II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 577

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16.1. Lebendigtunde—zpklus

e
So wie der Frühling wieder kommt und des Alten Gärtchin
miteinander. Da starb die Hof¬
heute“ allerdings lediglich, um sofort zu sehen, wie der spie߬
wieder blüht, so pulsiert das warme Leben auch weiter und
üblicke schien es Haushofer, als
bürgerliche Otto Ernst mit stumpfer Klinge sicht, während
kümmert sich nicht um die Schatten der Toten. Das ist alles
t dahingegangen. Nun kommt ein
Schnitzler sein gespitzte Pfeile absendet und in dem einen kleinen
sehr schön, aber streng lyrisch und zu wenig dramatisch, also eine
eder sucht ihn der Verstorbenen
Akt an kräftiger Satire weit mehr leistet als jener den ganzen
Auseinandersetzung zum Lesen, aber nicht zum Darstellen und
s ein Dichter, auf. Die Hof¬
Abend lang.
deshalb hat auch dieses Stückchen nirgends erwärmen wollen
de einen Brief hinterlassen mit
Nun wird der Leser vielleicht auch wissen wollen, warum
und nirgends Erfolg gehabt und deshalb haben die Wiener
hat sich selbst den Tod gegeben,
das Ganze Lebendige Stunden“ heißt. Die Frage ist allerdings
Gäste Recht gehabt, es einfach wegzulassen.
und zwar aus Liebe zu ihrem
nicht so leicht zu beantworten. Darüber haben sich schon manche
e einem schweren Siechtum ent¬
Auch das zweite einaktige Schauspiel „Die Frau mit
Leute den Kopf zerbrochen, die über Schnitzlers „Lebendige
Krankheit dem geliebten Jungen
dem Dolche“ scheint uns nicht übermäßig geglückt zu sein.
Stunden“ zu schreiben hatten, aber alle ihre Erklärungen scheinen
Pauline ist die Frau eines gefeierten Dichters, der ihr nicht
jeude nehmen, ihn zur Untätigkeit
nicht ganz zuzutreffen. Wir haben diejenige Stelle aus dem
immer treu geblieben, dem sie aber bisher die Treue bewahrt
des Sohnes bringt sie nun ihr
Stückchen angeführt, welche man als ein Motto für den ganzen
hat. Aber sie flirtet doch mit dem jungen Leonhard und trifft
Haushofer zürnt ihr ob dieser
Zyklus annehmen könnte, aber das ist im Grunde genommen
sich mit ihrem Geliebten in einer Gemäldegalerie. Dort dringt
sie nicht an ihn gedacht, dem sie
doch zu wenig, wenn ein Dichter vier Akte schreiben würde, um
er in sie und erbittet sich ein Stelldichein. Es ist der Tag nach
kliebte Freundin hätte sein können
den Satz zu beweisen: Der Lebende hat recht, oder, wenn man
der glänzenden Premiere eines Stückes ihres Mannes, in welchem
ft er die Wahrheit brutal dem
vielleicht besser sagen könnte, daß der Lebende nicht dem Toten
dieser Mann sein Verhältnis zu seiner Frau dramatisch derart
liest ihm den Brief vor und
zum Opfer fallen darf. Dies als verbindender Gedanke läßt
verarbeitete, daß jeder Bekannte sofort die Originale erkennen
blicke ganz geknickt. Dann aber
sich auch nur mühsam aus den vier Stücken herausdestillieren.
