II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 585


worben. Das ausverkaufte Haus und das von Akt¬
zu Akt steigende Interesse des Publikums bilden einen
Beweis, daß, auch vom nüchternsten Standpunkte
aus, der häufigen Veranstaltung literarischer Abende
nichts im Wege steht. Jedes Theater hat das
Publikum, das es verdient, — allerdings auch jedes
Publikum das Theater, welches es verdient. Der
einleitende Einakter „Lebendige Stunden“ litt in
seiner Wirkung durch den Lärm der noch geraume
Zeit nach Spielbeginn rücksichtslos eindringenden
Spätlinge und durch die leise Sprechweise der Dar¬
steller, die auch im psychologischen Dialog ganz und
gar nicht am Platze ist. Zwischen deutlich und
derb gibt es noch einen Unterschied und namentlich
Kainz hat es gelehrt, wie man in einem Tone intim
sein kann bis zur wundervollsten Zartheit und ver¬
nehmlich bis zur Stehgalerie. Der Einakter „Le¬
bendige Stunden“ ist ein Dialog, der an den Tod
einer edlen Frau retrospektive Betrachtungen an¬
knüpft. Eine Analyse des Vergangenen —
nach
Ibsens Manier. Hausdorfer, der Geliebte und
spätere Freund der Verstorbenen, und Heinrich, ihr
Sohn, stehen sich gegenüber. Der Alte, ein praktischer
Mann des alltäglichen Berufes, ein naiver Lebens¬
genießer, der mit gemächlichem Pflichtgefühl seinen
Garten bebaut und mit naivem Wohlbehagen die
Blumen und Früchte pflückt und genießt.: Heinrich.
ein Dichter, dem das Leben nur soviel bietet, als er
daraus schöpft und gestattet, dem hundert Stunden
inhaltsleer vorüberplätschern, bis eine sich ihm
öffnet, bis eine den Reichtum Tausender ihm schenkt
Heinrichs Mutter siechte in jahrelanger Marter
dahin — und Heinrich, der liebende Sohn, der
empfindsame Mensch, wurde durch den Anblick der
gequälten Mutter in seinem Schaffen gehindert. Das
kann noch Jahre dauernd, sagen die Arzte. Da
macht die Mutter ihrem Leben freiwillig ein Ende.
sie will der Schaffenskraft ihres geliebten Sohnes
kein Hindernis mehr sein. Und nun hat der Freund¬
der Toten dem Sohne, der von Stimmungen sauft.
bewegt von einer Erholungsreise zurückkehrt, das ihm
verborgene Geheimnis des Todes brutal in die Ohren
geschrien: „Deinetwegen ist sie in den Tod gegangen,
du erbärmlicher Stimmungsmensch. Du bist ihr
Mörder. Und wie wirst du dankbar sein? Eine
Tragödie wirst du schreiben und dich dadurch be¬
freien. Aber was sind alle deine unvergänglichen
Werke, die aus dem Tode der Teuren entsprießen,
gegen eine lebendige Stunde?“ Der Sohn, der an¬
fangs niedergeschmettert, hält dem wütenden Alltags¬
menschen das stolze Wort entgegen: „Entweder mu߬
ich mich auch töten oder ihres Todes mich würdig
erweisen. Auch du lebst weiter.“ — Des Dichters Ab¬
sicht war es, zwei Typen einander gegenüberzustellen,
ihren unversöhnlichen Gegensatz plastisch zu gestalten:
den gestaltenden Künstler und den praktischen Durch¬
schnittsmenschen. Anfangs scheinen die Sympathien
des Dichters auf der Seite des Alltags zu sein, aber
zum Schlusse ist seine Stellungnahme klar: der
Künstler hat recht, denn möge er auch einen dritten
lebendigen Menschen egoistisch als Motiv seiner Kunst
mehr denn als prachtolles Lebewesen lieben, ist denn
die Liebe des Nichtkünstlers mehr als egoistischer
Genuß? Je größer die Hingabe, die den Schein des
Altruismus erzeugt, desto raffinierter der Genuß. —
Der Dialog ist anfangs sehr undramatisch und erhebt
sich erst später auf den Flügeln Schnitzler'scher
Sprachkunst zu dramatischer Höhe. Da erklingen
Sätze, die mit der Wucht ganzer Tragödien einschla¬
gen. Gespielt wurde, bis auf den eben gerügten
Mangel leiser Sprechweise, anerkennenswert. Herr
Haller gab dem wütenden Schmerze um den Ver¬
lust des Teuersten und dem verständnislosen Hohne
und der Brutalität des Alltagsmenschen Hausdorfer
guten Ausdruck. Herr Hellbach gab dem Heinrich
Seinen gutangebrachten Anstrich moderner Stimmungs¬
koketterie, der gejagte Ton leidenschaftlicher Auf¬
geregtheit gelingt ihm besonders gut, nur zun¬
Schlusse hätte er natürlicher sein können.
