II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 581

oder tiefsinniger Grübler über die kompliziertestin
Seelenprobleme, aber allenthalben als eine Persöh¬
lichkeit, die was zu sagen hat. Und daß er ernste Arbezt
an sich selbst übt, zeigt sich deutlich, wenn man seine
Aufschwung von „Anatol“ zu „Liebelei", von seinet¬
„Dialogen zu „Der Schleier der Beatrice" bis zu „Derz
einsame Weg“ verfolgt.
Was uns diesmal der „Schnitzler=Abend“
brachte, war interessant genug, um den Appetit nach
besserer literarischer Kost zu reizen. Es gab drei von
dem unter dem Titel „Lebendige Stunden“ er¬
schienenen Einakterzyklus
„Die Frau mit dem Dolch“
hat Dr. Rauch woh.weislich ausgeschieden. Auch auf
das Schauspiel mit dem gleichlautenden Obertitel
„Lebendige Stunden", das
hier den Abend eröffnete,
hätte man verzichten können
es ist eine trockene Ab¬
handlung ohne dramatischer Bewegung. Das große
innere Geschehen erwarten wir vergebens, nachdem der
junge Dichter Heinrich von dem alten Freunde seiner
Mutter erjährt, daß diese keines natürlichen Todes
gestorben, sondern um seinetwillen Selbstmord geübt
hat, um ihn von den niederdrückenden Sorgen zu be¬
freien, unter denen sein eigenes Leben und Schaffen
zu verkümmern drohle. Gerade an dem Angelpunkt des
Stückes, wie dem Sohne aus dem Tode der Mutter
neues Leben ersteht, versagte die dramatische Kraft. Mit
den „Lebendigen Stunden“ sind nämlich die letzten ge¬
heimnisvollen Stunden vor dem Sterben gemeint, die
dem Schaffenden zu lebendigen Stunden werden.
Das Stück machte einen befremdenden Eindruck, den
auch die etwas farblose Darstellung nicht mindern konnte.
Düster lag es über dem Ganzen, das auch die Gaslaterne,
die auf der Bühne angezündet wird, damit der Sohn
den Brief mit dem grausamen Bekenntnis der Mutter
lesen kann, nicht erhellen konnte.
Nicht weniger düster, aber psychologisch durchsichtig
und dramatisch spannend war das folgende Schauspiel
„Dieletzten Masken“ in dem der mit dem Tode
ringende Journalist Karl Rademacher noch einmal auf
sein verlorenes Leben zurückblickt. Nur ein Wunsch er¬
füllt seine fliehende Seele — ein Wunsch, den er sein
Leben lang hat unterdrücken müssen—, die aufgedrungene
Maske des „stillen Dulders“ abzuwerfen und mit seinem
Todfeinde abrechnen zu können. Aber als dieser wirklich
in der erbärmlichen Maske des wohlwollenden Freun¬
des und Protektors vor ihm erscheint, verstummt die
von seinem Leidensgefährten, dem Schauspieler Jack¬
wath, angefachte Beredsamkeit; klein und verächtlich er¬
scheint ihm der große Feind an der Pforte des Todes. —
„Was habe ich mit Leuten zu schaffen, die morgen noch
leben werden?“ —
das sind seine letzten Worte: auch
auch ihm wird die Todesstunde zur lebendigen Stunde. —
Die Wirkung des Schauspiels war dank der vortreff¬
lichen Darstellung, tief eigreifend — nicht für allzu
zarte Nerven berechnet, aber eine wohltätige Auf¬
rüttelung für Gesunde.
Eine erwünschte Abspannung gewährte die letzte Gabe
des Abends, die schlagfertige, von ##usgelassenstem
Humor und unwiderstehlicher Situationskomik strotzende
Satire „Literatar: Die mit Sicherheit geführten
Geißelhiebe gelten der literarischen Prostitution, die mit
der eigenen Nacktheit koketiert, der das unmittelbare Er¬
lebnis Alles bedeutet, das mittelbar Geschaute aber
nichts ist. Zwischen zwei köstlichen Typen dieser Art, einer
weiblichen und einer männlichen — Margarete und
Gilbert genannt
und dem zwar sehr aristokratisch
empfindenden aber literarisch nicht minder bornierten
Baron Klemens spielt sich die Komödie äußerst kurz¬
weilig ab.
Auch hier stand die Darstellung wie in „Die letzten
Masken“, sowohl was die Einzelleistungen wie das ge¬
lungene Zusammenspiel betrifft, auf einer höchst respek¬
tablen künstlerischen Höhe. So tief ergreifend Georg
Rücker den auf dem Sterbelager zur letzten lebendigen
Stunde sich aufraffenden Journalisten Rademacher zu
gestalten wußte, so voll saftigen Humors war dagegen
der brutale Literaturprotze Gilbert in „Literatur“.
