II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 186

Mangel an Verständniß.) Schnitzler hätte noch viele Wiener
Stücke schreiben können — er wäre ihnen mit jedem immer wieder
willkommen gewesen. Eine zweite, eine dritte Christine, eine
vierte, eine fünfte Schlager=Mizzi ... anerkannte Marke ...
ein zehnter Anatol . in hoc signo..! Viele machen's ja
so, und wenn man einmal in einem bestimmten Genre Glück
gehabt hat, ist es gewiß praktisch, sich nach eigenem Muster
fortzusetzen. Schöner allerdings ist es, sich zu entfalten und
zu entwickeln. Nun hat sich Schnitzler auf dem Stoffgebiet,
auf dem ihm seine ersten Erfolge wuchsen, nicht behaglich
seßhaft gemacht. Er zwang seine Kräfte nicht, die Wiener
Scholle immerfort zu bebauen, blos weil da in Sommern, die
nun verflossen sind, seine Ernte ergiebig gewesen. Als es ihn
fort trieb, ging er fort. Aus Wien, aus der Gegenwart und
aus der naturalistisch geschulten Prosa. Sein „Schleier der
Beatrice“ spielt in Bologna, zur Zeit der Renaissance, und
ist in Versen geschrieben.
Der Dichter Filippo Loschi in Bologna, jung, genial
und berühmt, ist mit der Schwester seines Freundes Andrea,
mit der Gräfin Teresina Fantuzzi verlobt. Andrea weilt
im Gefolge des Herzogs von Bologna zu Gast bei den Bor¬
gia in Rom. Inzwischen hat es sich ereignet, daß Filippo,
der mit seiner Braut am Krankenlager ihrer Mutter wachte,
von seiner Jugend, seiner Leidenschaft hingerissen, Teresina
noch vor ihrer Vermählung zu besitzen verlangt. Ein Liebes¬
rausch, eine Aufwallung, geschürt vom Zauber einer milden
Frühlingsnacht. Teresina hat ihn zurückgewiesen und Filippo
ist in heftiger Bewegung davongestürmt, hinaus vor die
Thore Bolognas, wo eben ein Volksfest gefeiert wird, das
den erhitzten Jüngling mit aller Lust umgibt, die er nur
wünschen mag. Dort findet er Beatrice Nardi, die junge,
strahlend schöne Tochter eines tollen Wappenschneiders.
Und noch am selben Abend ist sie sein. Filippo ver¬
lebt drei Tage einer nie gekannten, trunkenen Seligkeit.
Diese drei Tage gehen dem Stück voraus. Wenn der Vor¬
hang sich hebt, sehen wir Filippo wieder der Geliebten harren.
Teresina ist vergessen, vergessen Andrea und all' die köst¬
lichen Bande des Schaffens, Genießens und der Liebe, die
ihn an diese edlen Menschen knüpften. Filippo erwartet
seine Beatrice — alles Andere ist nicht von Wichtigkeit.
Agostino, der Musiker, ist da, vor drei Tagen noch ein theurer
Freund, jetzt lästig, weil Beatrice kommen wird. Agostino
hat ein Gedicht Filippo's componirt, aber Filippo erkennt
es nicht. Wann schrieb er dies Gedicht? „Noch keinen
Monat!“ sagt Agostino — und Filippo, der großen Ver¬
änderung gedenkend, murmelt: „Noch nicht drei Tage!“
„Und so entfremdet meinem Heut' dies gestern,
Daß sie genüber Aug' in Aug gestellt,
Einander nicht erkennen, Brüdern gleich,
Die Nachts auf dunkler Straße sich begegnen.“
Und es waren Liebesverse zum Preis der Teresina. So
vergaß im unfernen Verona einst Romeo an Rosalinden, als
er Julia erschaut. Allein auch draußen, in Bologna ist viel
geschehen in drei Tagen. Cesare Borgia zieht mit Uebermacht
heran, die Stadt zu belagern. Der Herzog Bentivoglio,
den man schon für todt gehalten, ist über Nacht und heimlich
zurückgekehrt, mit ihm Andrea, der Freund, der Bruder der
verrathenen Braut. Und Teresina's Mutter starb diesen
Abend. Filippo Loschi aber hat nicht Ohren für die Noth
der Zeit. Ihn kümmert das bedrohte Bologna nicht, das
morgen schon zu Schutt und Asche fallen kann. Bologna
in Gefahr? Nun gut — er bestellt Pferde, um mit seiner
Beatrice zu entfliehen. Mögen Andere für das Vaterland
fechten und sterben — er hat Beatrice und will leben. Ihn
kümmert's nicht, daß Teresina's Mutter starb, daß er sein
Wort gebrochen, daß Andrea zurück ist und Rechenschaft
fordern wird.
