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16.1. Lebendige Standen 70 K
Im Burgtheater erschien „Madamel zum Maskenverleiher zurück. Und werden
[Legros“ Der Mythos der Strumpfwirkers= schließlich (in „Literatur") Witz, Laune, Ver¬
frau, des Mitmenschen unter lauter Mitunmen= hohnung alles Literaturbetriebes. Lebendige
schen steigt bei Heinrich Mann raketengleich Stunden blieben nur „die letzten Masken“ und
„Literatur“. Die beiden anderen sind Schnitzle¬
auf, in sich alles Licht, das diesem Stoff reich
reien, heute wie ehedem. Im deutschen Volks¬
entströmt, kunstvoll bergend. Es wurde bei ihm
theater werden sie etwas zäh und trocken ge¬
ein politisches Drama voll des Gewitterleuchtens
spielt. Am rundesten gerieten die letzten Mas¬
der Revolution, und das gibt ihm den Impetus,
ten“, in denen Forest als Weihgast die ironische
den heißen Arem. Aber auch das Drama des
Mitte zwischen äußerer Wichtigkeit und innerer
Helden ist es, des Menschen, der aus dem Dunkel
Unwesentlichkeit gut ausbalanzierte und Onno
aufsteigt, um seine ihm vorbestimmte Tat zu tun,
als Sterbender das Leben eines warmen, guten,
und der dann ausgebrannt zurück ins Dunkel
enttänschten Menschen, der am Wege liegen ge¬
fällt. Er hat einen Augenblick geleuchtet, die
blieben war, ahnen ließ.
anderen werden diesen Augenblick nie vergessen,
Sind Schnitzlers vier Einakter Metier, so sind
aber der Mensch, der glühte, will es vergessen,
Wilhelm vier Einalter „Der
will nichts mehr als sein, wunschlos im Dunkel
Papierreifen“ Atelier. Etwa: die Stein¬
ruhen, ohne Gesicht, mit Larven wie die anderen.
figuren Faun und Nymphe lassen ein steinernes
Das gibt dem Drama schmerzliche menschliche
Kind als Frucht ihrer mitternachtigen Liebe zu¬
Schönheit. Zu allehem ist „Madame Legros“
rück und der davon peinlich überraschten Obrig¬
eines der theatersichersten Dramen dieser Gene¬
keit aus Biedermeiertagen wird es vom tapferen
ration, was wohl einer sagen kann, der sich am
Autor erschröcklich gegeben. Oder die Gemälde
gleichen Stoff und zu gleicher Zeit wie Hein¬
eines schlechten Malers werden lebendig und be¬
rich Mann, einen Eckzahn ausbiß. (Man findet
ihn in meinem bei Kurt Wolff erschienenen drohen ihn so lange, bis er der Kunst abschwört.
Drama „Marc“.) Im Burgtheater ist die Me= Maler machen nach Feierabend oder am Polter¬
delsky Madame Legros, sie ist der beleidigte abend ähnlichen Ulk ihren Gästen vor, und es
ist sehr nett, wenn solche Harmlosigkeiten vonein¬
Mensch, sie ist der leidende Mensch, wenn der
Ruf des Unschuldigen sie anrührt, und sie ist der ander gut Bekannten improvisiert werden. Aber
zerstörte Mensch, wenn sie ihre Tat getan hat, richtig gehende Schauspieler, einen Text aus¬
wendig lernen, einen lebendigen Regisseur dafür
wenn sie das Blut auf ihrer Schwelle zu Schrei
bemühen? Liebe Freunde, merkt ihr nicht, daß
und Kampf treibt. Aber sie ist nicht das, was
das weit grotesker ist, als diese Grotesken, die
hinter der Gestalt steht, woraus sie kommt und
ihr das spielt! Nur einmal hat Stücklen mehr als
in das sie heimkehrt: ein bürgerlich gehaltener,
Atelier zu geben, in dem Akt „Die liebe
ein edelster Hausfriedensmensch, ein Mensch vom
[Familie“. Da gewinnen Kasten, Harmoni¬
Stamm des Abel. Wie Abel Kain werden muß,
das ist das Drama der Madame Legros, die um, Spind, Schreibtisch und Ofen, die Vermächt¬
nisse verstorbener Verwandten, Stimme und zer¬
Medelsky aber ist vom Stamm des Kain, sie
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kann nicht Abel sein, siet Empörerin von Ge= stören die sorgfantig behütete Familienlegende
durch Zank so gründlich, daß sie einem Alimöbel¬
burt an, sie ist nicht Büegerin, sondern Prole¬
tarierin. Ihre Höhepunkte verbindet daher nicht händler ausgeliefert werden. Die ehrgeizige
der Mensch, sondern das Theater. Ihr entgegen Regie Hans Brahms mit dem Willen zur
standen die alte Marquise der Wilbrandt Groteske hakte bei auf= und zuklappenden Türen
und gerührten Harmoniumklängen dankbar ein.
