II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 580

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16.1. Lebendige Stunden Zyklus
Dr. Max Goldschmidt
„ Bureau für
Zeitungsausschnitte
Telephon: III, 3051.
Berlin N. 24.
Ausschnitt aus
geresische ende Wahee
TSSER l —
= (Residenz=Theater.) Wiesbaden, 16. Sept.
[Das Residenz=Theater hat Samstag seinen ersten lite¬
rarischen Abend gehabt. Arthur Schnitzter war die
Losung
ein Name, Mit der
sch vielfach wider¬
sprechende Vorstellungen und Eu
Aus dem Wiener Milieu hervorgegangen, dem Gemisch
von Großherzigkeit und Schwache, von Sorglosigkeit
und Sentimentalität, ist er wohl der Bedeutendste der
Wiener „Modernen“ Je nachdem man sich des einen
oder des anderen seiner Werke erinnert, erscheint es
ein dekadenter und wieder ein Höhenkünstler, ein feiner
Beobachter, ein geistreicher, oft boshafter Plauder###
oder tiefsinniger Grübler über die kompliziertestn
Seelenprolieme, aber allenhalben als eine Persötz¬
lichkeit, die was zu sagen hat. Und daß er ernste Arbct
an sich selbst übt, zeigt sich deutlich, wenn man seine
Aufschwung von „Anatol“ zu „Liebelei“, von seinet
„Dialogen“ zu „Der Schleier der Beatrice" bis zu „Der
einsame Weg“ verfolgt.
Was uns diesmal der „Schnitzler=Abend“
brachte, war interessant genug, um den Appetit nach
besserer literarischer Kost zu reizen. Es gab drei von
dem unter dem Titel „Lebendige Stunden“ er¬
schienenen Einakterzyklus — „Die Frau mit dem Dolch“
hat Dr. Rauch woh.weislich ausgeschieden. Auch auf
das Schauspiel mit dem gleichlautenden Obertitel
„Lebendige Stunden“, das hier den Abend eröffnete,
hätte man verzichten können — es ist eine trockene Ab¬
handlung ohne dramatischer Bewegung. Das große
innere Geschehen erwarten wir vergebens, nachdem der
junge Dichter Heinrich von dem alten Freunde seiner
Mutter erfährt, daß diese keines natürlichen Todes
gestorben, sondern um seinetwillen Selbstmord geüht
hat, um ihn von den niederdrückenden Sorgen zu be¬
freien, unter denen sein eigenes Leben und Schaffen
zu verkümmern drohte. Gerade an dem Angelpunkt des
Stückes, wie dem Sohne aus dem Tode der Mutter
neues Leben ersteht, versagte die dramatische Kraft. Mit
den „Lebendigen Stunden“ sind nämlich die letzten ge¬
heimnisvollen Stunden vor dem Sterben gemeint, die
dem Schaffenden zu lebendigen Stunden werden.
Das Stück machte einen befremdenden Eindruck, den
auch die etwas farblose Darstellung nicht mindern konnte.
Düster lag es über dem Ganzen, das auch die Gaslaterne,
die auf der Bühne angezündet wird, damit der Sohn
den Brief mit dem grausamen Bekenntnis der Mutter
lesen kann, nicht erhellen konnte.
Nicht weniger düster, aber psychologisch durchsichtig
und dramatisch spannend war das folgende Schauspiel
„Die letzten Masken“ in dem der mit dem Tode
ringende Journalist Karl Rademacher noch einmal auf
sein verlorenes Leben zurückblickt. Nur ein Wunsch er¬
füllt seine fliehende Seele — ein Wunsch, den er sein,
Leben lang hat unterdrücken müssen— die aufgedrungene
Maske des „stillen Dulders“ abzuwersen und mit seinem
Eiin
Todfeinde abrechnen zu tonnen. Aber als dieser wirklich
in der erbärmlichen Maske des wohlwollenden Freun¬
des und Protektors vor ihm erscheint, verstummt die
von seinem Leidensgefährten, dem Schauspieler Jack¬
wath, aggefachte Beredsamkeit; klein und verächtlich er¬
scheint ihm der große Feind an der Pforte des Todes. —
„Was habe ich mit Leuten zu schaffen, die morgen noch
leben werden?“
das sind seine letzten Worte: auch
auch ihm wird die Todesstunde zur lebendigen Stunde. —
Die Wirkung des Schauspiels war dank der vortreff¬
lichen Darstellung, tief ergreifend — nicht für allzu
zarte Nerven berechnet, aber eine wohltätige Auf¬
rüttelung für Gesunde.
Eine erwünschte Abspannung gewährte die letzte Gabe
des Abends, die schlagfertige, von ausgelassenstem
Humor und unwiderstehlicher Situationskomik strotzende
Satir
S