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Reibung. Dieser Kammersänger ist kein Halbgott, wie aufgeregie
Burgtheater.
Frauenherzen glauben, kein Priester der Kunst, kein Sängerfürst mit
(„Der Kammersänger“ drei Szenen von Frank Wedekind.—
erhabenen Gefühlen. Er ist ein Luxusartikel auf dem internationalen
„Boubouroche". Tragische Posse in zwei Akten von Georges Courteline.
Markt. Ein Wertgegenstand für die wohlhabenden Leute in Europa
Uebersetzt von Siegfried Trebitsch. — „Literatur". Lustspiel in einem
und Amerika. Er ist einem Unternehmer verpflichtet, der ihn überall
Akt von Artur Schnitzler. — Zum erstenmal am 31. Jänner 1914.)
umhersendet, um Kapital aus ihm zu schlagen. Er arbeitet in der
Von Felix Salten.
Frohnde seines Kontrakts, für das viele Geld, das in ihm in¬
Gerardo, der berühmte Kammersänger, hat morgen abends
vestiert wurde, für sich, für seine alten Tage und für drei Dutzend
Brüssel den Tristan zu singen. Kontraktliche Verpflichtung! Er hat
Operndirektoren, die mit Hilfe seiner von ihnen gemieteten Stimme ein
jetzt hier in Berlin (oder wo das Stück sonst spielen mag) eine Woche
Geschäft machen wollen. Daß er in all den Mädchen und Frauen,
lang gesungen. Kontraktliche Verpflichtung. Die ist nun erfüllt. Die
die ihm als Tannhäuser oder Tristan hören, mancherlei Sehnsucht
Koffer stehen gepackt. Morgen abends also Brüssel. Und dann weiter.
weckt, das weiß er. Aber er kann nichts dafür. Er stellt sich auch als
Immer weiter. Der Manager, der solch eine Künstlerreise komponiert,
Tannhäuser oder Tristan nicht deshalb so edel, weil er die Frauen
muß ein klug berechnender Kopf sein und Erfahrungen haben. Alles
und Mädchen berücken will, sondern weil diese Rollen es verlangen,
ist in Bedacht genommen. Die Gastspiele sind so gelegt, daß nutzlose
daß er sich edel stellt. Daß er die hundertfache Sehnsucht, die er wach¬
Strecken vermieden werden. Von Berlin nach Brüssel, von Brüssel
gerufen hat, auch selber stillen müsse, kann kein Mensch von ihm ver¬
nach Paris, von Paris nach Monte Carlo, von da nach Mailand.
langen. Es geht über seine Kraft. Er ist nicht dazu verpflichtet. Er.
Und so fort. Der Kammersänger kann schon im August, wenn alle
war früher Tapezierergehilse. Eine starke, bürgerliche Anständigkeit des
Abschlüsse fertig sind, genau vorhersagen, wo er am 12. Dezember oder
Denkens ist ihm geblieben. Das Geschäft, das er jetzt betreibt, kann
am 26. März sein wird. Alles ist vorgesehen, auch einzelne Ruhe¬
er als Geschäft sehr gut begreifen. Vor dem Geschäft hat er Achtung.
tage, da und dort. Und jeder Zug, der benützt wird. Hauptsache
Das möchte er den Frauen und Mädchen, die ihn umschwärmen, so
bleibt, daß die Sache klappt, daß kein Anschluß versäumt wird. Kein
gern erklären. Aber sie verstehen ihn nicht. Und in diesem Mißver¬
einziger. Wenn der Faden, der da abgehaspelt werden soll, an einem
ständnis steckt eine Komik, die Wedekind so voll herausholt, die er so
einzigen Punkt in Verwirrung gerät, dann ist die ganze, sorgsam
stark emportreibt, daß selbst der Selbstmord auf offener Szene, der
kombinierte Sache zunichte gemacht. Es gibt einfach eine Katastrophe.