1
Tir
GX
Sesenhen Pr enee en ie Seene
unie Melligte sehr
spiels ist anfangs eine Bildergalerie, wo sich ein
Das nächste Stück
Paar trifft. Der junge Mann liebt die Frau eines
in diesem Blatte anla
großen Künstlers, dem die Frau nur Modell, nur
den Dichter ausführl
Gebärerin seiner künstlerischen Gestalten ist. Der
schieden das bedeutend
Jüngling hält der Geliebten das vor, was sie ihrem
aktern und wirkt erschi
Manne im Grunde nur ist, sie soll sich nicht ausbeuten
benden Rademacher geh
lassen als Modell, sie soll ihm gehören als Weib.
Ergreifendsten, was S
Die Frau, zwiespältig und unklar in ihren Gefühlen,
ist auch kein Thesenstü
glaubt in einem Gemälde, das sie bei Betrachtung
Grunde sind. Es ist
der Gallerie erblickt, ihres Rätsels Lösung zu fin¬
einem individuellen Me
den: die Frau mit dem Dolche ...... Die Szene
Sinn des allgemeinen
verwandelt sich in das Atelier eines Renaissance¬
Herr Haller spielte
künstlers., Paola, die Gattin des berühmten Malers
sehr wirkungsvoll, die
Remigio, hat die Nacht im wilden Liebestaumel mit
die dem befreundeten T#
dem jungen Leonardo verbracht. Leonardo haßt Re¬
windende Größe des
migio, weil er ein großer Künstler ist, weil er seine
schauspielerische Meist
Geliebte, Paola, die ihn als Modell entflammt, als
war als lungenkranker
Weib entadelt. Er haßt Remigio, weil Paola ihn
Humor und brachte na
liebt — ihn liebt mit inbrünstiger Hingebung, mit
probe einige originelle
anbetungsvoller Bewunderung. Remigio hat sie ge¬
sierte geschickt die ele
malt — als Frau mit dem Dolche, und sie sieht, daß
blasenheit des Schriftste
ihres Wesens Tiefe ihr Mann erst in dem Bilde aus¬
In dem letzten
geschöpft habe. Was ihr selbst verborgen, bisher in
der Gegensatz zwischen
ihr schlummerte, das hat ihr Mann aus ihr hervor¬
zwischen dem gestalten
geholt und im Bilde verewigt. Die grausame Tat¬
den und praktischen Me
kraft einer Mörderin: Paola ist ein Weib voll tollen
mal in lustiger Weise.
Widerspruches, der ein Widerspruch im Grunde doch
Frau, herzlich unbedeut
nicht ist: dem Leonardo schenkt sie wahnsinnige
in der Münchener Bohe
Stunden tierischer Lust, aber deren Bedeutung ist mit
hat ihre erotischen
ihrem Vorüberrauschen verschwunden. Ihre ganze
gebracht und dünkt sich
Sehnsucht, ihre Seele gehört dem Gatten und Künst¬
ein Sportsmensch, blay
ler, der ihrer Seele Rätsel in seiner Kunst löste.
