II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 161

Lobetheater.
„Der Schleier der Beatrice". Schauspiel in 5 Akten
von Arthur Schnitzler.
Der Wiener Schnitzier hat uns bislang nur kleine „Wiener Schnitzel“
beschert, pikante Sächelchen, zumeist stark gewürzt und in der Butter
moderner Lüsternheit gebraten. Diesmal serolent er uns etwas Großes,
einen umfangreichen Wiener Rostbratel. Gunz frisch von der Pfanne
kam er auf den Beeslauer Tisch. Und es hatten sich sehr, sehr viele
Feinschmecker eingefunden, die mit gierigen Nasen den prickelnden haut
goüt zu riechen schmachteten. Nun glauben wir aber, sie sind nicht
pöllig auf ihre Rechnung gelommen; denn das mächtige Stück!
„Schweinernes“ (wie man in Wien sagt) war nicht so
gut durchgebraten, wie seine Einakter und kleineren Dramen.
Es war sogar stellenweise erschrecklich zähe und bis zum Ende des zweiten
Aktes nur mit Mühe genießbar. Herr Schnitzler wollte einmal so recht
was Großes, Saftiges zubereiten, aber, wie Kollege Björnstjerne Bisenson
sagt, es ging „über die Kraft“, Seine fünffüßigen Jampen (es ist ein
Jambendrama) sind ja zum Teil voll Schwunges und edlen Pathos:
daß Schnitzler ein Mann von starkem Talent ist können wir nicht
leugnen. Aber das Talent zu einem fünfaktigen Versdrama, das uns
im großen geschichtlichen Rahmen, in der Glut südlicher Farben und
Töne die letzte in Sinnenrausch getauchte Freiheitsnacht einer unter¬
gehenden italienischen Stadt, der Heimat der Bologenser Hündchen.
schildert, ohne uns zu langweilen und zu verwirren, dies Talent
hat er mit seiner bislang unaufgeführten Tragödie nicht dokumentiert.
Da wimmelt es wohl von allerlei bunten Gestalten. Da fallen wohl!e
allerlei zauberische Farben und Töne uns in Auge und Ohr; da #
müht sich wohl der Dichter mit vollen Backen südliche Sinnensglut
und wollüstige Gerüche uns zuzublasen: aber sein Mühen bleibt ohne!
rechten Erfolg; wir werden nicht warm bei diesem Kunterbunt; Schnitzler
redet seine Zuhörer tot, verwirrt sie durch die Unklarheit der ersten zwei
Akte und durch das erdrückende Beiwerk an Straßenscenen. Und was
einen gesunden Geschmack besonders abstößt, das sind die wahren Unmög¬
lichkeiten (z. B. Beatricens unbemerkte Flucht vom Trqualtar weg) und
der Sirocco offener und versteckter Sinnenglut, der versengend durch
Bolognas nächtliche Straßen weht. Und Inhalt und Titel des Dramas?
Wir sind in der Stadt Bologna in Italien. Die Stadt ist eingeschlossen
von Feinden an deren Spitze Cäsar Borgia. Sie verteidigt Lionardo
Bentivoglio, Herzog von Bologna. Es ist die letzte Nacht vor Bolognas
Falle. Unddiese letzte Nacht vor dem Verderben benutzen die degenerierten
Einwohner zu letzten Orgien aller Art nach dem Grundsatze: Ap#s
nous le delnge“ Der Bologneser Dichter Filippo Loschi hat eine Ge¬
kliebke namens Beatrice, Tochter der Familie Nardi. Die Mutter
## übel berüchtigt. Beatrice hat neben ihrem Filippo noch einen
Reserveanbeter, Vittorio, der ehrliche Absichten hat. Filippo, der Dichter,
macht sich bereit, mit Beatrice aus der belagerten Stadt zu fliehen.
Als ihm aber Beatrice Nardi unbefangen erzählt, sie habe geträumt,
des Herzogs Geliebte zu sein, verstößt er sie.
