die Anstrengung zu machen, die
dazu gehört, sich in ein neues Thema hineinzudenken. Dazu
lusive
Für
kommt, daß die Atmosphäre, die wir athmen, nicht immer er= rto.
„
frischend ist. „Die letzten Masken“ z. B. ist ein Krankenhaus= albar
stück und der Eindruck, den es hinterläßt, ist, bei aller Kunst der Voraus.
9
Fein= und Kleinmalerei, die wir willig anerkennen, nicht ein
ist das
„
befreiender, wie ihn unter Umständen ja wohl auch ein in
es den
einem Lazareth spielendes Werk hervorrufen könnte, sondern ein
Abe
niederschlagender. Die kraftstrotzende Mittelmäßigkeit, die Erfolg
Ab
hat, siegt, und der Mensch, der ein besseres Loos verdient hätir, end die
siecht dahin und stirbt. Dafür entschädigt allerdings „Literatur",rgen¬
Inh das eine tolle Lustigkeit entfaltet, im grellen Gegensatz zu dem eitung")
vorhergehenden Stück. Stimmungs= und schwermuthsvoll setzt jaftliche
b1
wod der erste Einacter ein, nach dem das Ganze seinen Namen er= ese Mit¬
halten hat, etwa so, wie man einen Band Novellen nach der
ersten betitelt, da man sonst keinen Titel weiß. Denn die Bezüge
zu dem Begriff Lebendige Stunden sind bei den drei letzten Ein¬
actern kaum vorhanden. Freilich ist das Erölfnungsstück kein
Stück, sondern eine Scene. Ein noch seltsameres Etwas ist der
Einacter „Die Frau mit dem Dolche“, ein phantastisches, im
Psychologischen gewagtes Gemälde oder Doppelgemälde, das die
Vergangenheit und Gegenwart durch eine Scenenverwandlung
mit einander verbindet. Ob ein Jeder im Publicum begriffen
hat, um was es sich handelt? Nach dem, was wir im Gespräch
gehört haben, bezweifeln wir es billig. Auch in Betreff des
Schlusses der „Letzten Masken“ herrschte vielfach Unklarheit.
Dagegen ist dem Eröffnungsstück Sinn und Zusammenhang
und psychologische Unantastbarkeit nachzurühmen; es ist neben
„Literatur“, das die Krone davonträgt, das Beste des Ganzen.
Daß der Cyklus als solcher dauernd auf das Publicum eine
anziehende Wirkung ausüben wird, glauben wir nicht; dazu ist
Einzelnes zu sehr für eine sog. freie Bühne berechnet. Wahr¬
scheinlich wird das Ganze bald wieder verschwinden und da der
erste Einacter sich für sich nicht halten wird, geben wir der
Direction den Rath, den letzten, „Literatur“, allein auf dem
Spielplan zu behalten, in den er mit Fug und Recht gehört,
im Verein mit einigen anderen den Abend füllenden Sachen;
so wird dies des Erhaltens werthe Stück gerettet. Die gestrige
Vorstellung war übrigens viel zu lang, was auch durch die
langen Pausen bewirkt ward, die darin ihren Grund haben, daß
augenscheinlich die Theaterarbeiter noch nicht so recht eingewöhnt
sind. Das Spiel verdiente vielfach Anerkennung, auch die Regie
von Arthur Eggeling. In Max Brückner (Heinrich, Leonhard)
besitzt das Schauspielhaus einen guten jugendlichen Liebhaber
und Helden, der sympathisch berührt und auch ein wohllautendes
Organ besitzt. In den „Letzten Masken“ gefiel uns Ernst Born¬
stedt, der den Journalisten Karl Rademacher gab, der dem reich
gewordenen und zu Ruhm gekommenen ehemaligen Freunde in
seiner letzten Stunde die Wahrheit sagen will, es aber nicht
kann, wohl deshalb, weil er sich noch schuldiger fühlt als dieser.
Es war fast die beste Leistung, die wir von dem Künstler bisher
gesehen haben. Robert Forsch als schwindsüchtiger Schauspieler
Florian Jackwerth charakterisirte gut, doch hatte er zu wenig das
Aeußere des Phthisikers; er war zu kräftig und lebendig dazu.
Lob verdient Georg Wittmann als Dr. Halmschlöger; der Dar¬
steller traf sehr gut den Ton des menschenfreundlichen Arztes,
der Erbarmen mit seinen Patienten besitzt. Völlig einwandsfrei
war das Spiel in „Literatur“. Es traten auf Margarethe Frey
als Margarethe, Lothar Mehnert als Clemens, Arthur Eggeling
als Gilbert. Halten wir dagegen das Spiel der eingangs ge¬
nannten Künstler, die die Aufführung schon einmal bei uns ermög¬
lichten, so ist der Unterschied der: damals flott, wirkungsvoll,
aber etwas nach der Schablone, diesmal viel feiner, abgewo¬
gener, für das große Publicum vielleicht minder effectvoll, weil
weniger auf die Lachmuskeln wirkend, mehr das bloße Lächeln
erweckend, dabei aber tiefer einwirkend. Das Schauspielhaus hat
den Beweis seiner Fähigkeit erbracht, solche kleine Cabinetsstücke
geben zu können. Das Publicum war ganz bei der Sache und
spendete Beifall; das Pathologische des dritten Einacters war aber
J. R.
wohl nicht nach seinem Geschmack.
im