Gehirn, von Bildung k#
Diese Leidenschaften, die feurige Liebe und der wü¬
verliebt sich in sie, en
tende Haß Leonardos, der Konflikt zwischen tierischer
heiraten. Eine Bedin
Liebe und seelischer Hingegebenheit bei Paola kommen
Gegrn die feelischen
in einem prachtvollen Dialoge voll bildkräftiger
Weiber sträubt sich sei
Gleichnisse und voll fiebernder Leidenschaft zum Aus¬
Margarethe zu gut.
drucke. Da kommt Remigio zurück. Paola gesteht
mal gesündigt: ihr V
ihm sofort alles. Leonardo bietet sich selbst der
Gilbert, von dem Clen
Strafe dar. Aber Remigio weist ihn hinaus. Er
wurde ihr zum Rom
ist ihm gleichgiltig. Leonardo wütet gegen Remigio in
gedichtet zu haben und
wahnsinnigem Hasse, er wird seine Schmach aus¬
Da kommt Gilbert, de
schreien auf den Gassen, da erwacht in Paola die un¬
Er sucht sich ihr näher
heimliche Wildheit der Mörderin, die Remigio in ihr
die Art des stimmün
erkannte, die er auf die Leinwand bannte. Sie
unsympathisch geworde
ersticht ihren Geliebten. Remigio aber greift zum
unappetitlich. Gilbert
Pinsel und malt die Mörderin in der jetzigen Situ¬
auch hier der Roman ih
ation, wo die bisher nur erahnte Eigenart so pracht¬
der Teufel des Zufalls
voll sichtbar ist.
Die Szene verwandelt sich
keit will: in beiden ist
neuerdings. Wir sind wieder in der Bildergalerie
denz, die die Beiden in
bei Pauline und Leonard. Sie erwacht aus ihren
men. Margarethe en
Träumen und Pauline verspricht dem Jüngling eine
erfahren. Alles ist 3
Stunde der Seligkeit. — Was ist der Sinn dieses
noch alles. Clemens k
eigenartigen Stückes, das die Stimmung ungelöster
Auflage des Romanes
Rätselhaftigkeit zurückläßt? Wir sagten es oben:
lassen. Nur ein Exen
das Verhältnis zwischen dem Künstler und seinem
liebten zusammen lese
Nebenmenschen, hier seinem Weibe. Der künstlerische
auch dieses ins Feuer.
Egoismus verklärt das Weib zun Modelle, er schöpft
haupt nichts mehr wis
den lebensvollen Inhalt zu Bilderzwecken aus und
gekiren. Hier also be
läßt die ausgehöhlte Form zurück. Dennoch aber
mensch recht gegenübe
bildet der Künstler das Schicksal der derart geopfer¬
ten, der seine Stimmun
ten Frau, denn sie steht unter seinem suggestiven
und sich von dem Nich
Banne, und mehr noch; oft löst der Künstler erst ihres
daß er weniger Scha
Lebens Rätsel, zeigt ihr Kräfte, die in ihr schliefen,
glauben, daß in den
und macht aus ihr das, was er in ihr mit Schöpfer¬
„Letzten Masken“, die
phantasie erblickte. Paola und Pauline sehnen sich
immerhin eine künstle
auch nach Stunden brutaler Luft, wo sie nichts sind
kommt: jeder Künstler
als Weib und nicht anders genommen werden denn
in gewissem Sinne Ges
als Weib. Aber diese Stunden sind ihnen vorüber¬
der halbe Künstler und
wogende Schaumwellen, ihr Leben und ihr Schick¬
vom künstlerischen Tu
sal sind die Tage und Jahre, die dem Genius des
Taktlosigkeit und Rück
Künstlers opfern. Und gerade auch jene Taumel¬
der große Künstler d
stunden dürfen und können sie nur deshalb wagen,
durch den beseligenden
weil der Künstler in ihnen Kräfte wachrief, mit denen
die Wunden heilt, die
sie die vergangenen Stunden des Sinnestaumels aus
losigkeit vielleicht dem
ihrem Leben hinausschleudern können wie Nußschalen.
seinen Bann zog. Da
Das kleine Stück stellt schwierige darstellerische Auf¬
„Literatur“ wurde von
gaben. Frau Rosa Raul war als kapriziöse, von
Suchanek vorzüglich
widerspruchsvollen Empfindungen hin= und herge¬
teristik gespielt. Herr
gesunden Spartsmenschen