II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 584

16.1
Lebendige Stunden zyklus box 21/5
Das Schauspiel „Die Frau mit dem Dolche"
Theater und Musik.
behandelt auch das Problem des Verhältnisses zwi¬
[„Lebendige Stunden.“ 4 Akte, vole 1
schen dem Künstler und dem Menschen, deren Schicksal
Arthur Schnitzler.] Unsere Theaterleitung hat sich¬
er bildet. Ein uraltes Problem, das vielleicht am
durch die Alfführlng und sorgfältige Einstudierung
häufigsten bei dem Streite diskutiert wurde, ob
des bedeutenden Werkes ein großes Verdienst er¬
Goethe sittlich handelte, als er über Friederike von
lendl.
worben. Das ausverkaufte Haus und das von Akt.
Sefenheim hinwegschritt. Die Szene unseres Schau¬
zu Akt steigende Interesse des Publikums bilden einen
spiels ist anfangs eine Bildergalerie, wo sich ein
Iet
Beweis, daß, auch vom nüchternsten Standpunkte
Paar trifft. Der junge Mann liebt die Frau eines
aus, der häufigen Veranstaltung literarischer Abende
großen Künstlers, dem die Frau nur Modell, nur
Guzen
nichts im Wege steht. Jedes Theater hat das
Gebärerin seiner künstlerischen Gestalten ist. Der
Publikum, das es verdient, — allerdings auch jedes
Jüngling hält der Geliebten das vor, was sie ihrem
Publikum das Theater, welches es verdient. Der
Manne im Grunde nur ist, sie soll sich nicht ausbeuten
einleitende Einakter „Lebendige Stunden“ litt in
lassen als Modell, sie soll ihm gehören als Weib.
seiner Wirkung durch den Lärm der noch geraume
Die Frau, zwiespältig und unklar in ihren Gefühlen,
Zeit nach Spielbeginn rücksichtslos eindringenden
glaubt in einem Gemälde, das sie bei Betrachtung
Spätlinge und durch die leise Sprechweise der Dar¬
der Gallerie erblickt, ihres Rätsels Lösung zu fin¬
steller, die auch im psychologischen Dialog ganz und
den: die Frau mit dem Dolche.
Die Szene
gar nicht am Platze ist. Zwischen deutlich und
verwandelt sich in das Atelier eines Renaissance¬
derb gibt es noch einen Unterschied und namentlich¬
künstlers., Paola, die Gattin des berühmten Malers
Kainz hat es gelehrt, wie man in einem Tone intin¬
Remigio, hat die Nacht im wilden Liebestaumel mit
sein kann bis zur wundervollsten Zartheit und ver¬
dem jungen Leonardo verbracht. Leonardo haßt Re¬
nehmlich bis zur Stehgalerie. Der Einakter „Le¬
migio, weil er ein großer Künstler ist, weil er seine
bendige Stunden“ ist ein Dialog, der an den Tod
Geliebte, Paola, die ihn als Modell entflammt, als
einer edlen Frau retrospektive Betrachtungen an¬
Weib entadelt. Er haßt Remigio, weil Paola ihn
knüpft. Eine Analyse des Vergangenen — nach
liebt — ihn liebt mit inbrünstiger Hingebung, mit
Ibsens Manier. Hausdorfer, der Geliebte und
anbetungsvoller Bewunderung. Remigio hat sie ge¬
spätere Freund der Verstorbenen, und Heinrich, ihr
malt — als Frau mit dem Dolche, und sie sieht, daß
Sohn, stehen sich gegenüber. Der Alte, ein praktischer
ihres Wesens Tiefe ihr Mann erst in dem Bilde aus¬
Mann des alltäglichen Berufes, ein naiver Lebens¬
geschöpft habe. Was ihr selbst verborgen, bisher in
genießer, der mit gemächlichem Pflichtgefühl seinen
ihr schlummerte, das hat ihr Mann aus ihr hervor¬
Garten bebaut und mit naivem Wohlbehagen die
geholt und im Bilde verewigt. Die grausame Tat¬
Blumen und Früchte pflückt und genießt.: Heinrich.
kraft einer Mörderin: Paola ist ein Weib voll tollen
ein Dichter, dem das Leben nur soviel bietet, als er
Widerspruches, der ein Widerspruch im Grunde doch
daraus schöpft und gestattet, dem hundert Stunden
nicht ist: dem Leonardo schenkt sie wahnsinnige
Stunden tierischer Lust, aber deren Bedeutung ist mit
inhaltsleer vorüberplätschern, bis eine sich ihm
öffnet, bis eine den Reichtum Tausender ihm schenkt
ihrem Vorüberrauschen verschwunden. Ihre ganze
Sehnsucht, ihre Seele gehört dem Gatten und Künst¬
Heinrichs Mutter siechte in jahrelanger Marter
dahin — und Heinrich, der liebende Sohn, der
ler, der ihrer Seele Rätsel in seiner Kunst löste.
