II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 528

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Weeubbet Me
vom:
SPIEtO
Kunst und Wissenschaft.
Deutsches Volkstheater. Gestern wurde hie
Arthur Schnitzlers Einakterzyklus „Lebendige
Stunden“ zum erstenmale gegeben. Für Wien sind
die vier kleinen Literaturstücke keine Neuheit mehr.
Man kennt sie vom vorjährigen Gastspiel des Berliner
Deutschen Theaters. Es knüpfen sich daran so frische
Erinnerungen an die vorzügliche Darstellung der
Stücke durch die norddeutschen Gäste, daß das
Deutsche Volkstheater gestern harte Mühe hatte, den
spärlichen Rest von gegenständlichem und künstlerischem
Interesse im Kampfe mit den literaturfeindlichen
Hustenreizungen, die im Publikum epidemisch um sich
griffen, wach zu erhalten. „Lebendige Stunden", so 15,
deutet der erste Einakter den gemeinsamen Titel aus, 28.
0.
sind solche, die durch die Kunst Dauer erhalten. Um110.
den Sohn nicht durch Sorgen um ihre Krankheit von 200,
seiner schriftstellerischen Lebensarbeit abzulenken, hat sich 183
eine Mutter den Tod gegeben. Der eitle Junge er¬
au
fährt dies später von einem alten Hausfreunde und
er tut so, als nähme er sich ernstlich vor, sich dieses
Opfers würdig zu erweisen, obgleich ihm innerlich g
das Bewußtsein aufdämmert, daß der Opfertod
n
umsonst dargebracht worden war. Noch mehr als in IW
der Darstellung der Berliner roch gestern die kleine
literarische Tragik nach Studierlampenpetroleum,
wi
zumal Herr Geisendörfer für den Helden der
Seder nicht einen einzigen Ton fand, der aus dem
Gemüte kommt. Natuwahr und ergreifend wirkte
dagegen Herr Martinelli als sein unliterarisches
Widerspiel. Auch das zweite Stück, „D
Frau
mit dem Dolche“ dreht sich bekanntlich um die
Kunst. Ein eingeschobenes Traumbild, das Fäden
spinnt zwischen der Gegenwart und der Renaissance,
versucht den Ehebruch einer mondänen Frau ins
Mystische hinüberzuspielen. Es ist aber nicht mehr als
die Talmimystik Hofmannsthalscher Treibbausphantasie,
die dabei herauskommt und die durch szenische Unzuläng¬
keiten um jeden geheimnisvollen Schimmer gebracht
wurde. Daß man bei der Verwandlung durch die Wolken¬
schleier hindurch die Leute ab= und auflaufen sieht,
könnte-bei der heutigen Entwicklung der Bühnen¬
technik doch sicherlich vermieden werden. Frl. Adele
Sandrock hatte im Traumbilde schöne und große
Momente. Gegenständlich interessanter wäre das dritte
Stück, „
letzten Masken“ eine Szene
aus dem Allgemeinen Krankenhaus. Ein ehrlicher
Journalist, darum natürlich ein armer Teufel, der an
Lungenschwindsucht dahinsiecht, will seinem einstigen
Freunde, einem emporgeschwindelten Modeschriftsteller,
die Maske vom Gesicht reißen, bevor ihn der Tod
ereilt. Als aber der Freund als unverbesserlicher
Phraseur und Poseur vor ihn hintritt, da verschlägt's
dem sterbenden Wahrheitsapostel die Rede, sein Haß
löst sich in
Mitleid auf, und der
Mode¬
dichter bleibt unentlarvt. Herr Weisse
glaubte
mit einer naturalistischen Sterbeszene „bril¬
lieren“ zu müssen, und indem er die satirischen
Sentenzen mit realistischen Kunstpausen durchschoß,
hätte er beinahe das Beste von den vier Stücken ge¬
worfen. Prächtig war Herr Kramer als un¬
entlarvter Modedichter, überraschend gut Herr
Brandt in der Episodenrolle eines lungenkranken
Provinzschauspielers, der das Leben nur im Gesichts¬
winkel der Theaterwirkung betrachtet. Auch das letzte
Stück, „Literatur", ist ein Reis vom Baum jener
Kunst, die sich wohllüstig in den eigenen Schwanz
verbeißt. Literatenzigeunertum und Blaublut werden
hier in das Joch einer literarischen Satire gespannt,
die furchtbar überlegen tut und dennoch nicht
aus dem Bannkreise kleinlicher Selbstgefälligkeit
herauskommt. Hier war es Herr Kutschera, der
mit der köstlichen Darstellung eines Litraturzigeuners
so sehr belustigte, als stünde Girardi auf der
Szene. Die satirischen Absichten des Fräuleins
Sandrock dagegen waren zu handgreiflich und
fesselten nur als ungewohntes Kuriosum. Frau
Odilon wäre entschieden besser auf dem Platze ge¬
wesen. Arthur Schnitzler ließ sich lange rufen,
bis er auf der Bühne erschien. Schließlich bereitete er
dem Publikum doch den Gefallen, sich von Angesicht
zu Angesicht zu zeigen und den Schein eines wirk¬
lichen Bühnenerfolges zu erhöhen.
Ausschniet aus.
