II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 4), Literatur, Seite 44

16.4. Literatun box 22/3
geschrieben, den er Margarethe dediziert. Auch der Gil¬
bertsche Roman beschäftigt sich mit der Liebe zu Marga¬
rethe, auch der Gilbertsche Roman enthält den Briefwechsel
zwischen beiden, der vermutlich literarisch wertvoll sein
muß. Inzwischen kommt Herr Clemens zurück, seine Auf¬
gabe ist erfüllt, der schon gedruckte Roman Margarethes
ist vernichtet, nur einen Band hat er mitgebracht, den er
in seinen Mußestunden lesen will. Herr Gilbert verehrt
ihm nun auch sein neues Opus und verschwindet dann ge¬
rauschlos, zurück bleiben Margarethe und Herr Clemens
mit den beiden Büchern, die ihm notwendigerweise die
Augen öffnen werden über ihre Vergangenheit.
Wir geben zu, daß diesem Einakter eine gewisse Pointe
anhaftet, die Roda Roda ganz niedlich erzählt hätte, man
hört sich solchen Scherz wohlwollend an und hat ihn in der
nächsten Stunde vergessen. Warum aber erst einen
Bühnenapparat in Bewegung setzen, wenn kein zwingender
Grund vorhanden ist? In die Rollen des Schnitzlerschen
Einakters teilten sich Herr Wehrlin (Clemens) und Herr
Täger (Gilbert), die Margarethe spielte Fräulein Bauer.
An Regie und Spiel ist nichts auszusetzen.
So, nun müssen wir aber Atem schöpfen, denn jetzt
kommt „Die glücklichste Zeit“ von Herrn Auernheimer, die
uns leider im Theater nicht glücklich machen konnte. Auch
ein Lustspiel, selbstverständlich, denn wozu gäbe es schmach¬
tende Bräutigame, die niemals mit ihrer Coeurdame allein
sind? Da haben wir den Witz schon verraten, aber sei es,
denn mehr wissen wir auch nicht darüber zu sagen. Ein
verlobter Kapellmeister, eine Braut mit vielen „zärtlichen
Verwandten“, ein warnender Freund, der sich später selbst
verlobt, einige Redensarten, die als „witzige Beigabe“ der
Familie Hochstädter erb- und eigentümlich sind, das ist der
Inhalt des Auernheimerschen Lustspiels. Zum Schlusse
zwei Liebespaare, das eine gerade verlobt, das andere hat
„die glücklichste Zeit“ hinter sich, dann noch die gute Tante
Adelheid mit der weisen Bemerkung, daß der Brautstand
„immer so“ ist, und der Vorhang fällt. Na ja, drei Akte
genügen schließlich, um uns den Brautstand zu verleiden,
der kluge Mann baut vor, meint Herr Auernheimer. Je
ne sais quoi, sagt der Franzose, aber das p. t. Publikum
spendete Beifall. Das zu konstatieren ist unsere Pflicht,
aber zum Schlusse noch ein Wort, das von einem Weisen
gesprochen wurde. „Das Volk hat die Literatur, die es
verdient!“ Wir haben Wiener Literatur, was tut es,
haben wir nicht auch Wiener Würste?
In dem Dreiakter wirkten in den Hauptrollen die Da¬
men Frl. von Küstenfeld, Frl. Ferron und Frau Bach¬
Bendel und die Herren Ewald Bach, Gotthardt und Wil¬
helmi. Die Regie hatte Herr Wehrlin, vielleicht ist es ihm
allein zu verdanken, daß der Auernheimer ungefährdet
K. E.
über die Bühne gelangte.
Rätselhafter Tod eines französischen Dramatikers.
Aus Paris berichtet man: Vor einigen Tagen starb im
Hospital Beaujon der 30jährige bekannte Dramatiker Mar¬
cel Lauras. Er hatte sich vor einigen Wochen einer Ope¬
ration unterzogen und sollte als geheilt in den aller¬
nächsten Tagen entlassen werden, als plötzlich sein Tod
völlig unmotiviert erfolgte. Die Leiche wurde von der
Staatsanwaltschaft beschlagnahmt und eine Untersuchung
eingeleitet, da man annimmt, daß Lauras durch eine Ver¬
wechslung vergiftet worden ist.