losknallende Revolver und die maustot hinstürzende Frau noch
Kein Wunder, wenn man bedenkt, wieviele Interessen da auf dem
umwittert erscheinen von einer unentrinnbaren Komik. Reizvoll und
Spiel stehen, wieviele große Operninstitute ihren ganzen Apparat auf
kühn an diesem Stück bleibt es, daß in der Weltanschauung, aus der
die vereinbarten Abende eingestellt haben. Der Sänger, der sich als
es entstand, sowohl Großartigkeit als Pathos sich bergen. Nur daß
ein unzuverlässiger Kunde zeigen wollte, wäre verloren. Kein Impresario
beides immer anderswo, gleichsam in einem anderen Rhythmus betont
würde es zum zweiten Male mit ihm wagen wollen. Er hätte einfach
ist. Und daß die landläufige Großartigkeit, die landläufige Pathetik
seine Existenz ruiniert. Künftlerlaunen ... die gibt es nicht in solchen
dagegen überall, wo sie in solcher Musik hörbar werden, einfach
lächerlich wirken.
Dingen. Die können auf der Probe, im Verkehr mit den Interviewern,
in Gesellschaft losgelassen werden. Hier heißt es, hübsch fleißig an der
Herr Reimers spielt den Kammersänger besser als die meisten
Stange bleiben. Geschäft ist Geschäft. Deshalb hat der Kammersänger
seiner Vorgänger ihn gespielt haben. Er gibt einen wirklichen Menschen,
auch nur einen einzigen Gedanken: er muß morgen abends in Brüssel
er läßt die persönliche Rechtschaffenheit des Kammersängers merken, er
den Tristan singen. Daß ihn enthusiastische Mädchen in seinem Hotelzimmer
zeigt hie und da den früheren Tapezierergehilfen. Er grundiert das
überfallen, giltihm bloßals Zeitverlust. Daß ihm die Postkurz vor seiner Abreise
Wesen des Kammersängers gleichsam mit der soliden, geschäftstüchtigen,
noch hundert Liebesbriefe ins Haus trägt, daß Champagnerkörbe
ehrlich einfachen Natur des Handwerksburschen. Und es ist sehr fein,
gebracht werden, ganze Berge von Blumen, daß ein alter Komponist
wie er die vielen kleinen Mätzchen des routinierten Opernstars über
ihm durchaus seine Oper vorspielen möchte — Zeitverlust. Und daß
diesen gesunden Menschen hingleiten läßt. Als Unwillkürlichkeiten. Es
die Frau, die sich ihm hier, während der kurzen acht Tage, an den
ist wie Kulissenstaub, der sich im Lauf der Jahre in die Kleider gelegt
Hals geworfen hat, jetzt in Liebesraserei verlangt, er soll sie mit
hat. Sehr sein, wie er auch sein eigenes Wesen dabei hütet. Wie dieser
nach Brüssel nehmen
— Zeitverlust! In jeder Stadt wirft sich ihm
Kammerjänger nichts von sich selbst hergeben will, wie er alle Zugänge
irgend eine Frau an den Hals, und obwohl er nun schon zu jeder
zu seinem Innern verschlossen hält. Die eine Stelle: „Dann habe ich
ganz aufrichtig vorher sagt: „Von Gefühlen kann zwischen uns nicht die
freilich das Leben in vollen Zügen genossen“, läßt er zum Beispiel
Rede sein“, fällt jede, wenn's an's Scheiden geht, in Raserei. Jede
ganz fallen. Er sagt das mehr zu sich als zu der Frau, die ihn be¬
möchte mitgenommen werden. Jede möchte bei ihm bleiben und mit
stürmt. Er gibt acht, daß er nichts von seinem wirklichen Empfinden
ihm reisen bis aus Ende der Welt. Er kennt das. Diese da tobt
an diese Figürchen, die ihn flüchtig umtanzen, verstreut. So bleibt der
und droht, sie werde sich töten. Er hat nicht einmal die Geduld, sie
Kammersänger des Herrn Reimers denn auch die einzige Gestalt in
