II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 676

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Stamm des Abel. Wie Abel Kain werden muß,
um, Spind, Schreibtisch und Ofen, die Vermächt¬
das ist das Drama der Madame Legros, die
nisse verstorbener Verwandten, Stimme und zer¬
Medelsky aber ist vom Stamm des Kain, sie
stören die sorgfältig behütete Familienlegende
kann nicht Abel sein, sie ist Empörerin von Ge¬
durch Zank so gründlich, daß sie einem Altmöbel¬
burt an, sie ist nicht Bürgerin, sondern Prole¬
händler ausgeliefert werden. Die
ehrgeizige
iarierin. Ihre Höhepunkte verbindet daher nicht
Regie Hans Brahms mit dem Willen zur
der Mensch, sondern das Theaier. Ihr entgegen
Groteske hakte bei auf= und zuklappenden Türen
standen die alte Marquise der Wilbrandt
und gerührten Harmoniumklängen dankbar ein.
als das letzie Leuchten einer in sich geschlessenen
In den Kammerspielen wird auch
Kultur von Edelmenschen und die Maria Antoi¬
„Morphium“ gespielt, ein Notturn# von
neite der Marberg als inhaltsloses Altern,
Ludwig Herzer. Der Theaterzettel enthält in
als Verwesen einer Kultur, von Blitzen der Gier
großer Gesprächigkeit ein paar Chopinsche Takte,
nach Abenteuer gestreift. Wien aber ist noch so
ein Motto des Autors: „Die Liebe ist das Mor¬
voll der Habsburgerluft, daß Maria Antoinette
phium der Seele usw.“ und einige Geleitworte
von einigen Kritikern mit ritterlicher Galanterie
eines berühmten Wiener Psochiaters, etwa: „Er
gegen Heinrich Mann und Frau Marberg ver¬
(der Verfasser) will Furcht und Mitleid erwecken.
teidigt wurde. Ein heiteres Nachspiel, aber auch
wie der griechische Weise sagte, sein Werk soll
ein ernstes, weil es zeigte, daß in diesen Köpfen
bessern, es soll reinigend auf die Gemüter wir¬
der Uniertan über den Dichter steht, daß bei ihnen
ken.“ Durch diesen Platzregen von Phrasen an¬
der Untertan noch immer mehr Geltung hat als
genehm abgestumpft, sieht man dann auf der
der Dichter.
Bühne die mißglückte Entziehungskur eines Mor¬
„Peter Brauer“ ist eines jener Kunst¬
phinisten, mit Beigabe einiger Piitolenschüsse vor
werke, die nicht durch sich selbst, sondern durch
Beginn und Ende des Dramas ferner dämoni¬
ihren Dichter leben. Es ist eine Charakter¬
komödie, und was geschieht, ist nicht besonders scher Liebe in der Art des Teufelsschülers H H.
Ewers, aber auch opfernder Liebe in der Mänier
wertvoll und hat auch kaum die Kraft, ein der himmlischen Hedwig Courts=Mahler. Das
nichtige Existenz aus Komik in phantastische (anze ist ein nicht ungeschickt gemachter Reißer
Größe wachsen zu lassen, wie es Gogol einige und wird von Herrn Beregi und Frau Erika
Male gelang. Der Anlauf ist bei Gerhart Haupt= Pagner so hingebend gespielt, daß das Pu¬
mann da, der Sprung findet vor dem Ziel die pekum der Nachtvorstellung erschauernd vor den
Erde. Aber es ist Gerhart Hauptmann, wenn Läuften des Schicksals rasch in die Bar schlüpft,
jeder Akt eine Luft hat, das eine Mal das Atelier un durch einen Cocktail wieder an etwas
eines Kunstproleten mit streitenden Menschen, Heiteres — etwa das Fallen der Krone und das
das andere Mal ein Gastzimmer, tief in der teigen der Edel=Valujen erinnert zu werden.
Provinz, das dritte Mal ein Garten im Som¬
Ernst ist die Kunst, heiter das Leben.
mer, Waldmeisterbowle, Unbekümmertheit. Das
Oskar Maurus Fontana.
lebt, ist Materie und doch viel mehr. Das Auge
macht es. Eine Seele hat das angeschaut. Und
es ist Gerhart Hauptmann, wie der Sohn ###
einziger zu seinem verkommenden Vater steht,
zag, sich niederbeugend, indes die Weiberleute
Klose & Seidel
nichtverstehend, nichts ahnend an dem Kadaver
wie ein paar widerliche Vögel mit gesträubten
Bureau für Zeitungsausschnitte
Federn herumhacken. Und es ist Gerhart Haupt¬
mann, wie diesem Peter Brauer, der den Schein
Berlin NO. 45, Georgenkirchplatz 21!
