II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 4), Literatur, Seite 38

16.4. Literatur box 22/3
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Triumph erlebt sie ja bald genug, wenn sie im Theater=; an etwas außer ihm. Und nun kommt der Tod, uner¬
wartet, unerwünscht, aber unvertreibbar. Doch aus dem
ankleideraum im kurz geschürzten, verführerischen Bal¬
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Feinde wird ein Freund. In seinem Spiegel entdeckt
letteusenkostüm ihm den Absagebrief an seine Braut in die
sich der junge Mann als einen Toren, der am Herrlich¬
Feder diktiert. Das war. im Spiel der Eysoldt von einer
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sten im Leben vorbeigegangen; der gar nicht erfahren,
dämonischen Gewalt. Wie das Diktat fertig, der Brief
was Leben eigentlich ist; der die köstlichsten Schätze der
kouvertiert ist, da blickt sie zu Schön hinüber, den Kopf
(
Liebe und der Freundschaft vergendet, weil nicht ge¬
auf den Tisch gelegt, das rotbraune Haar vom Schein
6ch
würdigt hat. „Du Tor! du schlimmer Tor, ich will
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=Lampe übergossen —, und man erschauert bei diesem
dich lehren, das Leben, eh du's endest, einmal ehren“:
Blick: der ruchloseste Triumph liegt darin. Es ist restloses
und nun ruft der Tod mit seinen Geigenklängen die
Ausschöpfen eines zum Typus gesteigerten Charakters.
Wertrud Cy¬
Mutter, eine Jugendgeliebte, einen Jugendfreund Clau¬
Von den drei Gastspielabenden Frau Eysoldts wird
auf unserer
dios herbei; und aus den Worten dieser Abgeschiedenen
dieser dritte vom 26. Juni vielleicht doch der eindruck¬
ulu in We¬
entschleiert sich dem Todgeweihten das Geheimnis des
samste bleiben. Wir hoffen bestimmt, die große Künst¬
m Wedekind¬
Lebens: die Hingabe des eigenen Ich. Aber aus dieser
lerin im nächsten Winter hier wieder begrüßen zu können.
g den Besuch
bittern Offenbarung der letzten Stunde quillt ihm noch ein
Man darf
süßes Glück: „Erst da ich sterbe, spür' ich, daß ich bin“.
Herr Artur Ehrens hatte sich zur Abschiedsvor¬
lbt die Lulu,
Das verklärt ihm den Tod.
stellung drei Einakter von literarischem Werte gewählt.
mörderischen
Ein langer Monolog, unterbrochen von den Worten
Der erste freilich ist nichts anderes als eine lyrische
einer wahr¬
des Todes, der Mutter, der Geliebten, des Freundes;
Szene, die der Bühne eigentlich nicht bedarf, in der das
cksbeweglich¬
von irgendwelcher dramatischen Spannung kaum eine
Wort mehr ist als die Aktion, die innere Anschauung
ingesichts ist
Spur; lauter gedankenvolle, stimmungsreiche Lyrik, von
mehr als die äußere Sichtbarmachung, die Seele mehr
gt, sagt das
feiner Dichterhand in klingende Verse geformt. Man
als die Gebärde. Wir reden von Hugo von Hofmanns¬
genlidern so
müßte dieses Dichterwort restlos verstehen. In unserer
thals Dichtung „Der Tor und der Tod“ Der
den nervösen
Aufführung haben nicht alle dieser Anforderung genügt.
Neunzehnjährige hat sie 1893 geschrieben. Es ist doch
Verheißung,
Leise und verständlich sprechen ist ein schweres Kunst¬
gut, wenn man das weiß. Die Konfession des Aestheten
en und Nü¬
stück, aber kein unmögliches. Das szenische Bild schöpfte
ist ihr Inhalt, des egoistisch und kühl Genießeuden, der
herheit. Vor
die Stimmung nicht untadelig aus; das Studierzimmer
den Bereich der geistigen und sinnlichen Lust mit wachen
einmal wie
eines Aestheten denkt man sich doch etwas anders. Herr
Augen, delikatem Verstehen, künstlerischem Kosten um¬
Tönen mit
Nowotny sah als fidelnder Tod mit Rosen im Haar
schreitet, niemals aber in sein Zentrum dringt, weil es
pfen anfängt;
sehr gut aus und sprach sehr deutlich, was auch für
ihm überhaupt nirgends um ein Letztes zu tun ist, das
er Graf will
Herrn Kaase im vollsten Maße zutrifft; die Worte des
Vorletzte ihm vollauf genügt. „Hab' mich iemals
re dies Lulu
toten Freundes klangen in seinem Munde überaus ein¬
daran verloren“ — an das Menschenleben. Keine tiefe
dieses Wort
ird. Und den Leidenschaft, kein heißer Schmerz, keine volle Hingabe dringlich. Leise und sein ging Frau Maria Vera als!
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Mutter durchs Gemach, das sie mit ihren verhaltenen
Klagen erfüllt. Die Jugendgeliebte sprach Frl. Jäger;
von ihren lieben, guten Worten ging gar Vieles ver¬
loren. Herr Ehrens bewältigte den umfangreichen Part
des Clandio mit erfreulichem Nüancenreichtum in Wort
und Spiel; daß freilich derartige lyrische Ergüsse just
seine Domäne seien, wird man nicht behaupten wollen.
Dem zarten Capriccio folgte der scharf vorwärts
drängende, von heißem dramatischem Atem geschwellte
Akt von Wildes „Florentinischer Tragödie“.
Hier offenbarte Hr. Ehrens als Simone die Kunst seiner
Charakteristik und den feurigen Pulsschlag seines Tem¬
peraments. Die Rolle ist eine seiner besten. Sie brachte
ihm auch gestern brausenden Beifall. Hrn. Nowotnys
Guido Bardi ist eine gleichfalls bekannte tüchtige Leistung.
Frl. Ernst hatte gegen die strahlende Erinnerung an
Frl. Herterich zu kämpfen; unter diesen Umständen sei
dem, was sie bot, das Lob nicht vorenthalten.
In befreiendes Gelächter ging der schöne Abend aus.
Schnitzlers Lustspiel „Literatur“ ist ein Meisterstück
von guter Lauue, blitzendem Geist und prachtvoller
Ironie. Hr. Nowotny spielt den Clemens unübertreff¬
lich, und Hr. Ehrens ist ein unbezahlbarer Gilbert.
Munter und elegant fügte sich Frl. Winter als Margarethe
ein. Es war ein runder, reiner Genuß.
Des Beifalls war kein Ende. Hr. Ehrens mußte als
Held des Abends immer und immer wieder sich zeigen.
Er hinterläßt eine schwer auszufüllende Lücke. Wir wer¬
den ihm ein gutes Andenken bewahren und seine auf,“
wärts weisende Karriere mit lebhaftem Interesse und
besten Wünschen verfolgen.