II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 586

16.1. Lebendige Stunden zuklus box 21/5
Das Schauspiel „Die Frau mit dem Dolche“
schüttelte Frau vortrefflich, auch die leidenschaftlich
er und Musik.
behandelt auch das Problem des Verhältnisses zwi¬
erregten Verse sprach sie gut, nur das gedehnte Spre¬
schen dem Künstler und dem Menschen, deren Schicksal
dae Stunden- 4 m vsr
chen als Ausdruck innerer Qual und tragischen Ver¬
er bildet. Ein uraltes Problem, das vielleicht am
Unsere Theaterleitung hat sich
hängnisses ist unangebracht. Herr Hellbach war
häufigsten bei dem Streite diskutiert wurde, ob
ung und sorgfältige Einstudierung
auch als Leonard temperamentvoll und sprachgewandt,
Goethe sittlich handelte, als er über Friederike von
Werkes ein großes Verdienst er¬
wenn auch unsicher im Texte. Herr Tichy war
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Sefenheim hinwegschritt. Die Szene unseres Schau¬
sverkaufte Haus und das von Akt
als Remigio sehr repräsentativ und wirkungsvoll.
spiels ist anfangs eine Bildergalerie, wo sich ein
nteresse des Publikums bilden einen
Das nächste Stück „Die letzten Masken“ wurde
Idunt
Paar trifft. Der junge Mann liebt die Frau eines
ch vom nüchternsten Standpunkte
in diesem Blatte anläßlich seiner Vorlesung durch
großen Künstlers, dem die Frau nur Modell, nur
den Dichter ausführlich besprochen. Es ist ent¬
Veranstaltung literarischer Abende
Gebärerin seiner künstlerischen Gestalten ist. Der
steht. D##
schieden das bedeutendste Stück von den vier Ein¬
Theater hat das
Jüngling hält der Geliebten das vor, was sie ihrem
aktern und wirkt erschütternd. Die Worte des ster¬
verdient, — allerdings auch jedes
Manne im Grunde nur ist, sie soll sich nicht ausbeuten
benden Rademacher gehören mit zu dem Tiefsten und
heater, welches es verdient. Der¬
lassen als Modell, sie soll ihm gehören als Weib.
Ergreifendsten, was Schnitzler schrieb. Das Stück
er „Lebendige Stunden“ litt in
Die Frau, zwiespältig und unklar in ihren Gefühlen,
ist auch kein Thesenstück, wie es die drei andern im
urch den Lärm der noch geraume
glaubt in einem Gemälde, das sie bei Betrachtung
Grunde sind. Es ist eine Tragödie, die sich aus
ginn rücksichtslos eindringenden
der Gallerie erblickt, ihres Rätsels Lösung zu fin¬
einem individuellen Menschenschicksale ergibt und den
rch die leise Sprechweise der Dar¬
den: die Frau mit dem Dolche.
.Die Szene
Sinn des allgemeinen Menschenschicksals verdeutlicht.
n psychologischen Dialog ganz und
verwandelt sich in das Atelier eines Renaissance¬
Herr Haller spielte den sterbenden Journalisten
klatze ist. Zwischen deutlich und
künstlers., Paola, die Gattin des berühmten Malers
sehr wirkungsvoll, die gehetzte Ungeduld und Wut,
einen Unterschied und namentlich
Remigio, hat die Nacht im wilden Liebestaumel mit
die dem befreundeten Todfeind entgegensieht, die über¬
hrt, wie man in einem Tone intim¬
dem jungen Leonardo verbracht. Leonardo haßt Re¬
windende Größe des Sterbenden. — das waren
wundervollsten Zartheit und ver¬
migio, weil er ein großer Künstler ist, weil er seine
schauspielerische Meisterstücke. Herr Suchanek
Stehgalerie. Der Einakter „Le¬
Geliebte, Paola, die ihn als Modell entflammt, als
war als lungenkranker Komödiant Jackwerth voller
ist ein Dialog, der an den Tod
Weib entadelt. Er haßt Remigio, weil Paola ihn
Humor und brachte namentlich bei der Entrüstungs¬
retrospektive Betrachtungen an¬
liebt — ihn liebt mit inbrünstiger Hingebung, mit
probe einige originelle Züge. Herr Tichy charakteri¬
klyse des Vergangenen
nach
anbetungsvoller Bewunderung. Remigio hat sie ge¬
sierte geschickt die elegante nichtssagende Aufge¬
Hausdorfer, der Geliebte und
malt — als Frau mit dem Dolche, und sie sieht, daß
blasenheit des Schriftstellers Weihgast.
