II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 587

ehr¬

berdient, — allerdings auch jedes
ater, welches es verdient. Der
„Lebendige Stunden“ litt in
rch den Lärm der noch geraume
inn rücksichtslos eindringenden
)die leise Sprechweise der Dar¬
psychologischen Dialog ganz und
itze ist. Zwischen deutlich und
einen Unterschied und namentlich
t, wie man in einem Tone intin¬
wundervollsten Zartheit und ver¬
Stehgalerie. Der Einakter „Le¬
ist ein Dialog, der an den Tod
retrospektive Betrachtungen an¬
lyse des Vergangenen — nach
ausdorfer, der Geliebte und
Verstorbenen, und Heinrich, ihr
henüber. Der Alte, ein praktischer
hen Berufes, ein naiver Lebens¬
gemächlichem Pflichtgefühl seinen
mit naivem Wohlbehagen die
pflückt und genießt. Heinrich.
s Leben nur soviel bietet, als er
gestattet, dem hundert Stunden
plätschern, bis eine sich ihn
Reichtum Tausender ihm schenkt.
siechte in jahrelanger Marter
rich, der liebende Sohn, der
h, wurde durch den Anblick der
seinem Schaffen gehindert. Das
dauernd, sagen die Arzte. Da
hrem Leben freiwillig ein Ende,
fenskraft ihres geliebten Sohnes
sein. Und nun hat der Freund¬
hne, der von Stimmungen sanft
holungsreise zurückkehrt, das ihm
is des Todes brutal in die Ohren¬
egen ist sie in den Tod gegangen.
timmungsmensch. Du bist ihr
wirst du dankbar sein? Eine
schreiben und dich dadurch be¬
sind alle deine unvergänglichen
Tode der Teuren entsprießen,
Stunde?“ Der Sohn, der an¬
ttert, hält dem wütenden Alltags¬
Wort entgegen: „Entweder muß
oder ihres Todes mich würdig
flebst weiter.“ — Des Dichters Ab¬
Typen einander gegenüberzustellen.
n Gegensatz plastisch zu gestalten:
nstler und den praktischen Durch¬
Anfangs scheinen die Sympathien
er Seite des Alltags zu sein, aber
seine Stellungnahme klar: der
denn möge er auch einen dritten
egoistisch als Motiv seiner Kunst
chtolles Lebewesen lieben, ist denn
chtkünstlers mehr als egoistischer
die Hingabe, die den Schein des
desto raffinierter der Genuß.
ngs sehr undramatisch und erhebt
f den Flügeln Schnitzler'scher
amatischer Höhe. Da erklingen
Wucht ganzer Tragödien einschla¬
de, bis auf den eben gerügten
echweise, anerkennenswert. Herr
wütenden Schmerze um den Ver¬
und dem verständnislosen Hohne
des Alltagsmenschen Hausdorfer
err Hellbach gab dem Heinrich
en Anstrich moderner Stimmungs¬
agte Ton leidenschaftlicher Auf¬
ihm besonders gut, nur zum
natürlicher sein können.
Jüngling hält der Geliebten das vor, was sie ihrem“
Manne im Grunde nur ist, sie soll sich nicht ausbeuten
lassen als Modell, sie soll ihm gehören als Weib.
Die Frau, zwiespältig und unklar in ihren Gefühlen,
glaubt in einem Gemälde, das sie bei Betrachtung
der Gallerie erblickt, ihres Rätsels Lösung zu fin¬
Die Szene
den: die Frau mit dem Dolche
verwandelt sich in das Atelier eines Renaissance¬
künstlers., Paola, die Gattin des berühmten Malers
Remigio, hat die Nacht im wilden Liebestaumel mit
dem jungen Leonardo verbracht. Leonardo haßt Re¬
migio, weil er ein großer Künstler ist, weil er seine
Geliebte, Paola, die ihn als Modell entflammt, als
Weib entadelt. Er haßt Remigio, weil Paola ihn
liebt — ihn liebt mit inbrünstiger Hingebung, mit
anbetungsvoller Bewunderung. Remigio hat sie ge¬
malt — als Frau mit dem Dolche, und sie sieht, daß
ihres Wesens Tiefe ihr Mann erst in dem Bilde aus¬
geschöpft habe. Was ihr selbst verborgen, bisher in
ihr schlummerte, das hat ihr Mann aus ihr hervor¬
geholt und im Bilde verewigt. Die grausame Tat¬
kraft einer Mörderin: Paola ist ein Weib voll tollen
Widerspruches, der ein Widerspruch im Grunde doch
nicht ist: dem Leonardo schenkt sie wahnsinnige
Stunden tierischer Lust, aber deren Bedeutung ist mit
ihrem Vorüberrauschen verschwunden. Ihre ganze
Sehnsucht, ihre Seele gehört dem Gatten und Künst¬
ler, der ihrer Seele Rätsel in seiner Kunst löste.
