II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 4), Literatur, Seite 61

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16.4. Litenatun

hagen zu stark und ihr Charakter zu schwach ist, um aus einer
widerwärtigen Tatsache die letzten Konsequenzen zu ziehen. Er wird
von einem Gegner überwältigt, der schon mit anderen Männern, mit
wirklichen Männern fertig geworden ist: von der Lügenkraft des Weibes
Dieser Boubouroche ist die einzige, echte Menschengestalt, die George¬
Courteline geschaffen hat. Aber sie gehört, auch neben dem Crainquebille
von Anatol France, zu den besten Gestalten, die wir dem modernen
französischen Theater verdanken.
Herr Treßler hätte den Boubouroche mehr aus dem Mensch¬
lichen spielen können, wenn es nicht so ganz auf seiner Linie liegen
würde, doch immer mehr aus dem Theatralischen wirken zu wollen.
So hat er dem Boubouroche eine unglaublich komische Maske gegeben.
Er hat sich ganz breit, schmerbäuchig, fettsüchtig, dickköpfig gemacht,
hat sich eine wahre Nilpferdnase modelliert und war zuerst ganz un¬
kenntlich. Man schreit vor Lachen, wenn man diesen Boubouroche
erblickt. Man lacht noch einmal, wenn man erkennt, daß in dieser
Vermummung der bildhübsche, schlanke Herr Treßler steckt. Solch eine
Maske ist an sich schon eine Leistung. Aber sie ist auch eine Ver¬
führung zum rein Komischen, zum bloß Burlesken. Und Herr Treßler
hat sich noch immer verführen lassen. Der etwas anspruchsvolle
Untertitel des Stückes „Tragische Posse“ der aber doch eine Art von
Fingerzeig sein könnte, war ihm kein Fingerzeig. Die vielen netten
Dinge, die Boubouroche im ersten Akt spricht, muß Herr Treßler
nicht beachtet haben. In den Worten, die Boubouroche zu André
sagt, in diesen wutschnaubenden Worten ist ein Klang von wirklicher
Herzensgüte. Herr Treßler hat diesen Klang überhört. Die Möglichkeit, das
Publikum zum Lachen zu bringen, fasziniert ihn derart, daß er an
nichts anderes zu denken vermag, so oft sich ihm diese Möglichkeit
bietet. Und er hat denn auch ein lautes Gelächter erregt. Aber ..
über Bouborroche muß man auch gerührt sein können. Der arme
Teufel muß uns in einigen Momenten ergreifen. Und diese Er¬
griffenheit blieb aus. Frau Retty gab die Adele mit der holden
Tücke, die man nun schon an ihr kennt und die sich immer gleich
bleibt. Sehr komisch ist Herr Frank, der als kleiner Beamter
einer jener Figuren gleicht, die Wilhelm Busch gezeichnet hat.
Herr Treßler spielt auch den vornehmen Clemens in Artur
Schnitzlers „Literatur“ und er führt auch diese Gestalt von ihren
feineren Möglichkeiten weg, mehr zu einer billigen, leicht erreichbaren
Komik hin. Daß der Clemens zum Beispiel dieses wiehernde Lachen
hat, das in den Lokalpossen den schwachsinnigen Lebemännern eigen¬
tümlich ist, halte ich für falsch. Der Clemens ist gewiß nicht schwach¬
sinnig. Er mag kein großer Geist sein, aber ein nobler Mensch ist er
auf alle Fälle. Frau Marberg als Margerethe mischt verschiedene
Dialekte durcheinander und läßt zwischendurch auch ein paarmal
Jargon hören, was für diese Frau, deren Wesen ja unecht, flatternd
und gleichsam obdachlos sein soll, sehr charakteristisch ist. Vortrefflich
war Herr Heine als Gilbert. Intellektueller Hochmut und seelische
Verlumpung ließ er mit jedem Wort, mit jeder Geste, ja beinahe mit
jedem Blick merken. Man genoß die geistige Feinheit dieses kleinen
Lustspiels, die Bravour seiner Menschenzeichnung, die Meisterschaft
seines Dialogs mit innigem Behagen.
Das Publikum nahm Wedekind mit kalter Freundlichkeit auf,
bewahrte auch bei Courteline noch eine steife Zurückhaltung und hatte
zuletzt Eile, in die Garderobe zu kommen. Herzhafte Striche hätten die
Wirkung aller Stücke erhöht. Es gab zu viele Längen.
Allerlei.