Kostbare Autographen unter dem Hammer. Aus Lon¬
don wird berichtet: Eine Reihe seltener Autographen be¬
rühmter englischer Schriftsteller kommt jetzt in London zur
Versteigerung, darunter vor allem die Originalhandschrift
des ersten Entwurfes jener schönen Widmung, mit der
Shelley sein Trauerspiel „The Cenci“ Leigh Hunt zu¬
geeignet hat. Das Manuskript zeigt zahlreiche Anderungen
und Ausradierungen, die einen interessanten Einblick in
die Umformungen geben, die Shelley bei der Abfassung
dieser Widmung immer wieder vornahm. Von besonderem
Interesse sind auch die Briefe, die Thomas Carlyle,
Dickens, Browning und Rossetti an Leigh Hunt gerichtet
haben und die nun unter den Hammer kommen.
Karin Michaelis' Wiedervermählung. Wie aus Kopen¬
hagen gemeldet wird, tritt Karin Michaelis, die bekannte
te nächsten Monats eine Reise
ein. Mit
ahr
Telephon 12.801.
„OBSERVER
I. österr. beh. konz. Unternehmen für Zeitungs¬
Ausschnitte und Bibliographie.
Wien, I., Conoordiaplats 4.
Vertretungen
in Bertin, Brüssel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christlania,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolls,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petera¬
burg, Toronto.
Guallenengabe ohne Gewdbe.
Ausschnitt aus Mamburger Nachrichten
Hamburg
vem S T68 1.
Kleines Feuilleton.
—.—
Hitonaer Stadttheater.
Zwei Wiener Autoren kamen gestern zu Wort: der ebenso
feinsinnige wie geistvolle Schnitzler mit seinem entzückenden
einaktigen Lustspiel Literarur, un der graziöse, amusante
Plauderer Raoul Auernheimer mit dem überaus lustigen
Dreiakter Die glücklichste Zeit. Literatur wurde vor
Jahren schon oft im Schauspielhause gespielt; die Handlung
darf daher als bekannt vorausgesetzt werden. Die Verpflan¬
zung an die Altonaer Bühne erwies sich als recht glücklich;
denn, obwohl Fräulein Bauer, die die echteste, zarteste Weib¬
lichkeit verkörpert, sich zur Pikanterie erst zwingen muß, war
sie doch in der weiblichen Hauptrolle von großem Charme:
Herr Wehrlin, der immer als Wiener Bonvivant köstliche
Wirkung ausübt, sowie Herr Taeger, der mit groteskem
Humor den Literaturbohemien darstellte, standen ihr in flotte¬
stem Zusammenspiel zur Seite, sodaß keine Pointe verloren
ging und der feingeschliffene Dialog prächtig zur Geltung kam.
Die glücklichste Zeit ist die ironische Bezeichnung für
den Brautstand, der eigentlich die unglücklichste Zeit ist. Die
ganze Familie der Braut mit ihren unterschiedlichen Marotten
und Eigentümlichkeiten, ihren Prätentionen und Empfindlich¬
keiten, fällt dem Bräutigam arg auf die Nerven und gefährdet
oft genug das Heil und den Frieden mancher jungen Liebe.
Auernheimer führt sein Beispiel witzig und sehr gewandt durch.
Die Sprache ist voll reizender Wendungen, und wenn hier und
da kleine Abirrungen ins Schwankgebiet den Lustspielcharakter
verändern, so verdirbt das nichts, sondern man freut sich der
gelegentlichen Uebertreibung, da auch sie in liebenswürdiger
Weise auftritt. Die Handlung endet befriedigend, da sich das
von den Verwandten auseinander getriebene Brautpaar wieder
zusammenfindet und nun, durch Erfahrung gewitzigt, auf eige¬
ner Bahn mit mehr Aussicht auf Glück und gegenseitiges Ver¬
stehen weiterschreitet. Das hübsche Stück weiß mit guten
Mitteln die behaglichste Heiterkeit zu wecken, und so wurde auch
gestern viel und gern gelacht. Herr Ewald Bach, Fräulein
von Küstenfeld, Herr Gotthardt und Fräulein Marie
Ferron gahen dem Humor der beiden Liebespaare lebens¬
vollen Ausdpuck. Den zahlreichen weiteren Mitwirkenden sei 1

gemeinsame Anerkennung für ihre Leistungen ausgesprochen.
Auch dieser Neuheit wurde lebhafter Beifall gespendet. Die
überaus temperamentvolle Regie ist Herrn Wehrlin zu
P. Al. K.
danken.