konnte. Er macht ein neues Stück aus dem Schmerze seiner
ote ist nun tot, für ihn heißt es
Dagegen kehrt immer ein Gedanke wieder nämlich das
Gattin, behauptet Leonhard, und ihr ganzes Schicksal bedeute
fffen, um zu beweisen, daß seine
Leben, und zwar das eigene Leben, die eigene Persönlichkeit als
für ihn nichts anderes als eine Gelegenheit, seinen Witz oder
hn gestorben. Da sagt der alte
künstlerisches und dichterisches Modell. Aus Stunden, die für
sein Genie zu zeigen, und seine wie ihre Geheimnisse gibt er
einrich! Vor einem Monat hat
ihn lebendig waren, die er erlebt und durchgelebt, schafft der
dem Pöbel preis. Trotzdem erklärt Pauline, ihrem Gatten treu
du kannst so reden? Für dich
Künstler und der Dichter seine Werke. Dazu würde dann das
bleiben zu wollen, und weist Leonhard zurück. Da fallen ihre
u gehst hin und schüttelst es von
erste Stückchen einen akademischen Prolog, eine bloß dialogisierte
Augen auf ein altes Bild aus der italienischen Renaissance, die
Tagen nimmst dus vielleicht hin,
Vorrede bilden. In der „Frau mit dem Dolche“ sieht der
Frau, die einen Dolch hoch erhoben in der Hand hält. Diese
gewesen? Hab ich nicht Recht;
Maler, wie wir erzählt haben, in seiner Frau Paola, die ihren
Frau mit dem Dolche sieht ihr selbst sehr ähnlich und, in den
dere? Hochmutig seid Ihr — das
Geliebten vor den Augen ihres Gatten tötet, nichts als das
Anblick dieses Bildes versunken, erscheint Pauline wie in einem
oßen wie die Kleinen! Was ist
geeignete Modell für sein Bild und auch die moderne Pauline
visionären Traume die Geschichte dieses Weibes mit dem Dolche.
und wenn du das größte Genie
gibt ihren Gatten, einen Dichter, auf, weil dieser mit ihr ein
Der Schauplatz verändert sich plötzlich vor unseren Augen und
ne Stunde, so eine lebendige
Verhältnis sozusagen lediglich als Studienzweck für seine Dichtung
das, was Pauline im Geiste sieht und denkt, das sehen wir
ktter hier auf den Lehnstuhl ge¬
betreibt. Im dritten Stückchen finden wir die Gedanken aller¬
plötzlich vor uns: ein Maleratelier der italienischen Renaissanre.
t, oder auch geschwiegen — aber
dings bei Nebenpersonen verkörpert, vornehmlich in dem Schau¬
Paola, die Frau des großen Künstlers Remigio, hat während
sie hat gelebt, gelebt!“ Heinrich
spieler, der in der kalten Oede des Krankenhauses nach Modellen
seiner Abwesenheit dessen Schüler Lionardo ihre Liebe geschenkt.
ge Stunden? Sie leben doch nicht
für seine Bühnenschöpfung sucht, und auch der vom Publikum
Aber beim Erwachen aus dem kurzen Liebestaumel sieht sie,
ihr# erinnert. Es ist nicht der
belächelte Weihgast geht mit den Worten aus dem Kranken¬
daß sie sich weggeworfen hat, denn wie viel höher steht ihr
Stunden Dauer zu ver¬
hause, indem er zu dem Arzte sagt, es habe ihn ge¬
Gatte, der große Künstler, über seinen unbedeutenden Gehilfen!
Leben Sie wohl,
hinaus. —
freut, diesen bei der Arbeit zu belauschen: „Es war
Und als Remigio zurückkehrt, da klagt sie sich selbst des Treu¬
gibt Ihnen heute noch das
mir überhaupt in vieler Beziehung interessant.“ Im
bruches vor dem Gatten an. Aber auch dem Meister scheint
Im Frühjahr, wenn Ihr Garten
vierten Stückhen dreht es sich direkt um die These, wie
Lionardo zu armselig für seinen Zorn. Ohne die Hand gegen
ir uns wieder. Denn auch Sie
weit ein Schriftsteller das Selbsterlebte der gesamten Leserwelt
ihn zu erheben, weist er ihn einfach hinaus; noch erbärmlicher
bringen darf, soll oder muß. Darinnen, glaube ich, steckt der
steht dieser in den Augen Paolas da und so ergreift sie selbst
nte Gegenüberstellung: die gebende
verbindende Zug, der die vier Einakter Schnitzlers miteinander
den Dolch, der im Atelier liegt, und stößt ihn Lionardo in den
be der Jugend, die Opfer verlangt
verknüpft. „Solchen lebendigen Stunden Dauer zu verleihen“
Leib, daß er tot zusammensinkt. In Remigio aber erwacht in
agen. Schließlich hat das Lebende,
darauf kommt es an, sagt im Prologstückchen der junge Dichter
das Tote und das V gangene. dem Augenblicke der Maler, nur der Maler allein. Er vergißt, Heinrich.
Dr. Karl v. Görner.—