„Wer spricht von Schuld? Im Herbste fallen Blätter,
Im Frühjahr sprießen and're! Sagt Ihr d’rum,
Daß Einer schuldig ward?“
Der Herzog sendet zu ihm. Andrea hat auf der Reise
Filippo's Gedichte dem Bentivoglio vorgetragen. Nun ist der
Fürst begierig, den jungen Dichter kennen zu lernen, ihn an
seine Seite zu ziehen. Filippo schickt den Boten heim. Was
ist ihm jetzt der einst so bewunderte Herzog? Er hat nicht
Zeit, zu Hof zu gehen. Und endlich, endlich ist er allein.
Endlich kommt Beatrice, zärtlich, plaudernd, schwatzend.
Daß sie mit Filippo fliehen soll, regt sie nicht auf.
Nur soll er ihr Pferd am Zügel führen, das muß
er ihr versprechen. Sonst hat sie Angst. Ja, und von zu
Hause erzählt sie, richtig, auch von der kommenden Be¬
lagerung, und wie viele Menschen jetzt auf der Straße
sind, und daß ihr Bruder sich hat anwerben lassen, und, bald
hätte sie's vergessen: sie hat den Herzog gesehen und der
Herzog sie! Ihre Schwester Rosina, die den Herzog liebt,
stand dicht dabei, aber der Herzog sah nur sie, Beatrice!
Wie sich die Rosina da geärgert hat! Und noch was: sie
schlief ein und träumte, sie sei des Herzogs Gattin. Wie
wunderlich genau doch manchmal Träume sind. Filippo aber
## Megen Raummangel verspätet.

sie auf Filippo's dringende Worte einwilligte, ihn zu ver¬
lassen, wie sie in ihrer völligen Passivität in Alles willigt.
Schon will sie mit dem überglücklichen Vittorino zum Trau¬
altar, da begegnet sie dem Herzog. Bentivoglio hat eben die
Nachricht erhalten, daß der von ihm verehrte Dichter Filippo
seine Einladung ausgeschlagen, er hat eben vernommen, was
das Volk sich erzählt, von dem schönsten Mädchen Bolognas,
das heute auf's Schloß soll — und er sieht Beatrice. Von
ihrer Schönheit ergriffen, bleibt er stehen. Ward ihm der eine
Wunsch, einen bewunderten Mann kennen zu lernen, aus
unbegreiflichen Gründen verwehrt, so wird ihm vielleicht der
andere, ein schönes Weib in dieser Nacht, die möglicherweise
die letzte seines Lebens ist, zu umarmen, erfüllt. Und er ladet
Beatrice zu sich auf's Schloß. Diese aber, von ihrem Traum
befangen, sagt kühn: „Die herzogliche Schwelle betret' ich
nur als Herzogin!“ Und Bentivoglio, der Jugendliche, der
Freie, der das Seltsame und das Freie liebt, nimmt Veatrice
zum Weibe. Cesare Borgia wartet draußen vor dem Thor
mit zehnfacher Uebermacht. Wenn es morgen kein Bologna
und keinen Bentivoglio mehr gibt, was liegt dann noch daran,
wer eine Nacht lang Herzogin gewesen. Der arme Vittorino
aber, so nah' am Ziel, vom Glück getäuscht, stößt sich einen
Dolch in's Herz.
Filippo hat den Abend mit Dirnen verjubelt. Gleich
nachdem Beatrice fort war, sind die beiden Florentiner
Dämchen in sein Haus gedrungen. Da liegen sie nun ein¬
geschlafen, wie die Musikanten, die zum Mahle aufgespielt
haben. Filippo weckt sie. Er will sie los haben: „Heisse
Trunkenheit, Musik, Umschlungensein von weichen Armen.
Was blieb zurück? Nichts als befreites Athmen, daß es vor¬
bei, und Sehnsucht nach Alleinsein!“ Ohne es selbst zu wissen,
wartet er auf Beatrice. Scheidend, sprach sie: „Fühl' ich,
daß ich nicht sein kann ohne Dich. Und hab'
zu sterben Lust, so komm' ich wieder und nehm'
Dich mit!“ Jetzt klammert er sich nur mehr noch an diese
Worte, die er doch nicht ernst nimmt. Da tritt Ercole, ein
Freund, in's Zimmer. Er sieht die Damen und Filippo's
Wunsch, sich ihrer zu entledigen. Das trifft sich gut. Sie
wollen mit ihm auf's Schloß. Der Herzog hat ganz Bologna
gelaben, seine Hochzeit zu feiern mit Beatrice. Mit welcher
Beatrice? Nun, mit Beatrice Nardi! Einer Bürgerlichen.