Neiee Wrsnst A R
vom:
(J 7201,
(Deutsches Volkstheater.) Man kann es auch einen
Premiérenabend nennen; natürlich nur, wenn man will. Es sind
genau vierzehn und ein halb Monate verstrichen, seit Arthur
Schnitzler's „Lebendige Stunden“ in Berlin zum
erstenmale aufgeführt wurden und zehn Monate liegen zurück, seit
das Deutsche Theater bei einem Gastspiel den Einactercyklus
auch in Wien vorspielte. Gestern aber war die Première im
Volkstheater. Wir haben einen solchen Reichthum an heimischen
Dichtern, daß wir uns nicht zu beeilen brauchen. Gerade vor
Fwenigen Tagen ist Schnitzler's reifstes und tiefstes Werk „Der
usive
Schleier der Beatrice“ in Berlin in Grund und Boden gespieltyrto.
worden, genau, nach der Vorhersage Director Schlenther's, hlbar
hat, sich dem Deutschen Vorans.
der den Dichter gewarnt
Theater anzuvertrauen. Aber schließlich: das Burgtheater jgt aus
Aist ihm verschlossen, und wenn wir Glück haben, kommt das Drama es den
nach vierzehn und ein halb Monaten doch noch im Deutschen Volks¬
theater heraus. Für diesesmal galt es aber noch die vier Ein¬
Facter hinzunehmen. Es ist bekannt, was die „Lebendigen Stunden"ind die
rgen¬
bsagen wollen. Sie bedeuten Stunden der Erinnerung: „sie lebensitung")
Wnicht länger als der Letzte, der sich ihrer erinnert" und „es ist aftliche
Unicht der schlechteste Beruf, solchen Stunden Dauer zu verleihense Mit¬
über ihre Zeit hinaus". Die vier Stückchen, grundverschieden in
dennoch einen gemeinsamen
ihrem Charakter, tragen
Augenblicke
Zug: todte Stunden, werden lebendig,
daß aus den Dornen
vielleicht nur,
so etwa,
der Gegenwart die Rosen der Erinnerung blühen. Auch heute
möchte ich wiederholen, was ich schon einmal über den Einacter
„Die Frau mit dem Dolche“ an dieser Stelle vor vierzehn und
einem halben Monat gesagt habe. Er ist der tiefste und feinste
unter den vier, trotzdem der mißrathenste. Als Schnitzler ihn
schrieb, muß ihm sicherlich eine Stelle aus Heine's italienischen
Reisebildern vorgeschwebt haben. Entsinnen Sie sich des wehmüthigen
Capitels, wie der Dichter im Palazzo Durazzo vom Custoden
durch die Säle geleitet wird, die Porträts der schönen Genueserinnen
betrachtet und unter diesen das Bild findet, das in seiner Seele
einen Sturm erregt: das Bild der todten Maria? Der Aufseher
meint zwar, das Bild stellt eine Herzogin vor, aber der Dichter
beschwichtigt ihn: „Das Bild ist gut getroffen, mag es immerhin
ein paar Jahrhunderte im Voraus gemalt sein.“ Und er klagt
daß wir armen Menschenkinder nicht einmal als Originale dahin¬
sterben, sondern als Körper von längst verschollenen Menschen ein trost¬
loses Wiederholungsspiel spielen. Schnitzler's „Frau mit dem Dolche“
greift diesen Gedanken auf; ist das Stückchen auch so flüchtig
es
componirt, wirkt es auch nicht ganz so, wie es müßte
in der
bleibt trotzdem das beste im Cyklus. Das Schwächste —
Bühnenwirkung — war auch gestern der erste Einacter, der dem
ganzen Abend den Namen gibt. Am stärksten schlug natürlich der
Schwank „Literatur“ ein, der wieder einmal die Hoffnung rege
werden ließ, daß Schnitzler das deutsche Lustspiel
„Die letzten Masken“
zu neuem Leben erwecken wird.
dieser Versuch, die moderne Journalistentragödie zu schreiben, ist
zu äußerlich, als daß man ihm welche Bedeutung beimessen
könnte. Außerdem vergriff sich die Darstellung. Vor Allem
Herr Brandt, der einen dem Tode verfallenen Komiker zu
spielen hatte. Er sagt zwar in seiner Rolle: „Die Regensenten,


die mich verreißen, kann ich nicht leiden“, das schadet aber nichts!
Er blieb in der Spitalstudie stecken und unterstrich dadurch den düsteren
Grundton ganz ungebührlich. In den „Lebendigen Stunden“
spielten die Herren Martinelli und Geisendörfer sehr
einfach und wirksam; in der „Frau mit dem Dolche“ schien Fräulein
Sandrock ihre Aufgabe absolut nicht erfaßt zu haben. Dafür
war der Schluß des Abends; „Literatur“ auch darstellerisch der
beste. Herr Kramer hielt dem Vergleich mit Bassermann
vollkommen stand; er war so fein und liebenswürdig=beschränkt,
wie man ihn haben mußte: der Baron mit den gepflegten Händen
und dem ungepflegten Hirn. Brillant war Herr Kutschera
als verbummelter Schriftsteller, und Fräulein Sandrock fand
für das complicirte Literaturweibchen eine charmante parodistische
Note. War es ein Erfolg? Ja und Nein. Schnitzler wurde wieder¬
holt gerufen, man applaudirte ihm überaus herzlich, aber es will
scheinen, als ob allein der letzte, lustige Einacter dem Publicum
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am meisten zu sagen hatte.