r Verstorbenen, und Heinrich, ihr
ihres Wesens Tiefe ihr Mann erst in dem Bilde aus¬
In dem letzten Stücke „Literatur“ wird wieder
egenüber. Der Alte, ein praktischer
geschöpft habe. Was ihr selbst verborgen, bisher in
der Gegensatz zwischen Künstler und Alltagsmenschen,
lichen Berufes, ein naiver Lebens¬
ihr schlummerte, das hat ihr Mann aus ihr hervor¬
zwischen dem gestaltenden und dem bloß genießen¬
gemächlichem Pflichtgefühl seinen
geholt und im Bilde verewigt. Die grausame Tat¬
den und praktischen Menschen dargestellt. Aber dies¬
d mit naivem Wohlbehagen die
kraft einer Mörderin: Paola ist ein Weib voll tollen
mal in lustiger Weise. Margarethe, eine geschiedene
te pflückt und genießt.: Heinrich.
Widerspruches, der ein Widerspruch im Grunde doch
Frau, herzlich unbedeutend, ein echtes Weib, hat sich
das Leben nur soviel bietet, als er
nicht ist: dem Leonardo schenkt sie wahnsinnige
in der Münchener Bohème als Literatin versucht
d gestattet, dem hundert Stunden
Stunden tierischer Lust, aber deren Bedeutung ist mit
hat ihre erotischen Erlebnisse einfach zu P#er
erplätschern, bis eine sich ihm
ihrem Vorüberrauschen verschwunden. Ihre ganze
gebracht und dünkt sich so eine Dichterin. Clemens,
n Reichtune Tausender ihm schenkt.
Sehnsucht, ihre Seele gehört dem Gatten und Künst¬
ein Sportsmensch, blaues Blut, Rasse, ungepflegtes
siechte in jahrelanger Marter
ler, der ihrer Seele Rätsel in seiner Kunst löste.
Gehirn, von Bildung keine Spur, findet Margarethe,
inrich, der liebende Sohn, der
Diese Leidenschaften, die feurige Liebe und der wü¬
verliebt sich in sie, entführt sie nach Wien, will sie
sch, wurde durch den Anblick der
tende Haß Leonardos, der Konflikt zwischen tierischer
heiraten. Eine Bedingung: keine Literatur mehr.
in seinem Schaffen gehindert. Das¬
Liebe und seelischer Hingegebenheit bei Paola kommen
Gegrn die feelischen Entkleidungskünste dichtender
dauernd, sagen die Arzte. Da¬
in einem prachtvollen Dialoge voll bildkräftiger
Weiber sträubt sich sein Taktgefühl. Dazu ist ihm
ihrem Leben freiwillig ein Ende,
Gleichnisse und voll fiebernder Leidenschaft zum Aus¬
Margarethe zu gut. Margareihe hat aber noch ein¬
ffenskraft ihres geliebten Sohnes
drucke. Da kommt Remigio zurück. Paola gesteht
mal gesündigt: ihr Verhältnis mit dem Bohemien
r sein. Und nun hat der Freund¬
ihm sofort alles. Leonardo bietet sich selbst der
Gilbert, von dem Clemens natürlich nichts weiß,
ohne, der von Stimmungen sanft
Strafe dar. Aber Remigio weist ihn hinaus. Er
wurde ihr zum Roman. Sie gesteht, noch einmal
Erholungsreise zurückkehrt, das ihm
ist ihm gleichgiltig. Leonardo wütet gegen Remigin in
gedichtet zu haben und Clemens eilt wütend davon.
nis des Todes brutal in die Ohren
wahnsinnigem Hasse, er wird seine Schmach aus¬
Da kommt Gilbert, den sie seit Monaten nicht sah.
