II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 86

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14: Der Schleien der Reatrige
schaften. Ein Beispiel: Er verachtet die Schauspieler. Menschlich mag
das nicht ganz unbegreiflich sein. Der Schauspieler, in seiner ewigen
Aufregungsatmosphäre, in seiner nicht zu durchbrechenden Eitelkeits¬
welt, ist gewiß nicht der höchste menschliche Typus. Alle Leute dürfen
den Schauspieler belächeln, alle Leute dürfen das Komödiantische, die
Freude an der Maske, die Lust an sich selbst, das Ewig=Selbstgefällige
unangenehm empfinden — nur gerade der Theaterdirektor nicht! Er
muß mit dem Allzu=Menschlichen der Schauspieler von vornherein
rechnen können, wie ein Schauspieler mit seinen Figuren. Bei Schlen¬
ther aber fühlen alle Schauspieler durch, wie instinktiv und gründlich
er den ganzen Typus verachtete. Gewiß, es wird über keinen Direktor
von seinen Schauspielern viel Gutes geredet. Aber der Ton, in dem
die Burgschauspieler über Schlenther sprachen, war immer ein irrsinnig
gereizter, ein todfeindlicher, ein unheilbar verwundeter. Nicht nur
Kainz ist dem Burgtheater in den Jahren der Schlentherschen Herr¬
schaft entfremdet worden; der Direktor hat es verstanden, alle Schau¬
spieler unlustig zu machen. Bald wurde Herr Devrient aus Gekränkt¬
heit krank; bald jammerte Fräulein Rosen vor ihren Bewunderern,
daß sie, die glücklich Entdeckte, nur zweieinhalbmal im Jahre spielen
dürfe; bald erzählte Frau Schmittlein, daß Schlenther, der sie enga¬
gierte, sie seit Jahren absichtlich nicht mehr beschäftigte; bald wollte Herr
Treßler seinen Vertrag lösen. Dann gab es wieder wütende Kämpfe
mit Herrn Nissen. Adele Sandrock befreite sich mit einem Stuhl¬
wurf vom Burgtheater. Selbst dem guten, allzeit willigen Gregori
wurde das Leben schwer gemacht, indem man ihm verbot, in Arbeiter¬
vereinen vorzulesen. Die Schauspieler erzählten es jedermann, der
es hören wollie, das Schlenther schließlich fast für keinen mehr persön¬
lich zu sprechen war. Der briefliche Verkehr überwog. Ein Theater¬
direktor, der mit seinen Schauspielern beinah nur in schriftlichem
Kontakt stand — man brauchte über die Direktion Schlenther nicht
viel mehr zu sagen.
Er haßte die Clique. Auch das ist menschlich wertvoll. Aber
schließlich: Was alles wird Clique genannt? Zwei, drei Talente sind
umgeben von einem Kreis von Schwertträgern und Bahnbrechern.
Diese Anhängsel sind keine angenehme Erscheinungen, aber, Gott, sie
sind nun einmal nicht zu vermeiden. Weil hinter Hoffmannsthal und
Schnitzler ein Dutzend koketter wiener Jünglinge laufen, deshalb darf
ich doch nicht an Schnitzler und Hofmannsthal ostentativ vorbeigehen?
Seit dem Tage, an dem Schlenther den „Schleier der Beatrice in un¬
gebührlicher Art zurückgewiesen hat, ist er zu den paar Dichtern, die
in Oesterreich leben, in kein getes Verhältnis mehr gekommen. Die
besten Sachen von Hermann Bahr wurden im Volkstheater aufgeführt.
Die feinsten Dichtungen von Arthur Schnitzler, selbst „Der einsame Weg',
wurden in Wien überhaupt nicht gegeben. Von Hofmannsthal sind
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