„Louise“ an ihr auszusetzen hatte. Die Rolle wurde einer anderen Dame,
Fräulein Massanetz, übertragen, die ihre Sache auch recht gut machte.
Aber im Allgemeinen athmen Soli und Chor nach den „Louisen"=Proben
erleichtert auf. Es waren die heißesten Frühlingstage, die man seit Jahren
in-der Hofoper zu ertragen hatte.
Frühjahr ist es — und im Deutschen Volkstheater
sprießen die Novitäten so zahlreich wie die Knospen. Hoffentlich währt
ihre Blüthezeit länger als die der Frühlingskinder des Weghuberparkes.
Zu den gesunden Blumen, die das Volkstheater in jüngster Zeit gepflanzt,
zählen die vier Schnitzler'schen Einakter „Lebendige Stunden“. Sie brachten
einen soliden Premiérenerfolg, der Dauer verspricht. Der Dichter konnte
bei der Inszenirung seiner Stücke nicht mithelfen, weil er zur selben Zeit
die Einstudirung seines Dramas „Der Schleier der Beatrice" in Berlin
leitete. Aber zur Generalprobe konnte er doch noch rechtzeitig eintreffen.
Der Vorhang ging auf. Eben begann man das zweite Stück „Die Frau
mit dem Dolche“ zu spielen. Der Dichter lauschte im Parket dem Zwie¬
gespräche der Sandrock (Pauline) und Kramer's (Leonhard), die
nach Vorschrift jene Bilder betrachteten, welche der gemalte Theaterprospekt
aufweist; denn der erste Theil des Schauspiel=Einakters spielt in einer
Bidergalerie. Des Dichters Aufmerksamkeit war ganz und gar auf den
prechton der Darsteller gerichtet, der sehr angenehm an sein Ohr schlug.
(So kannte man wenigstens in Schnitzler's Miene lesen. Da kam Fräulein
Sandrock in ihrer Rolle zu dem Satze:
„In diesem Bildersaale fühl' ich mich so wohl; da drüben bei den
alten Deutschen und Niederländern neulich war mir gar nicht so behaglich.
Aber hier — bei diesen Bildern — habe ich eine Art von Heimats¬
gefühl ...“
Weiter konnte Fräulein Sandrock nicht sprechen, denn der Dichter
war in größter Erregung von seinem Sitze aufgesprungen und hatte die
sofortige Unterbrechung der Probe verlangt.
„Das Stück kann nicht aufgeführt werden,“ rief Dr. Schnitzler
aus, „wenn nicht bis zum Abend der Prospekt, der die Bildergalerie dar¬
stellt, vollständig umgemalt wird. Sonst lacht das Publikum bei)
dieser Stelle.“
Welche Beobachtung hatte den Dichter zu solchem Protest ver¬
anlaßt? Nun — es war keine Kleinigkeit: Der Theatermaler hatte fast
nur Stier= und andere Thierköpfe auf jene Bilder gemalt, zu denen
sich Pauline=Sandrock durch ein so auffallend warmes „Heimats¬
gefühl“ hingezogen sieht! Ja, an einer späteren Stelle des Dialoges weist
sogar ihr Partner, Leonhard=Kramer, auf die Möglichkeit hin, daß Pauline
von den Trägern jener Physiognomien, die im sechzehnten Jahrhundert
gelebt haben, abstammen könne, daß sie mit ihnen verwandt sei. Und
wer waren diese gemalten Vorfahren? Der Pinsel des Theatermalers
hatte sie vornehmlich als Rinder und einen Schwan dargestellt, den der
unbewaffnete Beschauer bei einigem Bratenappetit auch für eine Gaus halten
konnte... Direktion und Regie sahen sofort ein, daß des Dichters
Beschwerde vollauf berechtigt sei. Der Theatermaler mußte binnen weniger
Stunden den ganzen Bilderprospekt umändern. Man pries es als ein
Glück, daß der Dichter noch rechtzeitig auf den Fehler aufmerksam ge¬
macht habe.
