II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 4), Literatur, Seite 69

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zu reden hatte, desto dünner und sadenscheiniger wurde
die Gestalt. Frau Kallina brachte die schwierigen
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ekstatischen Ausdrücke Helenens mit größter Sicher¬
16.4. Literatur
heit zum Ausdruck; aus der kleinen Engländerin läßt
sich weit mehr Drolerie herausholen, als Fri. Leschka¬
gegeben ist. Das Tempo der Aufführung schien
schleppend, aber ich meine, es ist das Tempo des
hnitt aus: „
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Stückes selbst, das jede Beschleunigung erschwert. Es
ist so eine Art Hintertürchen, durch das Wedelind ins
WIENER ABENDPOS7
Burgtheater geschlüpft ist; nun er einmal drinnen,
vielleicht öffnen sich ihm auch die Haupttore zum feier¬
lichen Einzuge mit einem großen, charakteristischen
Werke. Freilich müßte dies aber auch Bedingungen er¬
Theater, Kunst und Literatur.
füllen, wie sie keiner seiner bisherigen Produktionen in
Hofburgtheater.
vollem Maße eigen sind.
(Am 31. Jänner d J. zum ersten Male: „Der Kammer¬
Wie anders Courteline! Sein Stück ist zuerst
sänger", drei Szenen von Frank Wedekind.
Situation, dann erst Wort. Und fast braucht es der
„Boubouroche“, tragische Posse in zwei Auszügen von
Rede nicht, wo alles lebendige Gestalt und sichtbare
Georges Courteline, deutsch von Siegfried Trebitsch. —
deutliche Handlung. Sein Bouboureche spielt im
„Literatur", Lustspiel in einem Akte von Artur
Kaffeehause mit bauchschüttelndem Lachen seine Trümpfe
aus — der ganze Mensch steht vor uns, mit wenigen
Schnipler.)
Sätzen ist die Philisterkartenpartie hingeworfen, wie
„Tragische Posse“ hat man Courtelines „Bou¬
auf Skizzen von Gavarni. Der alle Boccacciosche Trick von
bouroche“ treffend überschrieben; „possenhafte Tragödie“
der schlauen Tücke des liederlichen Weibchens gegen den
könnte Wedekinds „Kammersänger“ heißen. In beiden
vertrauensseligen Tölpel wird hier im Geiste Molières,
Werken steht eine scharf geschaute männliche Charakter¬
figur im Mittelpunkt, ihr Verhalten zu einem dessen George Dandin hier ein wundervolles Seiten¬
das eine überraschende Wirkung auf ihr stück gefunden, zur Farce, durch die ein rührender,
Weibe,
übt, bildet die eigentliche Handlung, fast ergreifender Unterton durchklingt: er verdient
Dasein
Der deutsche Dichter beleuchtet seinen Helden Mitleid, dieser gute, selbstzufriedene Spießbürger, der
von allen Seiten in drei ausführlichen Dialogen: der die altgewohnte Behaglichkeit bequemer Liebe bedroht
sieht, und sich so gern eine Nase drehen läßt. Ja, ja,
diese verschmitzte Heuchlerin wird ihn weiter betrügen,
der zum gemütlichen Versteck eingerichtete Schrank
wird sich wieder öffen, um den begünstigten Lieb¬
haber einzulassen — aber Boubouroche wird glücklich
sein und ahnungslos wie vorher zur Abendstunde sein
Schätzchen heimsuchen! Das ganze Stück ist Aktion,
frischeste Bewegung, echt schauspielerisch gedacht
und empfunden. Und wenn ein selbstschöpferischer
Darsteller, wie Treßler, über den Boubouroche
gerät, so entsteht daraus ein wahres Meisterstück. Die
wunderbare Maske mit dem viereckigen Kopse, dem
breiten Mund und den im Fett begrabenen Auglein,
der aufgedunsenen Figur stimmte zu der satten Selbst¬
gefälligkeit des Gebarens, das sich bis in die rück¬
sichtslos sich ausbreitenden Beine, in dem dröhnenden
Lachen kundgab. Und welch ein Wechsel der Mimik,
von der asthmatisch ausbrechenden blinden Wut zum
verdutzten Hinstarren, bis das erlösende Grinsen die
stumpfen Züge belebte. Neben ihm eine ganz reizende,
ausgezeichnet pointierende Adele in Frau Retty, ein
trefflicher Liebhaber voll falscher Eleganz in Herrn
Zeska. Von den Episoden des ersten Aktes sei
Herr Gimnig und namentlich Herr Frank, der
in wenigen Strichen eine gute Charge gab, hervor¬
gehoben.
Nach den zwei Satyrspielen die Idylle; nach dem
vielen Salz und Pfeffer wirkte Schnitzlers „Literatur“
geradezu milde, um so mehr, als die kleinen Bos¬
heiten, die darin stecken, nicht stark betont wurden.
Der witzige Einfall hat nichts von seinem Reiz ver¬
loren, der anmutige Dialog wirkt noch immer, mag
auch das literarische Kaffeehaus schon der Vergangen¬
heit angehören. Frl. Marberg plaudert die
Margarete ganz entzückend, ist voll Frische und Leb¬
haftigkeit, die sich nur in der allzu gewaltsamen Aktion
der Arme etwas beschränken sollte; Herr Treßler,
nicht unmittelbarer hätte
dessen Wandlungsfähigkeit
beweisen können, gab e köstlichen jungen Baron
Clemens, Herr Heine war ein charakteristischer
Gilbert. Was das Liebespaar an echt Wienerischem
schuldig blieb, tat das Publikum aus Eigenem hinzu,
es grüßte nach dem nicht ohne Widerspruch geduldig
hingenommenen Deutschen, dem in wohlwollendster
Heiterkeit angehörten Franzosen mit freudigster Zu¬
stimmung seinen Landsmann.
Alexander von Weilen.