II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 85

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14. Der Schleien derBeatrice
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Abschied von Schlenther
von Stefan Großmann
eine Koffer sind gepackt. Er steht schon auf dem Perron des
(— Bahnhofs. Er steigt schon in das berliner Coupé. Niemand

ist da, um von ihm Abschied zu nehmen. Kein Schauspieler,
kein Dichter, kein Rezensent. Niemand winkt mit dem weißen Tüch¬
lein, niemand ruft schluchzend: Auf Wiedersehen! Ganz einsam geht
er über den leeren Perron, und niemand gibt ihm einen Händedruck
mit auf den Weg.
Als Laube aus dem Burgtheater ging, da waren die wiener
Bürger so erregt, daß sie sofort Geld sammelten, und bald darauf er¬
stand das Wiener Stadttheater, aus dem Laube sein zweites Burgtheater
machen wollte. Die Schauspieler, die Dichter, die Rezensenten schrieen
im Chor: Da bleiben!
Als Burckhard ging, da gab es Leute, die riefen: Gott sei Dank,
dieser Stümper! Aber es gab doch auch viele und sehr gewichtige
Stimmen: Seht doch, wie sich dieser Mann des Zivilprozesses in die
Theaterdinge eingelebt hat! Ja, er war im Anfang ein Stümper,
weil er eben vom Zivilprozeß zum Theater kam. Gerade jetzt begann
er etwas von der Sache zu verstehen. Ihn zu berufen, war ein Unsinn;
ihn jetzt wegzuschicken, ist noch ein größerer! Wie immer es sei: Als
Burckhardt ging, gab es wenigstens zweierlei Meinungen. Es gab
Schauspieler, die um ihn weinten, es gab Dichter, die um ihn trauerten,
es gab Rezensenten, die ihre Feder niederlegten und sie dem entlassenen
Burgtheaterdirektor überließen.
Um Schlenther trauert keiner. Die Schauspieler atmen auf, die
Dichter beginnen zu hoffen, die Kritiker aller Lager, aller Richtungen
haben in vollkommen einstimmigem Chor die Absetzung Schlenthers
begrüßt: Gott sei Dank! In Wien hat Paul Schlenther nur einen
einzigen Verteidiger. Das ist ein dicker wiener Gemeinderat, der ein
kleines Wochenblättchen herausgibt. Es ist der Herr, der Tolstoi einen
alten Teppen genannt hat.
Es wäre abgeschmackt, dem so einsam Abziehenden noch Vorwürfe
nachzuschleudern. Kein Zweifel: in der wiener Einsamkeit Schlen¬
thers lag auch ein Stück persönlicher Noblesse. Er hat die Schauspieler
verachtet. Er hat sich keiner Clique angefreundet. Er hat keinem
Kritiker geschmeichelt. Er hat sich seine sachlichen Mißerfolge nicht
durch allerlei persönliche Künste verschminken wollen. Seine Nieder¬
lagen haben ihn nicht um seine Würde gebracht. Er geht ganz einsam
von hier weg, aber er tut es mit aufrechtem Haupte. Seine direkto¬
rialen Schwächen beruhen vielleicht auf wertvollen menschlichen Eigen¬
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