Diese Leidenschaften, die feurige Liebe und der wü¬
tende Haß Leonardos, der Konflikt zwischen tierischer
Liebe und seelischer Hingegebenheit bei Paola kommen
in einem prachtvollen Dialoge voll bildkräftiger
Gleichnisse und voll fiebernder Leidenschaft zum Aus¬
drucke. Da kommt Remigio zurück. Paola gesteht
ihm sofort alles. Leonardo bietet sich selbst der
Strafe dar. Aber Remigio weist ihn hinaus. Er
ist ihm gleichgiltig. Leonardo wütet gegen Remigio in
wahnsinnigem Hasse, er wird seine Schmach aus¬
schreien auf den Gassen, da erwacht in Paola die un¬
heimliche Wildheit der Mörderin, die Remigio in ihr
erkannte, die er auf die Leinwand bannte. Sie
ersticht ihren Geliebten. Remigio aber greift zum
Pinsel und malt die Mörderin in der jetzigen Situ¬
ation, wo die bisher nur erahnte Eigenart so pracht¬
voll sichtbar
ist .... Die Szene verwandelt sich
neuerdings. Wir sind wieder in der Bildergalerie
bei Pauline und Leonard. Sie erwacht aus ihren
Träumen und Pauline verspricht dem Jüngling eine
Stunde der Seligkeit. — Was ist der Sinn dieses
eigenartigen Stückes, das die Stimmung ungelöster
Rätselhaftigkeit zurückläßt? Wir sagten es oben:
das Verhältnis zwischen dem Künstler und seinem
Nebenmenschen, hier seinem Weibe. Der künstlerische
Egoismus verklärt das Weib zum Modelle, er schöpft
den lebensvollen Inhalt zu Bilderzwecken aus und
läßt die ausgehöhlte Form zurück. Dennoch aber
bildet der Künstler das Schicksal der derart geopfer¬
ten Frau, denn sie steht unter seinem suggestiven
Banne, und mehr noch; oft löst der Künstler erst ihres
Lebens Rätsel, zeigt ihr Kräfte, die in ihr schliefen,
und macht aus ihr das, was er in ihr mit Schöpfer¬
phantasie erblickte. Paola und Pauline sehnen sich
auch nach Stunden brutaler Luft, wo sie nichts sind
als Weib und nicht anders genommen werden denn
als Weib. Aber diese Stunden sind ihnen vorüber¬
wogende Schaumwellen, ihr Leben und ihr Schick¬
sal sind die Tage und Jahre, die dem Genius des
Künstlers opfern. Und gerade auch jene Taumel¬
stunden dürfen und können sie nur deshalb wagen,
weil der Künstler in ihnen Kräfte wachrief, mit denen
sie die vergangenen Stunden des Sinnestaumels aus
ihrem Leben hinausschleudern können wie Nußschalen.
Das kleine Stück stellt schwierige darstellerische Auf¬
gaben. Frau Rosa Raul war als kapriziöse, von
widerspruchsvollen Empfindungen hin= und herge¬

benden Rademacher gehören mit zu dem Tiefsten und
Ergreifendsten, was Schnitzler schrieb. Das Stück
ist auch kein Thesenstück, wie es die drei andern im
Grunde sind. Es ist eine Tragödie, die sich aus
einem individuellen Menschenschicksale ergibt und den
Sinn des allgemeinen Menschenschicksals verdeutlicht.