aufmerksam anzuhören. Er hat andere Dinge im Kopf. Seinen Kontrakt,
der Komödie, mit der man menschliche Teilnahme hat, Freilich ist die
seine Pflicht und sein Geschäft. Und in einer halben Stunde geht der
leidenschaftliche Frau gerade in diesem Betracht sehr gut gegen die
Zug! Die Frau erschießt sich wirklich. Sie stürzt zu Boden. Donner¬
Gestalt des Kammersängers abgestimmt. Frau Kallina trifft es,
wetter! Der Kammersänger hat nur einen einzigen Gedanken: der
Verzweiflung, Liebesnot, Raserei zu spielen und doch dabei ganz leicht,
Zwischenfall darf ihn nicht kontraktbrüchig machen. Wenn er sofort
fast gewichtlos zu bleiben. Sie trifft das, ohne den Charakter der
verhaftet wird, dann ist das force majeure. Also rasch einen Schutz¬
Rolle im Stich zu lassen oder ihn (was sehr billig wäre) zu paro¬
mann holen lassen. Und einen Arzt. Ach ja, natürlich ... auch einen
dieren. Herr Straßni als alter Komponist war diesmal zu be¬
weglich, zu fahrig im Spiel, zu seyr auf Komik und zu wenig auf
Als diese Komödie vor fünfzehn oder sechzehn Jahren zum
die Gestaltung eines Schicksals bedacht. Fräulein Leschka ist doch
erstenmal in Wien gespielt wurde — es war in der Josefstadt und
noch nicht geschickt genug, um einer so knappen Episode wie der Eng¬
ein Berliner Ensemble gastierte — hatte dieser Humor einen neuartig
länderin mit ein paar Strichen Leben und Wirkung zu gehen.
schrillen Klang. Er war herb und messerscharf. Wie sich das Ohr
Die breite Mitte des Abends nahm der gute Boubouroche von
heute den neuen Hurmonien der modernen Musik noch verweigert, so
Georges Courteline ein. Boubouroche, der dicke Spießbürger, der brave
weigerte man sich damals dieser spöttischen Lustigkeit. Sie entzauberte,
Kerl, das weiche Herz, den alle Welt ausnützt, den alle Welt betrügt.
was man für poetisch hielt. Sie trieb Scherz mit Herzensnot und
Auch seine Geliebte. Boubouroche, der niemandem böse sein kann.
Tod. Sie zerpflückte ein Ideal. Seither hat man dieses kleine Meister¬
Auch seiner Geliebten nicht. Er hat nicht die Kraft, sie zu verlassen,
werk immer und immer wieder gespielt. Es erschien an den verschie¬
als er entdeckt, daß sie ihn hintergeht. Denn er hängt an ihr mit
densten Wiener Thealern und seine Wirkung wurde immer intensiver.
allen empfindlichen, wehleidigen Fasern der süßen Gewohnheit. Mit
Seither hat man auch Frank Wedekind besser kennen und begreifen
dem ganzen Behagen seiner Sinne ist er auf sie angewiesen. Und
so glaubt er die faustdicken Lügen, mit denen sie sich herauswindet.
gelernt. Er zeigt die innere Struktur unserer Gegenwart. Den nüch¬
Er glaubt sie gerne. Weil er unfähig ist, einen großen Seelen¬
ternen, mathematisch berechneten Traversenbau, die dröhnende Ma¬
schmerz auf sich zu nehmen, weil er keinen einzigen tragischen Nerv
schinenhalle unserer Zeit. Wo dieses harte, eiserne, bis ins Innerste
kalte Treiben mit verjährten Sentimentalitäten, mit verlogenen Empfind=; in sich hat, weil Schmerz und Tragik ihn vernichten würde. So findet
lichleiten zusammentrifft, da sprüht Satire in hellen Funken aus der I er sich ab, wie sich viele dicke Spießbürger abfinden, weil ihr Be¬
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Reibung. Dieser Kammersänger ist kein Halbgott, wie aufgeregie
Burgtheater.
