II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 684

16.1. Lebendige Stunden zyklus box 21/5
Leonhards, erklärt sie:
„Ich komme heute Abend.“ Der
Dichter macht dazu in seinem Buche für die Darstellerin die
Bemerkung: „Pauline faßt sich. In ihren Zügen drückt sich
allmählich die Ueberzeugung aus, daß ein Schicksal über ihr
ist, dem sie nicht entrinnen kann. Sie reicht Leonhard die
Hand, sieht ihm ernst und fest ins Auge und sagt, nicht mit
dem Ausdruck der Liebe, sondern der Entschlossenheit: „Ich
komme.“ — Wir dürfen also annehmen, daß sich an Beiden ein
ähnliches Schicksal vollziehen wird, wie die Phantasie Paulinens
es uns eben in den Gestalten der Paola, Lionardos und
Remigios schauen ließ, und Paulinens Gatte wird daraus zwar
kein Bild machen, aber wahrscheinlich ein Theaterstück.
Im dritten Stück „Die letzten Masken“ tritt die
bisher aufgezeigte Stoffverwandtschaft weniger deutlich zu Tage,
wenn man sie überhaupt anerkennen will. Wir sind im Wiener
allgemeinen Krankenhause; ein Journalist mit Namen Rade¬
macher und ein Schauspieler gehen dort ihrer Auflösung ent¬
gegen. Der Kommödiant, selber im höchsten Stadium der
Schwindsucht, treibt an seiner Umgebung mimische Studien
und der Journalist läßt sein Leben an sich vorbeiziehen, das
Mühe und Arbeit war; die losen Blätter seines Schaffens ver¬
wehte der Wind. Dagegen bläht sich sein einstiger Freund
Weihgast als der große Bühnenschriftsteller und ist doch das bei
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Weitem kärglichere Talent von Beiden, ein geschickter In¬
dustrieller der Feder, während die tiefere Beaabung Rade¬
machers sich in der Zeitungstretmühle aufrieb und kaum ge¬
bührend gewürdigt wurde. Nur die Frau Weihgasts fühlte
den Unterschied und sie ward die Geliebte des Journa¬
listen zwei Jahre hindurch. Es packt Rademacher der un¬
widerstehliche Drang, noch vor seinem Scheiden die auf¬
geblähte Größe Weihgasts zu vernichten, indem er ihm
ent
dieses Geheimniß entgegenschleudert. Er läßt ihn zu sich
rufen; inzwischen aber hält er mit dem Schauspieler eine Art
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Prode ab. Alles, was er Weihgast ins Gesicht werfen will,
spricht er vor dem Schauspieler aus, und er spricht es sich
damit wirklich vom Herzen herunter. Denn als Weihgast dann
kommt, sagt er ihm nichts von Allem; was geht ihn, den
Sterbenden, noch die Welt da draußen an! Das Stück in seiner
schlichten Schilderung menschlichen Elends und menschlichen
Ringens ist von ergreifender Wirkung, aber die Beziehung zu
dem Thema, wenn man so sagen darf ist äußerst locker. Man
könnte höchstens sagen, daß in dem Aussprechen und damit in ##
der Gestaltung seiner Empfindungen gegen Weihgast diese Em¬
pfindungen selbst für Rademacher ihre Beutung verloren haben.
Im vierten Stück, „Literatur“ betitelt, wird der
Zusammenhang zwischen Mensch und Künstlerschaft ins Heitere
gewendet; es ist ein keckes, lustiges Capriccio. Man kann nicht
sagen, daß die Beiden, die da wesentlich in Betracht kommen,
künstlerische Vollnaturen wären; sie führten ihren Liebeshandel
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als Literaten, um ihn literarisch zu verwerthen; es ist nicht!
* Bellevne=Theater. Man gab gestern zum ersten
das Erleben das sich bei ihnen fast zwangsmäßig in ein künsi¬
Male „Lebendige Stunden“ von Arthur Schnitzler, dem
lerisches Gebilde umsetzt, sondern sie empfinden oder heucheln
feinsinnigen Wiener Poeten. Es händelt sich um vier Ein¬
Empfindungen, um daraus ein Buch zu machen. Die Satire
akter, von denen der erste den Titel trägt der dann vom
ritt unabsichtlich auf und wirkt damit um so sicherer.