als das letzie Leuchten einer in sich geschlessenen
In den Kammerspielen wird auch
Kultur von Edelmenschen und die Maria Antoi¬
„Morphium“ gespielt, ein Notturno von
neite der Marberg als inhaltsloses Altern,
Ludwig Herzer. Der Theaterzettel enthält in
als Verwesen einer Kultur, von Blitzen der Gier
großer Gesprächigkeit ein paar Chopinsche Takte,
nach Abenteuer gestreift. Wien aber ist noch so
ein Motto des Autors: „Die Liebe ist das Mor¬
voll der Habsburgerluft, daß Maria Antoinette
phium der Seele usw.“ und einige Geleitworte
von einigen Kritikern mit ritterlicher Galanterie
eines berühmten Wiener Psochiaters, etwa: „Er
gegen Heinrich Mann und Frau Marberg ver¬
teidigt wurde. Ein heiteres Nachspiel, aber auch (der Verfasser) will Furcht und Mitleid erwecken
wie der griechische Weise sagte, sein Werk soll
ein ernstes, weil es zeigte, daß in diesen Köpfen
der Uniertan über den Dichter steht, daß bei ihnen bessern, es soll reinigend auf die Gemüter wir¬
ken.“ Durch diesen Platzregen von Phrasen an¬
der Untertan noch immer mehr Geltung hat als
genehm abgestumpft, sieht man dann auf der
der Dichter.
„Peter Brauer“ ist eines jener Kunst= Bühne die mißglückte Entziehungskur eines Mor¬
phinisten, mit Beigabe einiger Pistolenschüsse vor
werke, die nicht durch sich selbst, sondern durch Beginn und Ende des Dramas, ferner damoni¬
ihren Dichter leben. Es ist eine Charakter¬
komödie, und was geschieht, ist nicht besonders scher Liebe in der Art des Teufelsschülers H. H.
wertvoll und hat auch kaum die Kraft, eine Ewers, aber auch opfernder Liebe in der Mänier
der himmlischen Hedwig Courts=Mahler. Das
nichtige Existenz aus Komik in phantastische (hanze ist ein nicht ungeschickt gemachter Reißer
Größe wachsen zu lassen, wie es Gogol einige und wird von Herrn Beregi und Frau Erika
Mole gelang. Der Anlauf ist bei Gerhart Haupt= Vagner so hingebend gespielt, daß das Pu¬
mann da, der Sprung findet vor dem Ziel die Hikum der Nachtvorstellung erschauernd vor den
Erde. Aber es ist Gerhart Hauptmann, wenn Läuften des Schicksals rasch in die Bar schlüpft,
jeder Alt eine Luft hat, das eine Mal das Atelier zn durch einen Cocktail wieder an etwas
eines Kunstproleten mit streitenden Menschen, Heiteres — etwa das Fallen der Krone und das
das andere Mal ein Gastzimmer, tief in der
Provinz, das dritte Mal ein Garten im Som, Zteigen der Edel=Valuten erinnert zu werden.
Ernst ist die Kunst, heiter das Leben.
mer, Waldmeisterbowle, Unbekümmertheit. Das
Oskar Mauras Fontana.
lebt, ist Materie und doch viel mehr. Das Auge
macht es. Eine Seele hat das angeschaut. Un
es ist Gerhart Hauptmann, wie der Sohn ####
einziger zu seinem verkommenden Vater steht,
zag, sich niederbeugend, indes die Weiberleute
nichtverstehend, nichts ahnend an dem Kadaver
Klose & Seidel
wie ein paar widerliche Vögel mit gesträubten
Federn herumhacken. Und es ist Gerhart Haupt¬
Pureau für Zeitungsausschnitte
mann, wie diesem Peter Brauer, der den Schein
erlin IO. 45, Georgenkirchplatz 21!
