WN
lebendige Stunde aufzuwiegen, wo die Mutter
(bei ihnen gesessen und gesprochen oder ge¬
schwiegen habe. Da verteidigt der Dichter sich
und die Kunst: „Es ist nicht der schlechteste
Beruf, solchen Stunden Dauer zu verleihen
über ihre Zeit hinaus.“ — Der stimmungs¬
schwere Dialog ist scheinbar leicht wiederzu¬
geben, weil er sich in das einfache Gewand na¬
türlicher Sprechweise kleidet. Ihn zu beherr¬
schen erfordert aber gerade künstlerisches Fein¬
gefühl und beseeltes Sprechen aus dem be¬
wegten Innern heraus ohne grelle theatralische
Akzente, die unfehlbar seine Wirkung er¬
schlagen. Es ist den beiden Hauptdarstellern
Julius Sodek (Hausdorfer) und Ferry
Gerb (Heinrich) hochanzurechnen, daß sie in
Sprache und Spiel die Schnitzler'sche Note
überraschend gut trafen. Karl Th. Hottir
ger paßte mit seinem Gärtner Boromäus in
das feine Spiel.
Statt der „Frau mit dem Dolche“ folgte
hierauf zum Vorteile der Wirkung das Schau¬
spiel „Die letzten Masken“, wohl das
bedeutendste Drama des Abends, das sichtlich
die tiefste Wirkung erzielte. Auch dieses Stück
streift die Literatur. Der arme Journalist
Rademacher liegt im Krankenhause auf dem
Sterbebett. Er ist unten geblieben auf der
Staffel des Lebens während sein ehemaliger—
Freund, der Dichter Wethgast, immer höher
hinaufklomm. Das erfüllte ihn mit Haß gegen
den Glücklichen und in seiner letzten Lebens¬
stunde will er diesen vernichten. Dem Schau¬
spieler Jackwert, einem gleichfolls dem Tode
verfallenen Spitalsgenossen, enthüllt er seinen
Racheplan und genießt die Wonne des Hasses
vorweg bei der Probe des bevorstehenden Wie¬
dersehens, die seine Kraft verzehrt; Jackwert
spielt dabei den Jugendfreund. Der Kranke
Rademacher will diesen als Dichter herabsetzen
und sein Familienglück vernichten durch die
Enthüllung seiner früheren heimlichen Be¬
ziehungen zur Gattin desselben. Als Weih¬
gast nun erscheint, ist schon die Hoheit des
Todes über den armen Teufel gekommen.
4(Stadttheater Gablonz a. U.
Kein einziges Wort des Vorwurfes vermag
0„V, Lebendige Stunden.“) Artur
er hervorzubringen. „Was hat unser einer
lei Istallen Literatur= und Theaterfreunden
mit den Leuten zu schaffen, die morgen noch
##bekannt, als daß man über ihn viel zu
auf der Welt sein?“ — Auch hier war die
sagen brauchte. Seine vier Einakter unter
Darstellung auf der Höhe. Vor allem hatte
dem Titel „Lebendige Stunden“ be¬
naturgemäß Josef S'ußmann, der den
handeln im Grunde genommen das Verhält¬
schwerkranken und sterbenden Rademacher gab,
nis, in dem ein Künstler zu seinem Schaffen
die schwierigste Aufgabe, die er sehr gut
fleht; sie behandeln es unter wechfelnden Um¬
löste; leicht kann bei dieser Rolle der verzwei¬
ständen, aber stets mit dem ganzen Reiz der
felte Zornausbruch des Todkranken „zu ge¬
Schnitzler'schen Eigenart. Es sind Probleme
sund“ geraten. Für den weltgewandten Weih¬
des Alltages wie des Künstlerlebens, lebendig
gast, der das Unliebsame seiner Lage zu ver¬
erfaßt, psychologisch meisterhaft durchgeführt,
bergen sucht, fand Julius Sodek einen
in stimmungsvollem Dialog mit leichter Sa¬
charafieristischen Ausbruck und Alfred Sturm
tyre oder gemildeter Tragik dargestellt. Die
spielte den schwindsüchtigen Komiker Jackwert,
vier Stücke sind aber nicht etwa plump auf
in dem die Lebensflamme unruhig verflackert,
den traditionellen „roten Faden“ der gleichen
sehr gut. Der menschenfreundliche Arzt (Franz
Idee aufgereiht — dazu ist Schnitzler, der
Schramm) und die Wärterin (Hedwig
kulturgesättigte, liebenswürdige Wiener zu
May) sind den Anblick des Jammers ge¬
originell — aber sie haben unausdringliche
wöhnt, sie fügten sich trefflich in den Rahmen
innere Beziehungen, die im Grundton ver¬
der Darstellung.
nehmlich werden oder sonst in der Stimmung
Das folgende Schauspiel „Die Frau
mitklingen.
mit dem Dolche“ führt in eine Bilder¬
Die Reihe der Einakter wird durch das
galerie. Die Gartin eines Dichters, Pauline,
Schauspiel „Lebendige Stunden“ er¬
dem die Untreue gegen sie und ihre Versöh¬
öffnet. Durch den täglichen Anblick der schwer
nung Stoff zu einem erfolgreichen Drama lie¬
leidenden, kranken Mutter wird ihr einziger
ferte, trifft mit ihrem Anbeter Leonhard zu¬
Sohn Heinrich, ein Dichter, in seinem Schaf¬
sammen. In der Betrachtung des Bildes
ifen gehemmt. Sie ist zwar unheilbar, könnie
„Frau mit dem Dolche“ von einem unbe¬
aber trotz ihres bedauernswerten Zustandes
sannten Florentinischen Meister des 16. Jahr¬
noch wenige Jahre ihr Dasein fristen. Die
hunderts vertieft, träumt sie den auf dem Bilde
Mutter hat aber den Gram des Sohnes er¬
angedeuteten Vorgang. In der Werkstatt des
kannt und setzt ihrem Leben vorzeitig ein Ziel.
italienischen Malers spielt die Vision. Leon¬
Zwei Trauernde hat sie hinterlassen, die ihr hard=Lionardi, den Paola=Pauline, einer sinn¬
nabegestanden waren: den Sohn und einen lichen Regung folgend, zum Geliebten hatte,