Er mag sie nicht mehr,
weil sie „im Traum gesündigt“. So wendet Beatrice sich denn wieder
ihrem soliden Liebhaber Vittorino zu, der schon auf dem Sprunge steht,
sie zum Altare zu führen. Da gerade erscheint der Herzog am Vorabend
des letzten Kampfes um seinen Besitz. Er durchstreift Bolognas
Straßen, nach süßer Beute gelüstig; denn morgen ist ja alles aus und
Borgia dringt in die Stadt ein. Also die letzte Nacht feiern in tollem
Sinnesrausch. Er sieht Beatrice an der Seite ihres zukünftigen Gemahls.
Ste lieben und #r# sich begehren ist eins. Die „holde“ Beatrice und
ihre „ehrenwerten“ Eltern sind nicht abgeneigt. Sie will ihm auf sein
Schloß folgen, aber nur als rechtmäßig angetraute Herzogin. Der
Herzog willigt ein. Der Kardival vollzieht die Trauung. Aber sofort
nach der heiligen Handlung reißt die schöne Beatrice im Brautkleide und
mit ihrem kostbaren Schleier („Der Schleier der Beatrice") aus und
sucht ihren ersten Geliebten, den Dichter Filippo, wieder auf.
Nach einer wilden, wüsten Scene zwischen Beatrice und Filippo greift
dieser zum Giftbecher: sie aber eilt mit Zurücklassung ihres berühmten
Schleiers heim in den Herzogspalast. Dort hat man sie natürlich bereits
ermißt. Die Zurückgekehrte wird von dem Her##
ihres Schteiers gefrant. Der Schleier, ju der Schleier tiegr i es
Hause bei Filippos Leiche. Sie verspricht dem Herzog, den Schleier
wieder herbeizuschaffen, wenn er — Verzeihung verspricht, Das thut der
gute Lionardo Bentivoglio auch. Beide huschen durch die Nacht in Felippos
üppiges Gemach. Da liegen Dichter und Schleier noch so, wie Beatriee sie ver¬
lassen. Hinzudrängt sich in des toten Dichters Klause das Volk und Beatrices
Vater, Mutter und Bruder Francesco. An den Tag kommen alle „Vor¬
züge“ der holden Beatrice und ihre unterschiedlichen Eigenschaften.
Dennoch verzeiht ihr, dem Kinde (denn sie ist ja erst 16 Jahre alt),
der Herzog. Francesco aber, ihr gestrenger Bruder stößt die „viel¬
geliebte“ Schwester nieder und der „edle“ Herzog hält eine lange Lod¬
reds auf die Dichter im allgemeinen und auf seinen Stadtpoeten Filippo Loschi#
#inder herzaglichen. Gruft beigesetzt werden soll, im besonderen. —
Alles dieses und noch viel, viel mehr. viel Wüstes und Unglauhliches.
passiert in einer schönen Bologneser Nacht. Und um 11 Uhr fällt der
Vorhang und wir stürmen hinaus in die frische Dezembernacht, entflohen
der ermattenden Temperatur des überfüllten Hauses und der endlosen
Schnitzler'schen Komödie. — Der anwesende Autor zeigte sich und neigte
sich dem klatschenden und zischenden Publikum. — Die Vorstellung selbst
agbörte nicht zu den besten der Saison. Sie war, entgegen der
lbsicht des Autors, sehr wenig in südliche Glut getaucht Es lag
Relmehr eine gewisse Mattigkeit und Gleichgültigkeit über dem
Ganzen, und die Volksscenen wollten kein rechtes Leben zeigen —
Nur drei Gestalten hoben sich aus dem verwirrenden Nebeneinander de¬
Erscheinungen energisch ab: der Herzog von Bologna, den Herr Jessen
mit wächsender Kraft und edlem Feuer spielte; der Dichter Filippo Loschi,
den das großzügige Spiel unseres Herrn Lettinger in die allererste
Linie rückte, und die schöne, naiv=verdorbene Wappenschneiderstochter
Beatrice Nardi, die im Sinne des Autors zu kreieren weder Fräulein
Konrads sonst schätzenswerte Darstellungskunst, noch ihre äußere Er¬
scheinung zureichte. Wie konnte man nur das nicht frühzeitig genug
einsehen!
