II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 88

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14. Der Schleier der heatrige
Schlenther schaffte sie mit einem Strich ab. Zur Entschuldigung er¬
zählte er der Welt, daß die wohlhabenden Leute diese wohlfeile Ge¬
legenheit ausgenützt hätten, und darunter habe der reguläre Abend¬
besuch gelitten. Das ließ man gelten und schwieg. Aber siehe da, nach
einiger Zeit führte Schleuther selbst wieder billigere Sonntagsnach¬
mittagsvorstellungen ein, nur daß die Sitze diesmal nicht an die Ge¬
werkschaften verteilt, sondern frei an der Kasse verkauft wurden. Er
hatte sich selbst durch seine eigene Praxis widerlegt. Die Burckhard¬
sche Kulturarbeit hatte er gedankenlos vernichtet und schließlich seine
eigene Entschuldigung zerrissen. Ich habe Schlenther damals, als er
erklärte, daß die reichen Leute den Armen bei jenen Nachmittagsvor¬
stellungen nur die Plätze wegnehmen, den Vorschlag gemacht, alle Sitze
mit Hilfe unsrer Volksbühnenorganisation an die Gewerkschaftsmit¬
glieder verteilen zu lassen. Schlenther war von dem Vorschlag sehr be¬
friedigt. „Jetzt sehe ich Neuland“, sagte er mir begeistert. Aber nach
ein paar Tagen ließ er mir durch seinen Sekretär sagen: „Leider ...
Der Fürst will es nicht!“ Der Fürst — damit war der Oberst=Hof¬
meister Fürst Montenuovo gemeint — ist unter Schlenther ein über¬
mächtiger Mann geworden. Von seiner ersten Ansprache an hat
Schlenther gegen die Hofbehörden eine ganz unmöglich devote Haltung
angenommen, wie vor ihm weder Burckhard noch Wilbrandt. Nichts
ist so charakteristisch für die Schwäche des Schlentherschen Regimes wie
diese wachsende Uebermacht der Hofbehörden. Der Fürst, nichts
weniger als eine Kapazität, wurde bei jedem Anlaß zitiert. Noch nach
dem erlösenden Skandal bei „Hargudel am Bach' wurde uns von Einge¬
weihten zugeflüstert: Schlenther hat die Miserabilität der Komödie
selbst gekannt, aber er hat sie aufführen müssen. Was wollen Sie? ...
Der Fürst! Der Fürst!!... Es gab für Schlenther einen Tag, an
dem er sich einen wunderschönen Abgang hätte machen können. Das
war damals nach der fünften Aufführung von „Rose Bernd', als eine
Erzherzogin jählings aus dem Theater lief und tags darauf das Drama
vom Repertoire abgesetzt werden mußte. Seine Freunde rieten ihm
damals: „Jetzt mache Schluß! Das wäre ein Abgang!“ Aber er tat
nur wieder eine tiefe Verbeugung vor dem Fürsten und blieb gehorsam.
Am Ende hat ihm seine Dienstwilligkeit nicht weitergeholfen. Er
wurde in drei Tagen gestürzt. Zu einer Zeit, wo er selbst noch
ahnungslos verkünden ließ, daß seine Position vollkommen fest sei,
hatten die Hofbehörden schon den verhängnisvollen Leitartikel im
Fremdenblatt inspiriert. Der arme Schlenther! Er war dem Fürsten
treuer als der Fürst ihm. Auch dies spricht menschlich wieder für
Schlenther. Es setzt ihn gar nicht weiter herab, daß er ein schlechter
Direktor gewesen. Er hat während seiner Direktorschaft den Deutschen
wirklich wertvolle Dinge geschenkt: ich meine den Briefwechsel von
Theodor Fontane. Die Fieber der Theaterlust haben ihn nie gepackt.
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