(Was ist „komisch“?) „Komisch“ ist ein an sich harmloses Wort,
mit dem aber mehr Mißbrauch getrieben wird, als mit allen Haupt=,
Es
Zeit= und Eigenschaftswörtern unserer schönen Sprache zusammen.
ist also komisch, dieses Wörtchen bei so vielen unpassenden Gelegenheiten
zu gebrauchen. Der blonde Backfisch geht mit dem schwarzen Bucksisch
über die Straße. Natürlich werfen sie die Augen nach allen Seiten.
KKein Schaufenster, vor dem sie nicht stehen bleiben. Ein Hutgeschäft:
Der blonde Backfisch findet es „komisch“, daß man jetzt diese kleinen
Hüte tragen soll, wo die großen Formen doch viel mehr schmeichelten;
und daß man in Amerika keinen Federnschmuck mehr tragen soll, ist doch
Sie
wirklich „komisch“. Sie gehen weiter und begegnen einer Tante.
hat eben an ihre Nichten gedacht und findet es furchtbar „komisch“, daß
sie hier mit ihnen zusammentrifft. Tantens Sohn ist auf Reisen. Er hat
geschrieben, daß es in Madrid geschneit habe. „Ach, wie „komisch“! säuseln
einstimmig die Blonde und die Schwarze. Ja, und er hat in Paris Vetter
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und ein in den Nacken geschobener Hut. Der Hut klappt einen Gruß zu
den beiden Backfischen, und gleich geht das Geschwätz los. „Nein, wie
komisch!“ Was man nicht alles „komisch“ findet. Daß Herr X. dem
Fräulein Soundjo den Hof macht; daß er den Schnurrbart anders trägt,
usw. Immer wieder taucht das arme, totgeletzte Wörtchen auf.
Ueberall klingt es, auch im Munde der „Gebildeten“
„Wie komisch,
dieses Bild!“ hört man einen Kunstfreund in der Ausstellung sagen, und
es handelt sich dabei nicht einmal um eine kubistische oder futuristische
Narrheit, sondern um eine ganz ernste Sache. Man findet es schließlich
„komisch“, daß der Herr Soundso, von dem man es gar nicht erwartet
hat, sich einäschern läßt und nicht begraben: daß er sich scheiden lassen
will und ein anderer Konkurs angemeldet hat. Wo einem das richtige
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Wört im Augenblicke fehlt, sagt man eben „komisch“. Was ist „komisch“
„Komisch“ ist der Mißbrauch eines wehrlosen Wortes im Munde derer,
die ihren Sprachschatz nicht genügend beherrschen. Komisch sind schlie߬
lich nur diejenigen, die alles „komisch“ finden.
KAUFHAUSER
A. HEREMANCKT
Wien, VII., Mariahilferstraße 26 u. Stittgasse 1, 3, 5, 7. 40180
Neuheiten für den Fasching!
Seidenstoffe, Ballstoffe, Bänder, Rosengirlanden, Rosen
schnallen, Ansteckblumen, Maraboutstreifen.
Aus dem Reiche der Frau.
Der Pive o’ clock-Tee.
Die alten Zeiten, in denen die Damen der Gesellschaft Kaffeekränzchen
gaben und sich bei einem Täßchen Kaffee mit einem Stück Gugthupf tönig¬
lich unterhielten, sind vorüber, die Biedermeierzeit, die doch sonst so sehr be¬
wundert und als Hochmode nachgeahmt wird, hat gerade auf diesem Gebiete
nicht das Feld zu behaupten gewußt. Man trinkt den Kaffee höchstens nach
Tisch als starken Mokka „schwarz wie die Nacht, heiß wie die Hölle, süß wie
die Liebe“, um die Essensschwere los zu werden. Seine brünette Schönheit
hat ausregiert, an seine Stelle trat blond, duftend, durchsichtig, graziös der
Teé. Er hat nichts von der etwas schwerlebigen Anmut des Kaffees, er
paßt eher in den eleganten Salon als zum Frauentratsch von Gevatter
Schneider und Handschuhmacher und wird sich wohl als Getränk der unteren
Klassen, die, wenn sie etwas zu sich nehmen, auch davon satt werden wöllen
oder doch zum mindesten „Essen“ mit „Nahrung“ identisch erachten, nie ein¬
bürgern. Er wird seinen Platz im Salon so lange behaupten, bis er durch
etwas Neueres ersetzt ist und sich dann still in die Apotheke, in die Kranken¬
stube zurückziehen und dort ein keineswegs unbeachtetes, aber doch immerhin
bescheidenes Dasein führen.
Wie trinkt die elegante Frau den Tee? O, sie hat tausend Möglich¬