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Lobetheater.
Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten von
Arthur Schnitzler.
Vor den Thoren Bologra's lauert der Tod. Cesare Borgia,
der gefürchtete Sohn des Papstes Alexander VI. (1492—1503), zieht
mit übnwältigender Macht gegen Lionardo Bentivoglio, den Herzog
der Stadt. Aber Lionardo ist ein echter Sohn der Renaissance,
jener bis zur Verruchtheit genußfreudigen Zeit. Ehe er sich dem
mörderischen Schwerte Cesares stellt, will er goch einmal eine Liebes¬
nacht genießen. Stine Wahl fällt auf Beatrice Nardi, Bologna's!
schönstes Mädchen. Ein seltsames Geschöpf, halb ein unschuldiges
Kind, halb eine Herodias an lasterhaftem Ehrgetz, hat sie vorher den
schwermüthigen Dichter Loschi seiner edlen Braut abtrünnig gemacht.
Aber Loscht verslößt sie, da sie ihm durch ihre Träume von einer fusive
Fürstenkione befleckt scheint. Schon will ihr Bruder sie dem ehr=sorto.
samen Handwerker Monaldi vermählen, da begehrt sie der Fürst. Jhlbar
Nur als Gattin, nicht als Buhlerin will sie ihn erhören, und von Woraus.
ibrem Stolze bezwungen, giebt der Fürst nach. Monaldi, der
Bräutigam Beatrice's, giebt sich verzweifelnd den Tod.
ist das
Während des rauschenden Hochzeitsfestes eilt Beatrice un¬It es den
bemerkt zu Loschi. Sie schwatzt ihm von gemeinsamem Sterben.
Aber als er den Gedanken begierig aufgreift und den Gistbecher
trinkt, da wird die unersättlich Lebenslustige von Furcht gepackt. hltend die
Bei ihrer hastigen Flucht vergißt sie den ihr vom Fürsten ge=Torgen¬
schenkten kostbaren Schleier im Hause Loschi's.
Zeirung“)
Ihre Abwesenheit ist von den neidischen Höflingen dem Fürsten siche Leben
hinterbracht worden. Auf seine Vorhaltungen sucht sie ihn mit sttheilungen
einem Lügengewebe zu umstricken. Jede Spur von Größe, ja auch
nur von Menschlichkeit, scheint durch ihre wahnsinnige Todesfurcht
ausgetilgt. Als ihre Schuld schließlich zu Tage tritt, verzeiht der
Herzog der Gemarierten. Der Bruder, ein Jüngling von rauher
Tugend, stößt ihr das Schwert in die Brust.
Von der Leiche der schönen Sünderin hinweg eilt der Herzog
neuem Genusse zu. „Das Leben ist die Fülle, nicht die Zeit!“ ruft
er. Noch einen tiefen Trunk aus den Quellen des Lebins will er
thun, ehe sie ihm versiegen.
Diese tiefen Gedanken, in einer hinreißend schönen Sprache
vorgetragen, müßten einen starken Eindruck hinterlassen, wenn die
Aufführung dem Werke ebenbürtig wäre.
Sie war es nicht. Wohl boten Herr Jessen als Herzog, Herr
Lettinger als Loschi gute Leistungen, aber die Beatrice des Fräu¬
leins Konrad genüg'e selbst bescheidenen Ansprüchen nicht. Sie
sprach die schönen Verse recht mangelhaft, und ihr hilflos von einer
Auffassung zur andern taumelndes Spiel bewies, daß sie sich über
den Crarakter der Beatrice nicht klar geworden war.
Es wird Sache des Herrn Regisseur Runge, dessen Regie sonst
Wen en lchseise Sagsbait die Schmiahn Bais min.
sein, hier zu bessern.