Frauenherzen glauben, kein Priester der Kunst, kein Sängerfürst mit
(„Der Kammersänger“ drei Szenen von Frank Wedekind.—
erhabenen Gefühlen. Er ist ein Luxusartikel auf dem internationalen
„Boubouroche". Tragische Posse in zwei Akten von Georges Courteline.
Markt. Ein Wertgegenstand für die wohlhabenden Leute in Europa
Uebersetzt von Siegfried Trebitsch. — „Literatur". Lustspiel in einem
und Amerika. Er ist einem Unternehmer verpflichtet, der ihn überall
Akt von Artur Schnitzler. — Zum erstenmal am 31. Jänner 1914.)
umhersendet, um Kapital aus ihm zu schlagen. Er arbeitet in der
Von Felix Salten.
Frohnde seines Kontrakts, für das viele Geld, das in ihm in¬
Gerardo, der berühmte Kammersänger, hat morgen abends
vestiert wurde, für sich, für seine alten Tage und für drei Dutzend
Brüssel den Tristan zu singen. Kontraktliche Verpflichtung! Er hat
Operndirektoren, die mit Hilfe seiner von ihnen gemieteten Stimme ein
jetzt hier in Berlin (oder wo das Stück sonst spielen mag) eine Woche
Geschäft machen wollen. Daß er in all den Mädchen und Frauen,
lang gesungen. Kontraktliche Verpflichtung. Die ist nun erfüllt. Die
die ihm als Tannhäuser oder Tristan hören, mancherlei Sehnsucht
Koffer stehen gepackt. Morgen abends also Brüssel. Und dann weiter.
weckt, das weiß er. Aber er kann nichts dafür. Er stellt sich auch als
Immer weiter. Der Manager, der solch eine Künstlerreise komponiert,
Tannhäuser oder Tristan nicht deshalb so edel, weil er die Frauen
muß ein klug berechnender Kopf sein und Erfahrungen haben. Alles
und Mädchen berücken will, sondern weil diese Rollen es verlangen,
ist in Bedacht genommen. Die Gastspiele sind so gelegt, daß nutzlose
daß er sich edel stellt. Daß er die hundertfache Sehnsucht, die er wach¬
Strecken vermieden werden. Von Berlin nach Brüssel, von Brüssel
gerufen hat, auch selber stillen müsse, kann kein Mensch von ihm ver¬
nach Paris, von Paris nach Monte Carlo, von da nach Mailand.
langen. Es geht über seine Kraft. Er ist nicht dazu verpflichtet. Er.
Und so fort. Der Kammersänger kann schon im August, wenn alle
war früher Tapezierergehilse. Eine starke, bürgerliche Anständigkeit des
Abschlüsse fertig sind, genau vorhersagen, wo er am 12. Dezember oder
Denkens ist ihm geblieben. Das Geschäft, das er jetzt betreibt, kann
am 26. März sein wird. Alles ist vorgesehen, auch einzelne Ruhe¬
er als Geschäft sehr gut begreifen. Vor dem Geschäft hat er Achtung.
tage, da und dort. Und jeder Zug, der benützt wird. Hauptsache
Das möchte er den Frauen und Mädchen, die ihn umschwärmen, so
bleibt, daß die Sache klappt, daß kein Anschluß versäumt wird. Kein
gern erklären. Aber sie verstehen ihn nicht. Und in diesem Mißver¬
einziger. Wenn der Faden, der da abgehaspelt werden soll, an einem
ständnis steckt eine Komik, die Wedekind so voll herausholt, die er so
einzigen Punkt in Verwirrung gerät, dann ist die ganze, sorgsam
stark emportreibt, daß selbst der Selbstmord auf offener Szene, der
kombinierte Sache zunichte gemacht. Es gibt einfach eine Katastrophe.
