II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 689

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16.1. Lebendige undenyklus
serlel,
Lebendige Stunden
Rückwärts, rückwärts, stolzer Cid! Der erfolggemiedene Brahm hat
jüngst bis Februar 1903 und jetzt bis Januar 1902 zurückgegriffen. Warum
folgt er nicht ehrlich und methodisch dem Schnitzlerischen Puppenspieler, der
das, was er nicht kann, einfach nicht will; weswegen macht er aus der Not
nicht eine Tugend, aus seiner Kassennot nicht eine künstlerische Tugend
dieses Frühjahrs und des nächsten Winters? Es wäre gar nicht schwer.
Ich finde kein Zugstück? Ich suche kein Zugstück. Bassermann und die
Lehmann gehen von mir weg. Das ist ein Schlag. Nur bleibt unleugbar:
Ich besaß sie doch einmal, und ich besitze sie noch immer. Dieser Doppel¬
tatbestand sei mir willkommener Anlaß, mein eigener praktischer Historiker
zu werden. Ich studiere möglichst viele von den Dramen ein, die dank
diesem Bassermann oder dank Elsen Lehmann oder dank ihnen beiden Glück
hatten oder hätten haben können oder nach menschlichem Ermessen heute
haben werden. Einsame Menschen, Michael Kramer, den Roten Hahn,
Tartüff und den Eingebildeten Kranken, die Unehrlichen und Benignens
Erlebnis, Cyprienne und den Grünen Kakadu, Agnes Jordan, Kater Lampe,
Traumulus (ohne den dritten Akt), die Macht der Finsternis, den Einsamen
Weg, und was mir noch von dem modernen Ibsen fehlt: Gespenster und
Baumeister Solneß. Jedes von diesen Stücken wird für ein halbes Dutzend
Abende, und manches für zwei Dutzende und mehr, den Reiz der Neuheit
haben, und alle miteinander werden mir nicht weniger „bringen“ als ein
einziger Schlager.
„Lebendige Stunden“ war ein guter Anfang. Anstatt des schwachen Aktes,
der den Titel des ganzen Zyklus trägt und auseinandersetzt, gab es den
„Puppenspieler“, der das Thema umkehrt. Dieses Thema hat am knappsten
Bourget formuliert: Tout est matière pour vous, für euch arme und
doch wieder reiche Künstler, die ihr Lust und Leid, tiefste und wehestes,
eurer Kunst dienstbar macht und machen müßt. Auch der Puppenspieler
hat als ein solcher Künstler angefangen. Er ist am Morgen ausgezogen,
wie Ulrik Brendel mit der Fähigkeit begabt, „wahrscheinlich“ „nächstens“ ein
epochales Werk herauszugeben. Es entstand kein Werk; nur eine triftige Erklärung
für die eigene Ohnmacht: „Weshalb sollte ich meine Ideale profanieren, wenn
ich sie in Reinheit und für mich genießen konnte?“ So gestaltet er nicht aus Ge¬
schicken Kunstgebilde, sondern er gestaltet die Geschicke selber. Menschen sind
für ihn nichts als Objekte, Akkumulatoren von Stimmungen, Instrumente
zur Beleuchtung, zur Erheiterung, zur Verstimmung und zur Rührung,
Spielbälle: seine Puppen. Bis sich in einem Fall erweist, daß er ge¬
schoben wurde, wo er zu schieben überzeugt war. Das sicht diesen Don
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