egen ist sie in den Tod gegangen,
schreien auf den Gassen, da erwacht in Paola die un¬
Er sucht sich ihr nähern. Aber seine affektierte Art,
Stimmungsmensch. Du bist ihr
heimliche Wildheit der Mörderin, die Remigio in ihr
die Art des stimmungsuchenden Literaten, ist ihr
e wirst du dankbar sein? Eine
erkannte, die er auf die Leinwand bannte. Sie
unsympathisch geworden. Der ganze Kerl ist ihr
schreiben und dich dadurch be¬
ersticht ihren Geliebten. Remigio aber greift zum
unappetitlich. Gilbert bringt ihr sein neuestes Werk,
sind alle deine unvergänglichen
Pinsel und malt die Mörderin in der jetzigen Situ¬
auch hier der Roman ihres Verhältnisses, und — was
m Tode der Teuren entsprießen,
ation, wo die bisher nur erahnte Eigenart so pracht¬
der Teufel des Zufalls und der dichterischen Unfähig¬
ge Stunde?“ Der Sohn, der an¬
voll sichtbar ist ....
Die Szene verwandelt sich
keit will: in beiden ist die gesamte Liebeskorrespon¬
ettert, hält dem wütenden Alltags¬
neuerdings. Wir sind wieder in der Bildergalerie
denz, die die Beiden in München gepflogen, aufgenom¬
e Wort entgegen: „Entweder mu߬
bei Pauline und Leonard. Sie erwacht aus ihren
men. Margarethe entsetzt sich: Clemens wird alles
n oder ihres Todes mich würdig
Träumen und Pauline verspricht dem Jüngling eine
erfahren. Alles ist zu Ende. Aber es glättet sich
lebst weiter.“— Des Dichters Ab¬
Stunde der Seligkeit. — Was ist der Sinn dieses
noch alles. Clemens kehrt zurück. Er hat die ganze
Typen einander gegenüberzustellen,
eigenartigen Stückes, das die Stimmung ungelöster
Auflage des Romanes vom Verleger einstampfen
en Gegensatz plastisch zu gestalten:
Rätselhaftigkeit zurückläßt? Wir sagten es oben:
lassen. Nur ein Exemplar will er mit seiner Ge¬
ünstler und den praktischen Durch¬
das Verhältnis zwischen dem Künstler und seinem
liebten zusammen lesen. Aber Mäsgarethe wirft
Anfangs scheinen die Sympathien
Nebenmenschen, hier seinem Weibe. Der künstlerische
auch dieses ins Feuer. Sie will von Literatur über¬
er Seite des Alltags zu sein, aber
Egoismus verklärt das Weib zum Modelle, er schöpft
haupt nichts mehr wissen, will nur ihrem Clemens
seine Stellungnahme kar: der
den lebensvollen Inhalt zu Bilderzwecken aus und
ge#iren. Hier also behält der gesunde Durchschnitts¬
denn möge er auch einen dritten
läßt die ausgehöhlte Form zurück. Dennoch aber
mensch recht gegenüber dem unbedeutenden Litera¬
negoistisch als Motiv seiner Kunst
bildet der Künstler das Schicksal der derart geopfer¬
ten, der seine Stimmungen an die große Glocke hängt,
chtolles Lebewesen lieben, ist denn
ten Frau, denn sie steht unter seinem suggestiven
und sich von dem Nichtliteraten dadurch auszeichnet,
ichtkünstlers mehr als egoistischer
Banne, und mehr noch; oft löst der Künstler erst ihres
daß er weniger Schamgefühl hat als jener. Wir
r die Hingabe, die den Schein des
Lebens Rätsel, zeigt ihr Kräfte, die in ihr schliefen,
glauben, daß in den Einaktern mit Ausnahme der
t, desto raffinierter der Genuß. —
und macht aus ihr das, was er in ihr mit Schöpfer¬
„Letzten Masken“, die eine Sonderstellung einnehmen,
Fangs sehr undramatisch und erhebr
phantasie erblickte. Paola und Pauline sehnen sich
immerhin eine künstlerische Maxime zum Ausdrucke
uf den Flügeln Schnitzler'scher
11: K
auch nach Stunden brutaler Luft, wo sie nichts sind
kommt: jeder Künstler ist für seinen Nebenmenschen
kamatiicher Höh#