losknallende Revolver und die maustot hinstürzende Frau noch
Kein Wunder, wenn man bedenkt, wieviele Interessen da auf dem
umwittert erscheinen von einer unentrinnbaren Komik. Reizvoll und
Spiel stehen, wieviele große Operninstitute ihren ganzen Apparat auf
kühn an diesem Stück bleibt es, daß in der Weltanschauung, aus der
die vereinbarten Abende eingestellt haben. Der Sänger, der sich als
es entstand, sowohl Großartigkeit als Pathos sich bergen. Nur daß
ein unzuverlässiger Kunde zeigen wollte, wäre verloren. Kein Impresario
beides immer anderswo, gleichsam in einem anderen Rhythmus betont
würde es zum zweiten Male mit ihm wagen wollen. Er hätte einfach
ist. Und daß die landläufige Großartigkeit, die landläufige Pathetik
seine Existenz ruiniert. Künftlerlaunen ... die gibt es nicht in solchen
dagegen überall, wo sie in solcher Musik hörbar werden, einfach
lächerlich wirken.
Dingen. Die können auf der Probe, im Verkehr mit den Interviewern,
in Gesellschaft losgelassen werden. Hier heißt es, hübsch fleißig an der
Herr Reimers spielt den Kammersänger besser als die meisten
Stange bleiben. Geschäft ist Geschäft. Deshalb hat der Kammersänger
seiner Vorgänger ihn gespielt haben. Er gibt einen wirklichen Menschen,
auch nur einen einzigen Gedanken: er muß morgen abends in Brüssel
er läßt die persönliche Rechtschaffenheit des Kammersängers merken, er
den Tristan singen. Daß ihn enthusiastische Mädchen in seinem Hotelzimmer
zeigt hie und da den früheren Tapezierergehilfen. Er grundiert das
überfallen, giltihm bloßals Zeitverlust. Daß ihm die Postkurz vor seiner Abreise
Wesen des Kammersängers gleichsam mit der soliden, geschäftstüchtigen,
noch hundert Liebesbriefe ins Haus trägt, daß Champagnerkörbe
ehrlich einfachen Natur des Handwerksburschen. Und es ist sehr fein,
gebracht werden, ganze Berge von Blumen, daß ein alter Komponist
wie er die vielen kleinen Mätzchen des routinierten Opernstars über
ihm durchaus seine Oper vorspielen möchte — Zeitverlust. Und daß
diesen gesunden Menschen hingleiten läßt. Als Unwillkürlichkeiten. Es
die Frau, die sich ihm hier, während der kurzen acht Tage, an den
ist wie Kulissenstaub, der sich im Lauf der Jahre in die Kleider gelegt
Hals geworfen hat, jetzt in Liebesraserei verlangt, er soll sie mit
hat. Sehr sein, wie er auch sein eigenes Wesen dabei hütet. Wie dieser
nach Brüssel nehmen
— Zeitverlust! In jeder Stadt wirft sich ihm
Kammerjänger nichts von sich selbst hergeben will, wie er alle Zugänge
irgend eine Frau an den Hals, und obwohl er nun schon zu jeder
zu seinem Innern verschlossen hält. Die eine Stelle: „Dann habe ich
ganz aufrichtig vorher sagt: „Von Gefühlen kann zwischen uns nicht die
freilich das Leben in vollen Zügen genossen“, läßt er zum Beispiel
Rede sein“, fällt jede, wenn's an's Scheiden geht, in Raserei. Jede
ganz fallen. Er sagt das mehr zu sich als zu der Frau, die ihn be¬
möchte mitgenommen werden. Jede möchte bei ihm bleiben und mit
stürmt. Er gibt acht, daß er nichts von seinem wirklichen Empfinden
ihm reisen bis aus Ende der Welt. Er kennt das. Diese da tobt
an diese Figürchen, die ihn flüchtig umtanzen, verstreut. So bleibt der
und droht, sie werde sich töten. Er hat nicht einmal die Geduld, sie