Aber eine so fein abgetönte psychologische Studie sein
Rademacher in „Die letzten Masken“ auch war, so
möchten wir dem Künstler doch in Erwägung geben,
ob die dramatische Wirkung nicht noch erhöht würde,
wenn er den leidenschaftlichen Ausbruch vor dem Er¬
scheinen Weihgasts direkt an den seine Illusionen er¬
regenden Schauspieler Jackwath richten wollte, statt
seine Reden visionär ins Publikum zu sprechen — er
fällt dadurch gleichsam aus dem Rahmen und Jackwath
verliert an Bedeutung.
Wesentlichen Anteil an der
großen Gesamtwirkung von „Die letzten Masken“ hatte
die diskrete und künstlerisch einordnende Wiedergabe des
Schauspielers durch Gust. Schultze, Weihgasts durch
Otto Kienscherf und des Arztes durch Arth. Roberts
Wally Wagener als Wärterin mit eingeschlossen.
Es war eine Darstellung, die dem Residenz=Theater zur
Ehre gereicht. — Dasselbe gilt auch von Marg. Frey
und Heinz Hetebrügge in „Literatur“ Eine helle
Freude war es, das fein pointierte Zusammenspiel der
beiden als Margarete und Baron Klemens zu verfolgen.
Besonders Herr Heiebrügge hat uns mit dieser Rolle
eine angenehme Ueberraschung bereitet, indem er damit
den Nachweis brachte, daß es ihm auch für die Lustspiel¬
charge nicht an Humor und Gestaltungskraft fehlt.
Dem Regisseur der Vorstellung Georg Rückerge¬
bührt-noch ein besonderes Lob.

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(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt auss
Linzer Zeitung
vom: 6= 1. /905
B
S
Landschaftliches Theater.
„Lebendige Stunden“
Ein Abend von literarischem Interesse — ein halbleeres
Haus. Eine Erscheinung, welche die schönsten literarischen
Bestrebungen einer Theaterdirektion gänzlich entmutigen
muß. Kein Wunder, wenn dann das Repertoire von Rastel¬
bindern, Pfefferkorns und Straubingers wimmelt. In dem
speziellen Falle: „Lebendige Stunden“ gibt es wohl für das
Publikum eine Entschuldigung. Die Einakter wurden am
Schlusse der vorigen Saison von einem Burgtheater=Ensemble
gegeben, allerdings nicht von einem durchwegs erstklassigen,
aber in der Hauptsache doch von hervorragenden Schauspie¬
lern. In erster Linie erinnerte man sich an Heines kaum zu
überbietende, schwer zu erreichende Glanzleistungen, an seinen
erschütternden Rademacher, an seinen köstlichen Gildert.
Anläßlich des erwähnten Gastspieles wurden die geist¬
reichen dramatischen Skizzen Artur Schnitzlers an dieser
Stelle besprochen. Es erübrigt daher heute nur der Darstel¬
lung durch die hiesigen Schauspielkräfte zu gedenken.
Die Einleitung des Abends glückte am meisten und wir
möchten sogar der diesmaligen Darstellung des ersten Ein¬
akters: „Die Frau mit dem Dolche“ gegenüber jener durch
die Burgtheatermitglieder den Vorzug geben. Das symboli¬
sierende Stück wurde lebhafter, temperamentvoller, deutlicher
gespielt und die zweimalige Verwandlung erfolgte sowohl in
szenischer Hinsicht, wie in Bezug auf den Kostümwechsel mit
erstaunlicher Schnelligkeit. Frl. Haas sprach die moderne
Pauline viel markanter, wie Frl. Rabitow, und entwickelte
als Paola ein wahrhaft südländisches Temperament. Viel¬
leicht ging sie in diesem überschäumenden Affekt etwas über
die Intentionen des Dichters hinaus, aber es spricht von tief¬
gehender Auffassung, wenn die Leidenschaft eines
gefallenen und bereuenden Weibes, einer Italienerin
zumal, mit voller Kraft wiedergegeben wird. Herr
Forster brachte für den Leonhard, wie für den Leonardo
den richtigen Ton. Den Remigio sprach und spielte
Herr Elmenberg gut. Das Gleiche ließe sich von seiner
Darstellung des „Weihgast“ in „Die letzten Masken“ nicht be¬
haupten. Die Maske war nicht glücklich gewählt, das Bild
des Charakters war gar nicht getroffen. Den sterbenden Rade¬
macher gab Herr Hoppé wohlmicht mit der fascinierenden
Naturtreue, die Herr Heine aufbrachte, doch mit schauspieleri¬
scher Gewandtheit und überzeugender, an vereinzelten Stel¬
len nur etwas zu sentimentaler Empfindung. Das sonnen¬
thalsche Taschentuch soll ein Rademacher nicht verwenden.
Den Gilbert spielte Herr Hoppé mit wirksamem Humor,
doch erschien er noch zu „philisterhaft anständig“, zu wenig
salopp. Herr Anthony war sehr gut als lungensüchtiger
Schauspieler, nicht minder als Aristokratentype. Fräulein
Stoll, die man seit vielen Wochen nicht mehr gesehen hatte,
war als Margarete in der brillanten Satire „Literatur“ char¬
mant und geistvoll.
r. N.0