II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 691

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Dichter und Figur zusammen: man sieht sie förmlich Daumen und Zeige¬
finger der Rechten aneinanderlegen. Für die „Letzten Masken“ braucht das
Theater weniger zu tun, weil Schnitzler mehr getan hat. Dieses Dramolet
ist ein Momentbild von intimster Wahrheit und undurchdringlicher Ge¬
schlossenheit, mit jener Fülle von Imponderabilien, die zugleich den vollen
Schein des Lebens und die zwingende Realität der Kunst erzeugen. Man
hat dem Dichter vorgeworfen, er habe die Gestalt des Rademacher dadurch
herabgedrückt, daß er ihn seine heiligsten Erlebnisse, anstatt in einem Monolog,
dem lächerlichen Florian Jackwerth aus Olmütz gleichsam zur Probe beichten
lasse. Ich sehe darin eine große künstlerische Weisheit. Mit demselben
Mitleid, mit dem dieser Rademacher auf den halb weimernden, halb
renommierenden und ganz und gar nicht glücklichen Modeschriftsteller Weihgast
blickt, mit eben diesem Mitleid blickt Schnitzler auf den Journalisten
Rademacher selber. Das soll durchaus kein Held sein. Das ist ein armer, durch
und durch zermürbter Mensch, mit dem Schuß Hjalmartum, das auch den
bessern Teilnehmern der Erdenrundfahrt obligat ist, rachsüchtig und ge¬
schwätzig, und jenem Schmierenbruder schließlich nicht so fern. Ueberhebt
euch nicht, betrogene Betrüger, die ihr ja doch alle seid! klingt es aus
diesem Spiel. Es ist dabei bewundernswert, wie Schnitzler die Komödianten¬
haftigkeit seiner drei Männer abgetönt hat und sie ironisch spiegelt. Aber
seinem Lächeln ist ein Gran Wehmut beigemengt. „Literatur“ steht darum
böher, weil ihr Dichter um ein paar Stufen höher steht. Er lacht nur
noch; ohne Melancholie und ohne eine Spur von Zorn. Hier ist es ganz
verfehlt, von giftiger Bosheit und von der „Geißelung literarischer Zustände
zu sprechen. Das lohnte gerade! Nein, Schnitzler streichelt seine vaters¬
namenlosen Typen eher, zum Dank dafür, daß sie so komische Gewächse
sind. Sie machen nicht die Witze ihres Autors, sondern haben ihre eigene,
angeborene Rarrheit. Sie sprechen, wie der Schnabel ihnen gewachsen ist,
und bringen von ungefähr den deliziösesten, geschliffensten, kunstvollsten
Dialog zuwege. Sie sind so sprüblebendig, daß eins von ihnen schau¬
spielerisch total mißraten konnte, ohne daß dadurch dem lustigen Erfolg
dieses wahrhaften Lustspiels Eintrag geschehen wäre.
Der Mittelpunkt dieses erquickend nachdenklichen Abends ist Basser¬
mann. Es ist nicht möglich, Unbedeutendheit bedeutender, Uninteressant¬
heit interessanter darzustellen. Tausend Lichter und Schatten umspielen jede
von den drei Gestalten, so, daß nicht blos ihre Gegenwart, sondern auch
ihre Jugend, ihr Milieu und ihre Zukunft augenfällig wird. Wie das ge¬
schieht, ist rätselhaft. Ton, Haltung, Maske, Gang, Mimik, Gestikulation:
das alles ist immer neu und immer doch organisch, wie improvisiert und
von dem intensivsten musikalischen und malerischen Reiz.
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