II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 4), Literatur, Seite 56

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16.4. Literatun box 22/3
Beamte sind
Er hat sich in dem Schrank behaglich eingerichtet, hat ein
lizisten, Rich¬
Bäutchen drin, ein paar Bücher und ein brennendes
Unglücklichen
Licht. (Dieses brennende Licht wird denn auch mit
gleichsam auf seinem Schein, der durch die Ritzen der Schranktüre
chen, hat er
dringt, zum Verräter.) Dem Liebhaber ist der Aufent¬
Gurgel oder
halt im engen Schrein mit der Zeit schon zu viel ge¬
inmal einen
worden. Er sagt: „Meine Eltern haben mir das Leben

blitzbehend
nicht gegeben, damit ich es in einem Schrank verbringe.“
Und all dies
Er glaubt auch nicht, daß die Geschichte endlos so weiter
eorges Cour¬
gehen kann. Nur die Frauen glauben ja immer, daß ihre
sten. Das ist
Betrügereien nie aufkommen. Er aber ist ein Mann und
han erwarten,
deshalb prophezeit er: „Man wird uns eines Tages doch
rde ungefähr erwischen.“ Wie ihn dann der rasende Boubonroche aus
hm werde im
dem Schrank holt, tritt er seelenruhig hervor, und sein
im Europas
erstes Wort zu Adele ist: „Hab' ich's nicht gesagt, daß
r Satire von
man uns erwischen wird!“ Trotz alledem begibt es sich,
tigkeit. Das
daß Bonbouroche seine Adele noch kniefällig um Ver¬
in „Boubou¬
zeihung bittet für den schimpflichen Verdacht, in dem er
sie hatte. Es ist das Rührende, das Menschlich=Ergreisende
von seiner
und Ueberzeugende in dieser Komödie, daß die Betrüger
Fehaus, spielt
seelenruhig und vergnügt bleiben, ja daß ihnen noch zu
wenn sie
Muie ist, als seien sie endlich von einem lästigen Zwang
zahlen, und
erlöst, während der Betrogene vor Schmerz und Angst
ch für selbst¬
zusammenbricht. Boubonroche kann es nicht ertragen,
Eche auf seine
seine kleine Adele zu verlieren. Stärker als seine Wul,
lter Herr zu
lauter als seine Eisersucht brüllt in ihm die Furcht, er
kd. Jawohl,
werde nun ohne seine Adele bleiben müssen. Darum
hält, betrügt
glaubt er ihren Lügen auch mehr als all der Wahrheit,
inen anderen
die er mit eigenen Augen gesehen. Sie sagt ihm, der
bouroche be¬
Mann im Schrank sei ein „Familiengeheimms“. Und er
iedchen träl¬
glaubt es. Sie sagt ihm: „Nun siehst Du, da regst Du
Jetzt lacht
Dich auf wegen eines Menschen, den Du gar nicht kennst.“
Und ent¬
Und das überzeugt ihn. Er hält sich an die Lüge, denn
st in einem
die Lüge schmeckt süß. Die Lüge ist die Rettung. Die
kecht zu, wie
Lüge bedeutet die Fortdauer des Behagens, der Ruhe,
Und ein der Sinnenfreuden. Die Wahrheit aber ist bitter. Die
bust seit acht
Wahrheit ist die Verpflichtung zum Heroismus, zur
die meisten Traurigkeit. Sie ist der Schmerz. Er wählt blindlings
verbringt.die Rettung. Er ist ein Mann, der nicht mehr viel


—igg Meinghritanwerne
Jugend besitzi, der niemals sonderlich hübsch war, der Bänkellieder gedichtet
keine Kraft zum Heroismus besitzt, lein Temperament] Versen brave Bürgersle
zum Tragischsein. Er braucht das Weibchen, das seine
Frank Wedelind, der
Sinne ergötzt, und das ihn bemutert, so nötig wie die
Länder am meisten, ve
Lust zum Atmen. Er ist so gewöhnlich, so gutmütig,
Schrecken seines Namen
schwach, so unfähig, eine Katastrophe zu ertragen, so völlig
Autorität überschimmer
von seinen Gewohnheiten untersocht, wie die meisten
langt hat. Und das klei
Männer von müttleren Gaben in mittleren Jahren. Er
Burg spielten, ist von
ist eine Menschheitsgestalt.
gefährlichste: „Der Kam
Als Georges Courieline diesen Boubouroche sormte,
Das mögen nun se
der neben dem alten Crainquebille des Anatole France
her sein, als ein Berlin
die beste Figur des modernen französischen Theaters ist,
Theater in Wien neb
konnte man noch erwarten, er werde Komödien von
neben Kunt Hamsuns 2
Molièrescher Kraft leisten. Aber auch das moderne fran¬
und neben einigen and
zösische Theater hat ja die Hoffnungen, die es vor fünf¬
Frank Wedetinds „Kam
zehn, zwanzig Jahren noch in sich trug, nicht erfüllt.
führte. Damals waren
Vielleicht hängt mit diesem allgemeinen Zustand der
uns für unreife, blin
Franzosen auch das Versagen Courtelines ein wenig zu¬
sprachen, daß diese klein
sammen. Ein wenig. Sonst aber ist es ja mit Georges¬
dem Wert sei. Gestern u
Courteline eine besondere Sache. Er hatte mit seinem
Urteil von einst erlebt.
Bonbonroche einmal die Sphäre des Dichterischen erreicht.
Zerpflücken eines Künstl
Solche Einmatigkeit läßt sich ja hie und da an geistreichen
hysterische Weiber oder
Schriftstellern beobachten. In seinem Wesen aber ging
kann. Die Gloriole, gem
Courteline niemals vom Dichterischen aus. Er „ging“
sexuellen Begierden und
überhaupt nicht. Er hat keinen Schritt. Er stand von
unter dem prächtigen Zu
Anfang an fir und fertig da. Und er steht noch heute
nackte Geschäft kommt
auf demselben Punkt, auf dem er am ersten Tag gestanden.
konstruierte, eisern funkt
Er ist ein Geist des Zornes, ein Temperament der Tob¬
Vergnügen der Welt ley
suchtsanfälle. Er hat Explosionen, aber keine Entwicklung.
mus, in dem alles klapp
Er geht in Witzen los wie eine Rakete in Funken. Er ist
zerquetscht wird, wer zw
ein Logiker und ein Konirolleur der Logik anderer Leute.
Betrieb. Eine lebendige
Aber er ist kein Empfinder. Und deshalb wohl auch kein
zierergehilfe, der Kamme
Dramatiker.
Flausen, keine Abenten
Neben Georges Courteline ist nun auch Frank
kennen will und darf, in
Wedelind in das Burgtheater eingezogen. Wedekind, der hat, heute in Berlin, i
Dichter von „Frühlingserwachen“, der Schöpfer der Lulu
Köln singen und inzwisch
aus dem „Erdgeist“, der Mann, der „Die Büchse des
apparat, wie ein Gepäckst
Pandora“ geschrieben hat. Der Mitbegründer des Münchner ohne daß es ihm erlaub
Ueberbrettls „Die eis Scharfrichter“, der zwei Schock zu versäumen. Eine Ges