Trotzdem gab es am Abend der Première doch noch einen Zwischen¬
fall, der wohl nicht durch einen Mißgriff in der Dekoration, aber doch durch
die eigenthümliche Wahl eines Requisites herbeigeführt wurde. Es war
beinahe, als hätten sich an diesem Abend Dinge verschworen, nicht
Personen... Der kritische Vorfall ereignete sich während des letzten der
vier Einakter, in dem köstlichen Schwanke „Literatur“. Eine der gelungensten
Figuren dieses Stückes ist der literarische Naturbursche Gilbert, jener
Münchner Kaffeehausbohémien, der die ihm von seiner angebeteten Marga¬
rethe geschriebenen Liebesbriefe und seine eigenen Antworten darauf in
seinem jüngsten Romane verwerthet, das heißt, wortwörtlich abgedruckt
hat. Diesen Roman bringt er nun der über solche Indiskretion entsetzten
Margarethe und reicht ihr ihn über den Tisch hinüber.
In dem Aubenblicke nun, da Herr Kutschera (Gilbert) dem
Fräulein Sandrock (Margarethe) das Buch hinüberreichte, sah man, wie sich
aus einer Loge ein kleiner, wohlgenährter Herr mit interessantem sprühendem
Literatenkopf von seinem Sitze erhob, einige Augenblicke stehend das Fern¬
glas auf die Bühne richtete und sich dann in sichtlich gereizter Stimmung
mit einiger Heftigkeit wieder niedersetzte...
nur allzubald erfahren. Denn unmittelbar nachdem der Vorhang gefallen
war, erschien der Herr aus der Loge, Genugthuung fordernd auf der
Bühne. Es war Dr. Julius v. Ludassy. Man denke nur, welche Be¬
obachtung er mit Hilfe seines scharfen Glases aus der Ferne gertächt
hatte: Das Buch, welches der Literaturbengel Kutschera=Gilbert aus
seiner Ueberrocktasche zog, um es Fräulein Sandrock als sein jüngstes Werk
zu überreichen, war die Buchausgabe des Volksstückes „Der letzte Knopf“
von Julius v. Ludassy, das vor drei Jahren im Deutschen Volkstheater
mit so sensationellem Erfolge gegeben worden ist. Dabei muß bemerkt
werden, daß die Werke Gilbert's und Konsorten im Dialoge ausdrücklich
als „Kaffeehausliteratur“ gekennzeichnet werden. Das konnte sich ein Schrift¬
steller von Geist, dessen Werk dem Volkstheater so schöne Einnahmen ge¬
bracht, denn doch nicht bieten lassen. Und so fragte Ludassy den Dichter
Fräulein Massanetz, übertragen, die ihre Sache auch recht gut machte.
Aber im Allgemeinen athmen Soli und Chor nach den „Louisen"=Proben
erleichtert auf. Es waren die heißesten Frühlingstage, die man seit Jahren
in-der Hofoper zu ertragen hatte.
Frühjahr ist es — und im Deutschen Volkstheater
sprießen die Novitäten so zahlreich wie die Knospen. Hoffentlich währt
ihre Blüthezeit länger als die der Frühlingskinder des Weghuberparkes.
Zu den gesunden Blumen, die das Volkstheater in jüngster Zeit gepflanzt,
zählen die vier Schnitzler'schen Einakter „Lebendige Stunden“. Sie brachten
einen soliden Premiérenerfolg, der Dauer verspricht. Der Dichter konnte
bei der Inszenirung seiner Stücke nicht mithelfen, weil er zur selben Zeit
die Einstudirung seines Dramas „Der Schleier der Beatrice" in Berlin
leitete. Aber zur Generalprobe konnte er doch noch rechtzeitig eintreffen.
Der Vorhang ging auf. Eben begann man das zweite Stück „Die Frau
mit dem Dolche“ zu spielen. Der Dichter lauschte im Parket dem Zwie¬
gespräche der Sandrock (Pauline) und Kramer's (Leonhard), die
nach Vorschrift jene Bilder betrachteten, welche der gemalte Theaterprospekt
aufweist; denn der erste Theil des Schauspiel=Einakters spielt in einer
Bidergalerie. Des Dichters Aufmerksamkeit war ganz und gar auf den
prechton der Darsteller gerichtet, der sehr angenehm an sein Ohr schlug.
(So kannte man wenigstens in Schnitzler's Miene lesen. Da kam Fräulein
Sandrock in ihrer Rolle zu dem Satze:
„In diesem Bildersaale fühl' ich mich so wohl; da drüben bei den
alten Deutschen und Niederländern neulich war mir gar nicht so behaglich.