Dichter sämmtlichen vier als Obertitel vorgesetz wurde. Damit
Und nun die Aufführung, das Publikum? Es
ist natürlich noch =nicht gesagt, daß dieser Titel auch allen
gab lebhaften Beifall nach jedem Stück und die Darsteller
vieren gemeinsam zßkommen gewissermaßen die Idee andeuten
thaten ihr Bestes wenn man auch mitunter die feste, sichere
solle, von der alle Fettagen werden, die sie bald in dieser, bald
Hand des Herrn Direktors Resemanns vermißte. Ob aber der ##
in jener Gestält beleuchten, vexanschaulichen; ja es ist sogar
Eindruck auf die Zuschauer ein tieferer war, ob sie mit den ##
schwer, winn nicht unmäglicheaus den vier Stücken eine solche
mancherlei Räthseln, die Schnitzler aufgiebt fertig wurden, ist b##
gemeinsahme Grundidee überhaupt herauszulesen, und so wird
eine schwer zu beantwortende Frage. Sicher thaten in den
man sich denn wohl mitsder Annahme begnügen müssen, daß
Lebendigen Stunden“ Herr Platen als Dichter und
Schnitzter bei der gemeinsamen Benennung seiner vier Einakter
Herr Gehlen als der alte Hausdorfer das Mögliche, den
verfahren ist, wie häufig die Verfasser eines Novellenbandes,
Widerstreit zwischen Durchschnittsmenschen und schaffendem
die auf den Titel ihres Buches den der ersten und zumeist auch
Künstler, zwischen Alter und Jugend und ihrer verschiedenen
j bedeutendsten der darin enthaltenen Erzählungen setzen, nach dem
Beurtheilung menschlichen Lebens zu verdeutlichen, aber doch
alten Grundsatze: a potiori fit denominatio. — Freilich ein gewisses
dürfte Mancher gefragt haben: Wozu? Auch enthüllt sich
Gemeinsames haben alle diese Einakter, indem sie zeigen, wie der
manche psychologische Feinheit, die das Stück birgt, nicht auf
Künstler, sei er nun Dichter, Maler oder künlerisch schaffender
den ersten Blick. — Noch räthselvoller giebt sich die „Dame
Tagesschriftsteller, sich mit den eigenen Seelenregungen abfindet,
mit dem Dolche". Sieht man's an sich vorüberziehen,
wie ihm jedes eigene Gefühl, jedes seelische Erlebniß zum Stoffe
kommt man wohl auf den Einfall, Schnitzler habe etwa ein
künstlerischer Bethätigung wird. Ein großer Mime hat von
Paradigma schreiben wollen zur Lehre Nietzsches von der
sich berichtet, wie er unmittelbar nach dem Tode seiner innig
„ewigen Widerkunft". Und doch interessiren die Vorgänge,
geliebten Frau, wo sein ganzes Innere von bitterstem Schmerze
zumal in der ausgezeichneten Darstellung der Pauline Paola
durchwühlt war, sich plötzlich vor dem Spiegel fand, im eigenen
durch Frl. Falk. Herr Mühlhofer traf den Leonhardt
Antlitz das Mienenspiel studirend, das Trauer und Schmerz
besser als den Lionardo; den Remigio stellen wir uns ein wenig
darauf prägten. Sich selber unbewußt hatte er sich auf diesen
anders vor, als ihn Herr Filiszczanko zu geben vermochte;
Beobachtungsposten begeben und als er es wahrnahm, erfüllte
Renaissance war das nicht, während man bei Frl. Falks Paola
es ihn in Anbetracht der begleitenden Umstände mit tiefem
in der That die Luft des Cinquecento verspürte. (Die Verwank¬
Ekel. Und doch hatte ein Etwas in ihm, das stärker

lung muß sich bei völlig dunkler Scene vollziehen.)
Am
als er war, der Künstlerdrang, selbstthätig gewaltet.
menschlich rührendsten und einfach ergreifend sind „Die
Wollte Schnitzler, als er Aehnliches in seinen Ein¬
letzten Masken“. Herr Braatz zeichnete den sterbenden
aktern verwerthete, über diese Erscheinungen, diesen egoistischen
Journalisten in schlichten, packenden Zügen und Herrn
Ausbeutungstrieb der Künstlerseele, dieses Fertigwerden mit
Willhains schwindsüchtiger Schauspieler war von guter
Allem, sobald es irgendwie Form erhalten, zu Gericht sitzen?
Wirkung; ob man ihm freilich glauben konnte, daß er in acht
Wie ein Zug von Ironie, hier kräftiger, dort leiser, geht es
Tagen bereits „versterben“ werde, ist eine andere Frage. —
durch alle vier.
Gleich der Dichter, den er uns
„Literatur", das flotte Satyrspiel nach soviel Tragödien,
im ersten Stück, den „Lebendigen Stunden“
stieß beim Publikum auf volles Verständniß. Philistermoral
vorführt, spielt als trauernder Sohn eine nicht grade
und Literatenwesen werden hier gleich lustig verspottet und
rühmliche Rolle. Seine Mutter ist von hinnen gegangen,
fanden in dem adligen Sportsman des Herrn Henry und Frl.
hat selbst Hand an sich gelegt, weil sie merkte, daß sie
Wiuckler und Herrn Rohde als den „Dichtern“ ihres
dem Sohne lästig war, da ihr Stöhnen und Klagen in schwerem
Liebesromans gelungene typische Vertreter, die miteinander leb¬
körperlichen Leid ihn an der Arbeit hinderte. Als er es er¬
hafte Heiterkeit weckten.
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