II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 578

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Ausschnitt aus:
vom: 72#41#0
Ländschaftliches Theater
„Lebendige Stunden.“
Das zweite Gastspiel des Burgtheater=Ensembles brachte
einen ungleich interessanteren Abend. Der Einakter=Cyclus
„Lebendige Stunden“, von welchem das erste Stück, das eigent¬
lich diesen Titel trägt, vorenthalten wurde, hat hier wie überall
einen von Akt zu Akt sich steigenden Erfolg erzielt. Artur
Schnitzler ist ein feiner Beobachter und ein geistreicher Canseur.
„Die Frau mit dem Dolche“ ist ein romantisch=modernes,
nicht immer verständliches, symbolisierendes Schauspiel. Eine
Frau und deren Liebhaber treffen sich in einer Kunstausstellung
und während sie sinnend vor einem Bilde sitzen, wird dieses nach
einer kurzen Verwandlung zur dramatischen Szene, in der sich
ein Ehe= und Liebesroman abspielt; wieder eine kurze Verwand¬
lung und wieder das gleiche Bild in der Kunstausstellung —
der Roman spinnt sich in den modernen Menschen fort. Ein
Stück ohne Anfang und ohne Ende, ein Stück ewigen mensch¬
lichen Irrens.
„Die letzten Masken“ gehen auf die Nerven. Ein Zimmer
im Krankenhaus, ein sterbender Journalist, ein dem Tode ge¬
weihter Schauspieler. Der Journalist, ein vom Schicksal ver¬
folgter Dichter, sehnt sich in der Todesstunde in verzehrendem
Hasse nach seinem einstigen Freunde, der, unbedeutender wie er,
aber vom Glücke begünstigt, ein gefeierter Modedichter geworden
ist. Alles will er ihm sagen, was er Jahre lang in Groll und
Verbitterung in sich hineingewürgt, seine ganze hohle Nichtigkeit
will er ihm vorhalten und sagen will er ihm, daß er seines
Weibes Liebe besessen hat. Der Schauspieler statiert ihm in eitler
Gutmütigkeit bei diesem grausen Monologe. Doch als der
berühmte Dichter wirklich kommt und sich mit Gemeinplätzen über
die Verlegenheit der Situation hinwegzuhelsen versteht, da er¬
sterben ihm die Worte, ein erhabenes Schweigen tritt an die
Stelle der Vorwürfe. „Wie armselig sind doch die Menschen, die
morgen noch zu leben haben!“ und er stirbt.
„Die Literatur“ ist ein ebenso amüsantes als geistvolles
Lustspiel. Mit ätzendem Spotie, mit prachtvoller Satire geißelt
Schnitzler die absichtliche Frivolität moderner Schriftsteller und
Schriftstellerinnen, welche mit cynischer Berechnung aus den hei¬
ligsten Gefühlen belletristisches Kapital schlagen. Der Abend ver¬
mittelte dem Linzer Publikum die Bekanntschaft mit einem der
geistreichsten und interessantesten Schauspieler, die je die Bühne
betreten haben. Es ist Herr Albert Heine, ein Name, der auch
Vielen, die ihn als Schauspieler noch nicht zu sehen Gelegenheit
hatten, längst durch seine hervorragende, eifrige und erfolgreiche
Tätigkeit in der Inszenierung bedeutender, selten nie zur Auffüh¬
rung gelangender Dichterwerke geläufig ist. Herr Heine ist ein
genialer Künstler. Seine Darstellung des sterbenden Journalisten
ist im höchsten Grade bewunderungswürdig, tiefergreifend, fesselnd
in der kleinsten Nuance seines unbeschreiblich natürlichen, dem
Leben abgelauschten Spieles. Sein kaustischer Humor, den er als
Literat im letzten Einakter entwickelte, ist hinreißend, glänzend.
Frl. Rabitow ist eine Schauspielerin von scharfem Verstande,
von bezwingender Intelligenz. Für die frivole Schriftstellerin er¬
schien sie seelisch zu vornehm.
Hr. Wanka ist kein imponierender Schauspieler; seine Dars
stellung des „Leonhard“ im ersten Einakter machte diesen nicht
verständlicher. Im letzten gab er immerhin eine gute Figur ab
doch dachte man unwillkürlich an Treßler, der die Rolle zweifel¬
los origineller und wirksamer spielen würde. Die Herren Schmidtz
und Nowotny nahmen an den Ehren des Abends verdienten An¬
teil. Ersterer erhielt einen Lorbeerkranz.
L. F.-C.
Oe.=ung.Bankakt. 1619.— 1629
Tendenz: Still.
Unionbankaktien 521.— 522.—
Verzeichnis der Verstorbenen in Linz.
Am 19. April: Anna Eder, Taglöhnerskind, 6 W., Harracs¬
straße 33, Bronchitis. — Wilhelm Volst, Friseur, 41 J., Prunerstr. 3,
Lungentuberkulose.
Am 20.: Rosina Gundacker,
Steinarbeitersgattin, 27 J.,
Elisabeth=Spital, Herzbeutelentzündung.
— Marie Weismayr, Private,
27 J., Marktstr. 9, Tuberkulose. — Ferdinand Grubbauer, Lohn¬
schlächter, 37 J., Allg. Krankenhaus, Lungensucht. — Franz Winkler,
Taglöhner, 44 J., Museumstr. 12, Gefäßverkalkung. — Katharina
Krenmaier, Taglöhnerin, 30 J., Kaiserg. 24, Lungenödem.