eines Künstlers hat, aber nicht das Sein, das
Subjekt eines Wanderphotographen entgegen¬
sieht, der nicht einmal den Schein hat, sondern
die Kunst nur sehnsüchtig, neidvoll riecht, schnup¬
pert. Und es ergibt sich eine Stufenfolge der
Berl. Börsen-Cour.-
Kunstmenschheit: der Photograph ganz unten,
ung:
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Im Burgtheater erschien „Madamel zum Maskenverleiher zurück. Und werden
[Legros“ Der Mythos der Strumpfwirkers= schließlich (in „Literatur") Witz, Laune, Ver¬
frau, des Mitmenschen unter lauter Mitunmen= hohnung alles Literaturbetriebes. Lebendige
schen steigt bei Heinrich Mann raketengleich Stunden blieben nur „die letzten Masken“ und
„Literatur“. Die beiden anderen sind Schnitzle¬
auf, in sich alles Licht, das diesem Stoff reich
reien, heute wie ehedem. Im deutschen Volks¬
entströmt, kunstvoll bergend. Es wurde bei ihm
theater werden sie etwas zäh und trocken ge¬
ein politisches Drama voll des Gewitterleuchtens
spielt. Am rundesten gerieten die letzten Mas¬
der Revolution, und das gibt ihm den Impetus,
ten“, in denen Forest als Weihgast die ironische
den heißen Arem. Aber auch das Drama des
Mitte zwischen äußerer Wichtigkeit und innerer
Helden ist es, des Menschen, der aus dem Dunkel
Unwesentlichkeit gut ausbalanzierte und Onno
aufsteigt, um seine ihm vorbestimmte Tat zu tun,
als Sterbender das Leben eines warmen, guten,
und der dann ausgebrannt zurück ins Dunkel
enttänschten Menschen, der am Wege liegen ge¬
fällt. Er hat einen Augenblick geleuchtet, die
blieben war, ahnen ließ.
anderen werden diesen Augenblick nie vergessen,
Sind Schnitzlers vier Einakter Metier, so sind
aber der Mensch, der glühte, will es vergessen,
Wilhelm vier Einalter „Der
will nichts mehr als sein, wunschlos im Dunkel
Papierreifen“ Atelier. Etwa: die Stein¬
ruhen, ohne Gesicht, mit Larven wie die anderen.
figuren Faun und Nymphe lassen ein steinernes
Das gibt dem Drama schmerzliche menschliche
Kind als Frucht ihrer mitternachtigen Liebe zu¬
Schönheit. Zu allehem ist „Madame Legros“
rück und der davon peinlich überraschten Obrig¬
eines der theatersichersten Dramen dieser Gene¬
keit aus Biedermeiertagen wird es vom tapferen
ration, was wohl einer sagen kann, der sich am
Autor erschröcklich gegeben. Oder die Gemälde
gleichen Stoff und zu gleicher Zeit wie Hein¬
eines schlechten Malers werden lebendig und be¬
rich Mann, einen Eckzahn ausbiß. (Man findet
ihn in meinem bei Kurt Wolff erschienenen drohen ihn so lange, bis er der Kunst abschwört.
Drama „Marc“.) Im Burgtheater ist die Me= Maler machen nach Feierabend oder am Polter¬
delsky Madame Legros, sie ist der beleidigte abend ähnlichen Ulk ihren Gästen vor, und es
ist sehr nett, wenn solche Harmlosigkeiten vonein¬
Mensch, sie ist der leidende Mensch, wenn der
Ruf des Unschuldigen sie anrührt, und sie ist der ander gut Bekannten improvisiert werden. Aber
zerstörte Mensch, wenn sie ihre Tat getan hat, richtig gehende Schauspieler, einen Text aus¬
wendig lernen, einen lebendigen Regisseur dafür
wenn sie das Blut auf ihrer Schwelle zu Schrei
bemühen? Liebe Freunde, merkt ihr nicht, daß
und Kampf treibt. Aber sie ist nicht das, was
das weit grotesker ist, als diese Grotesken, die
hinter der Gestalt steht, woraus sie kommt und
ihr das spielt! Nur einmal hat Stücklen mehr als
in das sie heimkehrt: ein bürgerlich gehaltener,
Atelier zu geben, in dem Akt „Die liebe
ein edelster Hausfriedensmensch, ein Mensch vom
[Familie“. Da gewinnen Kasten, Harmoni¬
Stamm des Abel. Wie Abel Kain werden muß,
das ist das Drama der Madame Legros, die um, Spind, Schreibtisch und Ofen, die Vermächt¬
nisse verstorbener Verwandten, Stimme und zer¬
Medelsky aber ist vom Stamm des Kain, sie
7
kann nicht Abel sein, siet Empörerin von Ge= stören die sorgfantig behütete Familienlegende
durch Zank so gründlich, daß sie einem Alimöbel¬
burt an, sie ist nicht Büegerin, sondern Prole¬
tarierin. Ihre Höhepunkte verbindet daher nicht händler ausgeliefert werden. Die ehrgeizige
der Mensch, sondern das Theater. Ihr entgegen Regie Hans Brahms mit dem Willen zur
standen die alte Marquise der Wilbrandt Groteske hakte bei auf= und zuklappenden Türen
und gerührten Harmoniumklängen dankbar ein.
