II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 4), Literatur, Seite 33

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16.4. Litenatur
Männbeimer Jubiläumsteste.
Von
Dr. Leopold Schmidt.
G0
III.)
Zwischen dem dritten und vierten Festkonzerte lagen zwei
freie Abende, die ich nicht besser als zum Besuch des Hof¬
und Nationaltheaters benutzen konnte. Sein jetziger In¬
insofern
tendant, Dr. Karl Hagemann, bildet
eine Ausnahmeerscheinung unter den deutschen Hof¬
theaterleitern, als er nicht nur eine repräsentative
dem Musikschriftstellerkreise
Aus
ist.
Persönlichkeit
hervorgegangen, ist er zugleich sein eigener Dramaturg, sein
zeigener Regisseur. Die Mannheimer haben die Wahl eines
Fachmannes, wie ich mir sagen ließ, bisher nicht zu bedauern
gehabt. Merkwürdigerweise traf ich auf einen besseren Schau¬
spiel= als Opernabend. Die Vorstellung der Richard Straußschen
„Salome“ (die übrigens in Mannheim bereits mehr als ein
Dutzend Aufführungen erlebt hat) litt unter zwei Mängeln. Die
Titelrolle gab eine junge Sängerin, Signe v. Rappe,
die wir als Gerster=Schülerin aus Berliner Konzerten kennen.
Sie scheint sehr talentvoll zu sein, ist aber noch zu jung und
unreif, um eine solche Gestalt glaubhaft verkörpern zu können.
Ganz verfehlt war das Experiment, sie selber den Tanz
ausführen zu lassen. Dazu gehören nun einmal technische
Fertigkeiten, die man bei einer nicht von Hause aus darin
geschulten Dame nur äußerst selten antreffen wird. Der
gute Wille und die Erscheinung genügen nicht; so tut man
wohl besser, zum Notbehelf der Doppelbesetzung zu greifen.
Was ich zu zweit vermißte, war die feinere Ausarbeitung
des Orchesters. Wer das Werk unter dem Komponisten oder unter
Dirigenten wie Schuch und Blech gehört hat, konnte sich mit
der Wiedergabe des Herrn Kutschbach beim besten Willen
nicht befreunden. Sonst aber merkte man der Vorstellung,
zu der Hans Basil einen annehmbaren Jochanaan stellte,
sehr wohl den außerordentlichen Fleiß an, der darauf ver¬
wendet worden, und solche Aufführung will immer an sich
schon etwas bedeuten. Den Herodes gab ein Gast, Oskar
Bolz aus Mainz, mit schöner Tenorstimme, nur
schauspielerisch unzureichend. Stimmlich war auch der
Vgl. die Nummern 276 und 285 unseres Blattes.
Naraboth auffallend gut. Einigermaßen befremden
mußte manches in der Inszenierung jemandes, der
über Opernregie ein so treffliches Buch geschrieben.
Auf die Beleuchtung war beispielsweise gar keine Sorgfalt
gewendet. Neben dem Vollmond, der unnatürlich hell am pech¬
schwarzen Himmel wandelte, glitzerte friedlich ein Häuflein
Sterne, und auch als er hinter der Palastfassade längst ver¬
schwunden war, empfing diese sein Licht ruhig weiter, während
die gegenüberliegende Seite im Dunkel blieb. Die Herodias¬
am Schlusse auf der Bühne Zeugin der Ermordung ihrer
Tochter sein zu lassen, ist eine Anordnung, über deren Berech¬
tigung sich streiten läßt.
Tags zuvor durfte ich dem „Historischen Einakterabend“ bei¬
wohnen, der von dem Schauspiel wesentlich eine bessere Meinung
erweckte. Schon die Zusammenstellung erschien mir recht
glücklich. Das 17. Jahrhundert war durch Andreas Gryphins
vertreten, dessen Komödiantenspaß „Peter Squenz“, eine selb¬
ständige Verarbeitung des bekannten Motives aus Shake¬
sehr inter¬
speares „Sommernachtstraum“, sprachlich
Zeit
essant und ein markantes Beispiel aus jener
ist, die an möglichst derben Possen ihr Gefallen fand.
Die Rüpelkomödie, keck und flott gegeben, erregte nicht ge¬
ringe Lustigkeit. Dem „Schimpfspiel“ folgte dann als Typ des
18. Jahrhunderts des jungen Goethe Schäferspiel „Die
Laune des Verliebten". Ein entzückendes Bühnenbild im
Watteau=Charakter, die zarte Poesie des Künstlers, die fein¬
abgewogene Art, in der Hagemann die Goetheschen Verse
sprechen läßt, das alles stellte einen wirksamen Kon¬
trast zum Voraufgehenden her. Mit gleich richtigem
Takt war der Stil des ausgehenden 19. Jahrhunderts be¬
handelt. Dabei war die Wahl der Schnitzlerschen Satire
„Literatur“ gar nicht übel. Die absichtlich saloppe Plauderei
mit ihrer scharfen Beobachtung des realen Lebens zeigt zwar,
rein artistisch genommen, einen Tiefstand dramatischer
Dichtung; aber indem sie zugleich die Schwächen ihrer Zeit
geißelt, hat sie als Kritik in Kunstform ihren Wert und ist
kennzeichnend für die Epoche, die sie vertreten soll.