Theater, Kunst und Literatur.
Linz, 21. Mai.
Die diesjährige Nachsaison bietet uns eine ganze Reihe
auserlesener Genüsse, sowohl was die Vorführung der Novitäten
als auch die Kunst der Darstellung anlangt. Das gestrige zweite
Gastspiel des Hofburgtheater=Ensembels brachte uns
den Einakterzyklus Arthur Schnitzlers „Lebendige
Stunden“, allerdings mit Hinweglassung des ersten der vier
Stückchen, das den gleichen Titel wie die ganze Serie führt.
Wer das Werk kennt, wird ob dieser Weglassung nicht über¬
mäßig zürnen. Es wurden somit nur drei der vier Einakter,
und zwar „Die Frau mit dem Dolche", „Die letzten
Masken“ und „Literatur“ aufgeführt. Das erste, ein
Schauspiel, ist ein merkwürdiges Traumstück; die Heldin sieht
in traumhafter Phäntasie während des Anblickes eines Bildes
ihr Schicksal bei Zurückversetzung in die Renaissance; das
zweite ist tragikomisch im wahrsten Sinne des Wortes, denn die
Szene am Sterbebette eines Kranken im Krankenhause ist ganz
durchsetzt von Satire und Ironie, das dritte, das sich Lustspiel
nennt, ist eine ausgesprochene Satire auf das moderne literarische
Gigerltum. Es fehlt uns heute an Raum und Zeit, uns mit
dem Stücke Schnitzlers näher zu befassen, hoffentlich können wir
das nachholen. Die gestrige Vorstellung führte uns außer den
Herren Wanka, Schmidt und Nowotny, die bereits
Dienstag aufgetreten waren, auch Herrn Heine und
Frl. Rabitow als neue Gäste vor. Frl. Rabitow hat in
der letzten Spielzeit der Direktion Cavar an zwei Abenden in#
Linz gastiert, darunter einmal als Maria Stuart und damals
konnten wir uns mit ihr nicht völlig einverstanden erklären. Sie
machte damals nämlich den Versuch, der immer scheitern muß,
Figuren des klassischen Dramas modern aufzufassen und zu
spielen. Das ist ein Widerspruch in sich selbst, über den man
nie hinwegkommen wird. Dagegen zeigte sie ihre Kunst damals
als Marikke in Sudermanns „Johannisfeuer“. Der gestrige
Abend bot ihr Gelegenheit, in der „Frau mit dem Dolche“
ernste Töne anzuschlagen und in der „Literatur“ die ga##e
Frivolität einer leichtsinnigen Lebedame zu entwickeln.
verlieh der Dichtergattin Pauline, welche zwischen dem Manne
und dem Liebhaber umherschwankt, um sich nach der Traum¬
vision dem letzteren definitiv zuzuwenden, einen tiefempfundenen,
ja stellenweise tragischen Ton, der uns den inneren Kampf
dieser Frau vollkommen ahnen ließ und um so stärker abstach
gegen die Margarete in der „Literatur", die im Grunde ge¬
nommen ein Seitenstück zur Pauline ist. Die Natürlichkeit ihrer
Darstellungsweise, das Ungesuchte ihres Spieles traten in beiden
Stücken ebenso zutage wie ihre unaufdringliche und dabei doch
scharfe Kunst der Charakteristik. Herr Heine spielte in allen
drei Stücken. Dieser Künstler, der sich heute schon im Burg¬
theater eine angesehene Stellung verschafft hat und im dem
mancher einen zweiten Mitterwurzer sehen will, spielte im ersten
Stücke allerdings nur die kleine und wenig dankbare Rolle des
Remigio. Hier mutete er uns etwas theatralisch an in Maske
und Gebärde. Seine Kunst voll zu entfalten, gestatteten die
beiden anderen Stücke. In den „Letzten Masken“ gab er den
armen, vom Leben müdegehetzten Journalisten, der auf dem
Sterbebette nur den einen Wunsch hat, seinem glücklicheren Neben¬
buhler, dem aufgeblasenen und innerlich nichtigen Dichter Weihgast
einmal die ganze Verachtung in das Gesicht zu schleudern, die
er für ihn hegt, und ihm sein Lebensglück zu zerstören durch die Mit¬
teilung, daß Weihgasts Frau seine, des armen Zeilenschreibers, Ge¬
liebte gewesen und der dann, nachdem er sich in einer Art General¬
probe seine ganze Wut und seinen ganzen Schmerz vom Herzen
gesprochen, als sein Feind vor ihm steht, schweigt, weil „ihn die
Leute nichts mehr angehen, die morgen noch leben müssen" Es
war eine Gestalt von erschütternder Lebenswahrheit, dieser sterbende
Journalist Rademacher des Herrn Heine. Ebenso glänzend gab
Herr Heine den literarischen Vagabunden Gilbert mit seiner
Selbstvergötterung. Der echte Dekadente, dessen Spottsucht bis
zur Selbstironie geht, in dem Feigheit und Ueberhebung sich
mischen und der das Fünkchen seines kleinen Talents unter
ewiger Selbstberäucherung immer wieder anbläst. Zu Herrn
Heine und Frl. Rabitow gesellten sich die anderen, so Herr
Wanka, der insbesondere den bornierten Kavalier im letzten