II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 607

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16.1. Lebendige StundenZuklus
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(Quellenangabe ohne Gewaurg.
& Ausschnitt aus; 26 3. 107
120
Tagesbote aus Mähren u. Schlesien
Brünn.
E vom:
Theater und Kunst.
Dr. St. Brünner Stadtthater. Von den drei Einaktern,
die unsere Bühne vom Burgtheater übernommen hat, ist
einer gleich im ersten Ansturm hinweggerafft worden: Her¬
mann Bahrs „Der arme Narr“. Die Ansicht des
Publikums hat sich so unzweidentig gegen ihn gekehrt, daß
man es vorgezogen hat, ihn für weiterhin „aus dem Spiel
zu lassen". Ob dieses Volksgericht Gottesgericht ist, ob diese,
Verurteilung nicht bloß nach dem Impuls, sondern auch nach
dem Gesetzbuch der Asthetik zu rechtfertigen ist, muß hier
dahingestellt bleiben. Es war dem Referenten nicht vergönnt.
der Hinrichtung beizuwohnen. Für den Abend von Samstag
sind die einrahmenden Einakter geblieben. Zwischen ihnen
ist Schnitzlers „Literatur“ eingefügt worden, Ernst
Welisch' „Däs Fest des St. Matern“ und Max]
Bernsteins „Der galdene Schlüssel“ tragen un¬
verkennbar den Burgtheatertyp an sich. Die neuen Erwer¬
bungen unseres Burgtheaters haben ihn alle, diesen Typ,
und es scheint, als sollte die uniforme Darstellungskunst, die
einst den berühmten Stil der ersten deutschen Bühne aus¬
machte, nun — da sie durch norddeutschen und realistischen
Einschlag etwas in Unordnung gebracht wurde — durch eine
Uniformierung des Repertoires ersetzt werden. Es ist der Typ
einer besonderen Wohlanständigkeit, einer ehrbaren Pikan¬
terie, einer literarisch angehauchten Langweiligkeit. Komtes¬
sengeschmack. Der Antor und die handelnden Personen dürfen
sich nach keiner Richtung hin allzusehr exponieren. Es ist Sa¬
londramatik. Bildlich gesprochen: roter Einband und Gold¬
schnitt. Unleugbar ist: alle diese Siücke sind recht hübsch recht
fein, recht gebildet; sie zeigen von guter Erziehung des Au¬
tors und darum verletzen sie auch ein wohlerzogenes Publi¬
kum in keinem Punkte. Blumenthals: „Wann wir altern“
ist ein Paradigma für diese Art von Stücken. Und Bern¬
steins „Goldener Schlüssel“ ist genau nach dem Paradigma
gearbeitet. Liebenswürdige Schalkhaftigkeit umspielt das
Thema, dessen Ernst nur gunz leise anklingen darf. In an¬
mutigen Tanzschritten, wie bei einem Menuett, nähern und
entfernen sich die beiden Personen dieses Spieles. Wie eine
leichte Melodie ist der Eindruck dieses Stückes. Bei einem
Ohr hinein, beim andern berunggeane ung ier zu berühten.
d een ent eeeeeeenene
Und doch geht uns das Thema nahe genug an. Ein Ehe¬
problem: was ist zu tun, um die Liebe der Gatten zu er¬
neuern, um keinen überdruß aufkommen zu lassen? Wie
kann die Gefahr der Gleichgültigkeit vermieden werden? —
Ein ernstes Thema! Max Bernstein behandelt es liebens¬
würdig, manierlich, gewandt, anmutig, schalkhaft, im besten
Komtessengeschmack, und er verfehlt nicht, die dem Thema
anhaftenden sinnlichen Emotionen mit gefälliger Pikanterie
durch die Symbolik des goldenen Schlüssels anzudeuten. —
Kräftiger und schwerer ist Das Fest des St. Matern“ des
Ernst Welisch, eines homo novus, wie mir scheint. Hier klingt
etwas an „Paracelsus“ an, den „Paracelsus“ Schnitzlers, der
Ion allen Lebenden weitaus den stärksten Einfluß auf die
zitgenössischen Dramatiker übt. Dieser Anklano lieat weniger