eines Künstlers hat, aber nicht das Sein, das
Sudjekt eines Wanderphotographen entgegen¬
sieht, der nicht einmal den Schein hat, sondern
die Kunst nur sehnsüchtig, neidvoll riecht, schnup¬
pert. Und es ergibt sich eine Stufenfolge der
Verl. Börsen-Couri¬
Zeitung:
Kunstmenschheit: der Photograph ganz unten,

eine Stufe höher Veter Brauer, wiederum eine
Stufe höher sein Sohn, der hat schon das Sein
Ort:
der Kunst, ihre Reinheit, und ganz oben in
Schweigsamkeit der schottische Meister, der hat
das Sein und die Vollendung. Und rund herum,
Datum:
—6DE219
das liebe Publikum, die Philister, die Böswilli¬
gen, die Besteller, die Kritischen, die Dilettanien,
die Handwerker und nah und zugleich ferner als
falle anderen: die Verwandten. Wie sich das
salles bewegt, wird es nebensächlich, zweitrangig.
Tbeater und Musie
Das Kinetische ist nie Hauptmanns Stärke ge¬
wesen. Er war seit je ein Darsteller des Seien¬
Wiener Theater.
don, ein Ruhender. Jacob Tiedtke ist auch
JVon unserem Korrespondenten.
in Wien Peter Brauer. Er stroßt vor lachender
Fülle des Lebens, vor Liebe zum Leben, alles
Zweimal streikten die Schauspieler. Einmal,
was er tut ist selbstverständlich, er ist so etwas
als wirtschaftliche Notwendigkeiten durchgesetzt
wie ein schlesischer Falstaff und man tut ihm das
werden sollten. Dagegen ist nichts zu sagen, die
Herz auf, während man sich die Taschen zuhält.
Lebensverhältnisse werden unerschwinglich teuer,
In der sauberen Aufführung des Raimund¬
und das Recht auf den Streik ist eines der weni¬
theaters, die Willy Schmieder leitete,
gen Kampfmittel der wirtschaftlich Schwacheren.
erreichte Forest als Photograph Tiedtkes Höhe,
Gegen die Form dieses Streikes ließe sich aber
da war eine verkrachte, fadenscheinige, aufge¬
zumindest sagen, daß ein Lohnkampf nicht als
plusterte, hassende, das Licht suchende Existenz,
ein Krieg der einen Funktionare gegen die an¬
t=
deren geführt werden kann und auch nirgends
aber auch sie eine Kreatur Gottes. S#h###
lers pier Einakter „Lebendige
so geführt wird. Das Moment persönlicher Er¬
den“ sind heute wie ehedem skeptische, boshafte,
bitterung sollte von beiden Organisationen aus¬
liebenswürdige, unruhevolle, wehmütige Ent¬
geschaltet werden, es tut weder den Schauspielern
schleierungen, von Künstlers Sein und Sinn.
noch den Direktoren gut, wenn aus dem Lohn¬
Sie kommen aus dem Metier einer sich selbst be¬
kampf allemal ein Zweikampf: Stärke—Bernau
spiegelnden Literatur Und werden zuerst „Leben¬
wird.
dige Stunden“ eine Auseinandersetzung über
Das andere Mal streikten die Schauspieler,
den Gegensatz des Gelebten zum Geformten, des
als Wedekinds nachgelassenes Drama „Sonnen¬
Lebenden zum Formenden. Werden dann („die
spektrum“ aufgeführt werden sollte. Es war
Frau mit dem Dolch“) ein Einfall oder vielmehr
ihnen zu unmoralisch, ihr sittliches Empfinden
zwei a) was heute gelebt wird, wurde schon ein¬
revoltierte und so unterblieb die Aufführung.
mal gelebt; b) auch der Mord wird dem Künstler
Dazu kann man nur den Kopf schütteln, zumal
nur Vorwand zur Schöpfung. Werden weiter
bei dem Gedanken, daß die meisten dieser mora¬
(in des „letzten Masken“) Gestalt: wieder spielen
lisch entrüsteten Herren und Damen sei Monaten
Schein und Sein gegeneinander und fließen in¬
unentwegt in Nachtlokalen Eindeutigkeiten
einander wie es gleich meisterhaft Schnitzler
spielen. Dies verträgt ihr sittliches Empfinden
sehr gut, aber Wedekind schüttelt es ab. Son= nur noch im „grünen Kakadu“ glückte, und vor
dem Sterben hat nichts mehr Sinn, wandert alles
derbar, höchst sonderbar.