empfindsame Mensch, wurde durch den Anblick der
Diese Leidenschaften, die feurige Liebe und der wü¬
gequälten Mutter in seinem Schaffen gehindert. Das¬
tende Haß Leonardos, der Konflikt zwischen tierischer
Liebe und seelischer Hingegebenheit bei Paola kommen
kann noch Jahre dauernd, sagen die Arzte. Da
macht die Mutter ihrem Leben freiwillig ein Ende,
in einem prachtvollen Dialoge voll bildkräftiger
Gleichnisse und voll fiebernder Leidenschaft zum Aus¬
sie will der Schaffenskraft ihres geliebten Sohnes¬
drucke. Da kommt Remigio zurück. Paola gesteht
kein Hindernis mehr sein. Und nun hat der Freund¬
ihm sofort alles. Leonardo bietet sich selbst der
der Toten dem Sohne, der von Stimmungen sauft
bewegt von einer Erholungsreise zurückkehrt, das ihm
Strafe dar. Aber Remigio weist ihn hinaus. Er
verborgene Geheimnis des Todes brutal in die Ohren
ist ihm gleichgiltig. Leonardo wütet gegen Remigio in
geschrien: „Deinetwegen ist sie in den Tod gegangen.
wahnsinnigem Hasse, er wird seine Schmach aus¬
du erbärmlicher Stimmungsmensch. Du bist ihr
schreien auf den Gassen, da erwacht in Paola die un¬
heimliche Wildheit der Mörderin, die Remigio in ihr
Mörder. Und wie wirst du dankbar sein? Eine
Tragödie wirst du schreiben und dich dadurch be¬
erkannte, die er auf die Leinwand bannte. Sie
ersticht ihren Geliebten. Remigio aber greift zum
freien. Aber was sind alle deine unvergänglichen
Werke, die aus dem Tode der Teuren entsprießen,
Pinsel und malt die Mörderin in der jetzigen Situ¬
gegen eine lebendige Stunde?" Der Sohn, der an¬
ation, wo die bisher nur erahnte Eigenart so pracht¬
fangs niedergeschmettert, hält dem wütenden Alltags¬
voll sichtbar ist .... Die Szene verwandelt sich
menschen das stolze Wort entgegen: „Entweder muß
neuerdings. Wir sind wieder in der Bildergalerie
bei Pauline und Leonard. Sie erwacht aus ihren
ich mich auch töten oder ihres Todes mich würdig
erweisen. Auch du lebst weiter.“ — Des Dichters Ab¬
Träumen und Pauline verspricht dem Jüngling eine
Stunde der Seligkeit. — Was ist der Sinn dieses
sicht war es, zwei Typen einander gegenüberzustellen,
eigenartigen Stückes, das die Stimmung ungelöster
ihren unversöhnlichen Gegensatz plastisch zu gestalten:
Rätselhaftigkeit zurückläßt? Wir sagten es oben:
den gestaltenden Künstler und den praktischen Durch¬
schnittsmenschen. Anfangs scheinen die Sympathien
das Verhältnis zwischen dem Künstler und seinem
Nebenmenschen, hier seinem Weibe. Der künstlerische
des Dichters auf der Seite des Alltags zu sein, aber
Egoismus verklärt das Weib zum Modelle, er schöpft
zum Schlusse ist seine Stellungnahme klar: der
den lebensvollen Inhalt zu Bilderzwecken aus und
Künstler hat recht, denn möge er auch einen dritten
läßt die ausgehöhlte Form zurück. Dennoch aber
lebendigen Menschen egoistisch als Motiv seiner Kunst
bildet der Künstler das Schicksal der derart geopfer¬
mehr denn als prachtolles Lebewesen lieben, ist denn
ten Frau, denn sie steht unter seinem suggestiven
die Liebe des Nichtkünstlers mehr als egoistischer
Banne, und mehr noch; oft löst der Künstler erst ihres
Genuß? Je größer die Hingabe, die den Schein des
Lebens Rätsel, zeigt ihr Kräfte, die in ihr schliefen,
Altruismus erzeugt, desto raffinierter der Genuß. —
und macht aus ihr das, was er in ihr mit Schöpfer¬
Der Dialog ist anfangs sehr undramatisch und erhebt
phantasie erblickte. Paola und Pauline sehnen sich
sich erst später auf den Flügeln Schnitzler'scher
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gebiren. Hier also
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„Letzten Masken“, di
immerhin eine künst