Aber hier — bei diesen Bildern — habe ich eine Art von Heimats¬
gefühl ...“
Weiter konnte Fräulein Sandrock nicht sprechen, denn der Dichter
war in größter Erregung von seinem Sitze aufgesprungen und hatte die
sofortige Unterbrechung der Probe verlangt.
„Das Stück kann nicht aufgeführt werden,“ rief Dr. Schnitzler
aus, „wenn nicht bis zum Abend der Prospekt, der die Bildergalerie dar¬
stellt, vollständig umgemalt wird. Sonst lacht das Publikum bei)
dieser Stelle.“
Welche Beobachtung hatte den Dichter zu solchem Protest ver¬
anlaßt? Nun — es war keine Kleinigkeit: Der Theatermaler hatte fast
nur Stier= und andere Thierköpfe auf jene Bilder gemalt, zu denen
sich Pauline=Sandrock durch ein so auffallend warmes „Heimats¬
gefühl“ hingezogen sieht! Ja, an einer späteren Stelle des Dialoges weist
sogar ihr Partner, Leonhard=Kramer, auf die Möglichkeit hin, daß Pauline
von den Trägern jener Physiognomien, die im sechzehnten Jahrhundert
gelebt haben, abstammen könne, daß sie mit ihnen verwandt sei. Und
wer waren diese gemalten Vorfahren? Der Pinsel des Theatermalers
hatte sie vornehmlich als Rinder und einen Schwan dargestellt, den der
unbewaffnete Beschauer bei einigem Bratenappetit auch für eine Gaus halten
konnte... Direktion und Regie sahen sofort ein, daß des Dichters
Beschwerde vollauf berechtigt sei. Der Theatermaler mußte binnen weniger
Stunden den ganzen Bilderprospekt umändern. Man pries es als ein
Glück, daß der Dichter noch rechtzeitig auf den Fehler aufmerksam ge¬
macht habe.
Trotzdem gab es am Abend der Première doch noch einen Zwischen¬
fall, der wohl nicht durch einen Mißgriff in der Dekoration, aber doch durch
die eigenthümliche Wahl eines Requisites herbeigeführt wurde. Es war
beinahe, als hätten sich an diesem Abend Dinge verschworen, nicht
Personen... Der kritische Vorfall ereignete sich während des letzten der
vier Einakter, in dem köstlichen Schwanke „Literatur“. Eine der gelungensten
Figuren dieses Stückes ist der literarische Naturbursche Gilbert, jener
Münchner Kaffeehausbohémien, der die ihm von seiner angebeteten Marga¬
rethe geschriebenen Liebesbriefe und seine eigenen Antworten darauf in
seinem jüngsten Romane verwerthet, das heißt, wortwörtlich abgedruckt
hat. Diesen Roman bringt er nun der über solche Indiskretion entsetzten
Margarethe und reicht ihr ihn über den Tisch hinüber.
In dem Aubenblicke nun, da Herr Kutschera (Gilbert) dem
Fräulein Sandrock (Margarethe) das Buch hinüberreichte, sah man, wie sich
aus einer Loge ein kleiner, wohlgenährter Herr mit interessantem sprühendem
Literatenkopf von seinem Sitze erhob, einige Augenblicke stehend das Fern¬
glas auf die Bühne richtete und sich dann in sichtlich gereizter Stimmung
mit einiger Heftigkeit wieder niedersetzte...
nur allzubald erfahren. Denn unmittelbar nachdem der Vorhang gefallen
war, erschien der Herr aus der Loge, Genugthuung fordernd auf der
Bühne. Es war Dr. Julius v. Ludassy. Man denke nur, welche Be¬
obachtung er mit Hilfe seines scharfen Glases aus der Ferne gertächt
hatte: Das Buch, welches der Literaturbengel Kutschera=Gilbert aus
seiner Ueberrocktasche zog, um es Fräulein Sandrock als sein jüngstes Werk
zu überreichen, war die Buchausgabe des Volksstückes „Der letzte Knopf“
von Julius v. Ludassy, das vor drei Jahren im Deutschen Volkstheater
mit so sensationellem Erfolge gegeben worden ist. Dabei muß bemerkt
werden, daß die Werke Gilbert's und Konsorten im Dialoge ausdrücklich
als „Kaffeehausliteratur“ gekennzeichnet werden. Das konnte sich ein Schrift¬
steller von Geist, dessen Werk dem Volkstheater so schöne Einnahmen ge¬
bracht, denn doch nicht bieten lassen. Und so fragte Ludassy den Dichter