Kammersänger des Herrn Reimers denn auch die einzige Gestalt in
aufmerksam anzuhören. Er hat andere Dinge im Kopf. Seinen Kontrakt,
der Komödie, mit der man menschliche Teilnahme hat, Freilich ist die
seine Pflicht und sein Geschäft. Und in einer halben Stunde geht der
leidenschaftliche Frau gerade in diesem Betracht sehr gut gegen die
Zug! Die Frau erschießt sich wirklich. Sie stürzt zu Boden. Donner¬
Gestalt des Kammersängers abgestimmt. Frau Kallina trifft es,
wetter! Der Kammersänger hat nur einen einzigen Gedanken: der
Verzweiflung, Liebesnot, Raserei zu spielen und doch dabei ganz leicht,
Zwischenfall darf ihn nicht kontraktbrüchig machen. Wenn er sofort
fast gewichtlos zu bleiben. Sie trifft das, ohne den Charakter der
verhaftet wird, dann ist das force majeure. Also rasch einen Schutz¬
Rolle im Stich zu lassen oder ihn (was sehr billig wäre) zu paro¬
mann holen lassen. Und einen Arzt. Ach ja, natürlich ... auch einen
dieren. Herr Straßni als alter Komponist war diesmal zu be¬
weglich, zu fahrig im Spiel, zu seyr auf Komik und zu wenig auf
Als diese Komödie vor fünfzehn oder sechzehn Jahren zum
die Gestaltung eines Schicksals bedacht. Fräulein Leschka ist doch
erstenmal in Wien gespielt wurde — es war in der Josefstadt und
noch nicht geschickt genug, um einer so knappen Episode wie der Eng¬
ein Berliner Ensemble gastierte — hatte dieser Humor einen neuartig
länderin mit ein paar Strichen Leben und Wirkung zu gehen.
schrillen Klang. Er war herb und messerscharf. Wie sich das Ohr
Die breite Mitte des Abends nahm der gute Boubouroche von
heute den neuen Hurmonien der modernen Musik noch verweigert, so
Georges Courteline ein. Boubouroche, der dicke Spießbürger, der brave
weigerte man sich damals dieser spöttischen Lustigkeit. Sie entzauberte,
Kerl, das weiche Herz, den alle Welt ausnützt, den alle Welt betrügt.
was man für poetisch hielt. Sie trieb Scherz mit Herzensnot und
Auch seine Geliebte. Boubouroche, der niemandem böse sein kann.
Tod. Sie zerpflückte ein Ideal. Seither hat man dieses kleine Meister¬
Auch seiner Geliebten nicht. Er hat nicht die Kraft, sie zu verlassen,
werk immer und immer wieder gespielt. Es erschien an den verschie¬
als er entdeckt, daß sie ihn hintergeht. Denn er hängt an ihr mit
densten Wiener Thealern und seine Wirkung wurde immer intensiver.
allen empfindlichen, wehleidigen Fasern der süßen Gewohnheit. Mit
Seither hat man auch Frank Wedekind besser kennen und begreifen
dem ganzen Behagen seiner Sinne ist er auf sie angewiesen. Und
so glaubt er die faustdicken Lügen, mit denen sie sich herauswindet.
gelernt. Er zeigt die innere Struktur unserer Gegenwart. Den nüch¬
Er glaubt sie gerne. Weil er unfähig ist, einen großen Seelen¬
ternen, mathematisch berechneten Traversenbau, die dröhnende Ma¬
schmerz auf sich zu nehmen, weil er keinen einzigen tragischen Nerv
schinenhalle unserer Zeit. Wo dieses harte, eiserne, bis ins Innerste
kalte Treiben mit verjährten Sentimentalitäten, mit verlogenen Empfind=; in sich hat, weil Schmerz und Tragik ihn vernichten würde. So findet
lichleiten zusammentrifft, da sprüht Satire in hellen Funken aus der I er sich ab, wie sich viele dicke Spießbürger abfinden, weil ihr Be¬