Herr Haller spielte den sterbenden Journalisten
sehr wirkungsvoll, die gehetzte Ungeduld und Wut,
die dem befreundeten Todfeind entgegensieht, die über¬
windende Größe des Sterbenden, — das waren
schauspielerische Meisterstücke. Herr Suchanek
war als lungenkranker Komödiant Jackwerth voller
Humor und brachte namentlich bei der Entrüstungs¬
probe einige originelle Züge. Herr Tichy charakteri¬
sierte geschickt die elegante nichtssagende Aufge¬
blasenheit des Schriftstellers Weihgast.
In dem letzten Stücke „Literatur“ wird wieder
der Gegensatz zwischen Künstler und Alltagsmenschen,
zwischen dem gestaltenden und dem bloß genießen¬
den und praktischen Menschen dargestellt. Aber dies¬
mal in lustiger Weise. Margarethe, eine geschiedene
Frau, herzlich unbedeutend, ein echtes Weib, hat sich
in der Münchener Bohème als Literatin versucht. Sie
hat ihre erotischen Erlebnisse einfach zu Papier
gebracht und dünkt sich so eine Dichterin. Clemens,
ein Sportsmensch, blaues Blut, Rasse, ungepflegtes
Gehirn, von Bildung keine Spur, findet Margarethe,
verliebt sich in sie, entführt sie nach Wien, will sie
heiraten. Eine Bedingung: keine Literatur mehr.
Gegen die seelischen Entkleidungskünste dichtender
Weiber sträubt sich sein Taktgefühl. Dazu ist ihm
Margarethe zu gut. Margarethe hat aber noch ein¬
mal gesündigt: ihr Verhältnis mit dem Bohemien
Gilbert, von dem Clemens natürlich nichts weiß.
wurde ihr zum Roman. Sie gesteht, noch einmal
gedichtet zu haben und Clemens eilt wütend davon.
Da kommt Gilbert, den sie seit Monaten nicht sah.
Er sucht sich ihr nähern. Aber seine affektierte Art,
die Art des stimmungsuchenden Literaten, ist ihr
unsympathisch geworden. Der ganze Kerl ist ihr
unappetitlich. Gilbert bringt ihr sein neuestes Werk,
auch hier der Roman ihres Verhältnisses, und — was
der Teufel des Zufalls und der dichterischen Unfähig¬
keit will: in beiden ist die gesamte Liebeskorrespon¬
denz, die die Beiden in München gepflogen, aufgenom¬
men. Margarethe entsetzt sich: Clemens wird alles
erfahren. Alles ist zu Ende. Aber es glättet sich
noch alles. Clemens kehrt zurück. Er hat die ganze
Auflage des Romanes vom Verleger einstampfen
lassen. Nur ein Exemplar will er mit seiner Ge¬
liebten zusammen lesen. Aber Mäkgarethe wirft
auch dieses ins Feuer. Sie will von Literatur über¬
haupt nichts mehr wissen, will nur ihrem Clemens
ge#iren. Hier also behält der gesunde, Durchschnitts¬
mensch recht gegenüber dem unbedeutenden Litera¬
ten, der seine Stimmungen an die große Glocke hängt,
und sich von dem Nichtliteraten dadurch auszeichnet,
daß er weniger Schamgefühl hat als jener. Wir
glauben, daß in den Einaktern mit Ausnahme der
„Letzten Masken“, die eine Sonderstellung einnehmen,
immerhin eine künstlerische Maxime zum Ausdrucke
kommt: jeder Künstler ist für seinen Nebenmenschen
in gewissem Sinne Gefahr und Schicksal, darum möge
der halbe Künstler und kleine Mensch die Hände lassen
vom künstlerischen Tun. Bei ihm wird nur die
*
Taktlosigkeit und Rücksichtslosigkeit sichtbar sein, wo
der große Künstler durch unvergängliche Werke,
durch den beseligenden Einfluß seiner Persönlichkeit
die Wunden heilt, die seine Rücksichts= und Takt¬
losigkeit vielleicht dem Menschen schlug, die er in
seinen Bann zog. Das sprühend=lebendige Lustspiel
„Literatur“ wurde von Frau Rosa Raul und Hrn.
Suchanek vorzüglich in Pointierung und Charak¬
#teristik gespielt. Herr Matuna machte aus dem
gesunden Sportsmenschen einen Helbidioten Schnit
ler ist nicht Blumenthal!
S RRRR RR
7 Jännek 1906
Nr. 889