als das letzie Leuchten einer in sich geschlessenen
In den Kammerspielen wird auch
Kultur von Edelmenschen und die Maria Antoi¬
„Morphium“ gespielt, ein Notturno von
neite der Marberg als inhaltsloses Altern,
Ludwig Herzer. Der Theaterzettel enthält in
als Verwesen einer Kultur, von Blitzen der Gier
großer Gesprächigkeit ein paar Chopinsche Takte,
nach Abenteuer gestreift. Wien aber ist noch so
ein Motto des Autors: „Die Liebe ist das Mor¬
voll der Habsburgerluft, daß Maria Antoinette
phium der Seele usw.“ und einige Geleitworte
von einigen Kritikern mit ritterlicher Galanterie
eines berühmten Wiener Psochiaters, etwa: „Er
gegen Heinrich Mann und Frau Marberg ver¬
teidigt wurde. Ein heiteres Nachspiel, aber auch (der Verfasser) will Furcht und Mitleid erwecken
wie der griechische Weise sagte, sein Werk soll
ein ernstes, weil es zeigte, daß in diesen Köpfen
der Uniertan über den Dichter steht, daß bei ihnen bessern, es soll reinigend auf die Gemüter wir¬
ken.“ Durch diesen Platzregen von Phrasen an¬
der Untertan noch immer mehr Geltung hat als
genehm abgestumpft, sieht man dann auf der
der Dichter.
„Peter Brauer“ ist eines jener Kunst= Bühne die mißglückte Entziehungskur eines Mor¬
phinisten, mit Beigabe einiger Pistolenschüsse vor
werke, die nicht durch sich selbst, sondern durch Beginn und Ende des Dramas, ferner damoni¬
ihren Dichter leben. Es ist eine Charakter¬
komödie, und was geschieht, ist nicht besonders scher Liebe in der Art des Teufelsschülers H. H.
wertvoll und hat auch kaum die Kraft, eine Ewers, aber auch opfernder Liebe in der Mänier
der himmlischen Hedwig Courts=Mahler. Das
nichtige Existenz aus Komik in phantastische (hanze ist ein nicht ungeschickt gemachter Reißer
Größe wachsen zu lassen, wie es Gogol einige und wird von Herrn Beregi und Frau Erika
Mole gelang. Der Anlauf ist bei Gerhart Haupt= Vagner so hingebend gespielt, daß das Pu¬
mann da, der Sprung findet vor dem Ziel die Hikum der Nachtvorstellung erschauernd vor den
Erde. Aber es ist Gerhart Hauptmann, wenn Läuften des Schicksals rasch in die Bar schlüpft,
jeder Alt eine Luft hat, das eine Mal das Atelier zn durch einen Cocktail wieder an etwas
eines Kunstproleten mit streitenden Menschen, Heiteres — etwa das Fallen der Krone und das
das andere Mal ein Gastzimmer, tief in der
Provinz, das dritte Mal ein Garten im Som, Zteigen der Edel=Valuten erinnert zu werden.
Ernst ist die Kunst, heiter das Leben.
mer, Waldmeisterbowle, Unbekümmertheit. Das
Oskar Mauras Fontana.
lebt, ist Materie und doch viel mehr. Das Auge
macht es. Eine Seele hat das angeschaut. Un
es ist Gerhart Hauptmann, wie der Sohn ####
einziger zu seinem verkommenden Vater steht,
zag, sich niederbeugend, indes die Weiberleute
nichtverstehend, nichts ahnend an dem Kadaver
Klose & Seidel
wie ein paar widerliche Vögel mit gesträubten
Federn herumhacken. Und es ist Gerhart Haupt¬
Pureau für Zeitungsausschnitte
mann, wie diesem Peter Brauer, der den Schein
erlin IO. 45, Georgenkirchplatz 21!
eines Künstlers hat, aber nicht das Sein, das
Subjekt eines Wanderphotographen entgegen¬
sieht, der nicht einmal den Schein hat, sondern
die Kunst nur sehnsüchtig, neidvoll riecht, schnup¬
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Berl. Börsen-Cour.-
Kunstmenschheit: der Photograph ganz unten,
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