Er nahm sie, als sie eben mit einem Anderen zum Trau¬
altar gehen wollte. Morgen ist doch Alles vorbei! Ercole zieht
mit den Florentinerinnen ab. Auf den Straßen wird's lebendig.
Bologna jubelt. Filippo aber kann nicht fassen, was geschah. Da
tritt Andrea ein. Er kommt erwünscht. Nun ist Filippo bereit,
Genugthuung zu geben, den Treubruch mit dem Leben zu
bezahlen. Der edie Andrea aber mag den nicht tödten, den
er einst hoch geehrt, mag keinen Bologner morden in der
Nacht, die Bolognas Fall vorausgeht. Filippo soll mit
ihm, dem Feind entgegen, dort auf dem Feld der Ehre
fühnen. Und Loschi ist willig, ist begeistert, daß dieser
Schluß ihm noch gewährt wird. Da ruft es draußen seinen
Namen. Beatricens Stimme. Die Stimme seiner Ge¬
liebten, die Stimme der Braut des todten Vittorino,
die Stimme der Herzogin von Bologna. Rasend drängt
Filippo den Andrea hinaus. „In diesem Augenblick
geschieht so Ungeheures, daß alles Andere nichts
wird!“ Beatrice ist gekommen. Von der Hochzeit
fort, von Sehnsucht getrieben, ihr Wort zu halten, mit
Filippo zu sterben. So brav ist sie und möchte auch nun die
Belohnung: „So nimm' mich doch in Deine Arme.“ Filippo
stellt sie auf die Probe. Er gibt ihr Wein und sagt, es
sei Gift gewesen. Beatrice verzweifelt vor Angst, und
er, der nun zum zweitenmale durch Beatrice
sein Wort,
seines Lebens Ehre an Andrea verloren,
trinkt den
Giftbecher. Entsetzt flieht Beatrice von der Leiche
und läßt ihren Schleier zurück. Sie kehrt in's Schloß
zurück, wo das Bacchanal tobt, wo Boten von den
belagerten Mauern kommen, Gefangene eingebracht werden.
Sie kehrt in's Schloß zurück, wo der Herzog sie längst ver¬
mißt und sucht, wo die eifersüchtige Rosina den Argwohn
gegen die eigene Schwester stachelt, wo die Höflinge gegen
die unebenbürtige Herzogin wüthen. Wo sie war? In der
Kirche San Petron, für Bologna beten. Wo ist ihr Schleier
geblieben? Wohl dort, in der Kirche! „Die Herzogin
lügt!“ ruft ein Höfling. Er hat die Kirche selbst ver¬
schlossen. Nun soll sie den Herzog dorthin führen, wo
der Schleier geblieben, dann ist ihr Alles verziehen, was es
auch sei! Aber um nichts will sie an den Ort des
Schauderns, den sie verlassen, zurückkehren. Da verstößt sie
der Herzog. Ein rasches Gericht verurtheilt sie zum Tode,
und das Schwert fast schon im Nacken, schreit sie in höchster
Angst auf. Ja, sie will den Herzog führen, und sie geht
mit ihm in dasselbe Zimmer, darin sie den Schleier
gelassen und wo Filippo todt liegt. Der Herzog hält die
Leiche für einen schlafenden Nebenbuhler und beschimpft den
Todten, bis er den fürchterlichen Irrthum erkennt. Das Ge¬
folge tritt ein. „Wo bin ich?“ fragt der Herzog, und da er's
erfährt:


erwähnten Formel declinirt werd
süßes Mädel“. Der ganze Ideenkreis
Mädchen, der die Christine der „Liel
und großen Dialoge, Novellen und
füllt, erfüllt auch dieses Drama. A
Liebhaber, bezaubert von der unbew
stadtmädels, melancholisch durch Ei
heit und Gegenwart, nachdenklich
Liebesverkehrs, und manchmal im
marisch: „So ist das Leben!“ Fil
Züge. Aber statt der kleinen Abentet
Abenteuer seines Lebens. Die
schließen sich ihm auf, die schmerzl
lösen sich vor ihm. Beatrice, das Vor
sehr süß, hinreißend in ihrer inner
in ihrer stets bereiten Weiblichk
Weg der Vorstadtmädel. Der ju
eigenen Kreis, der sie heiratet,
sie
zu seiner Geliebten macht, un
der Herzog, der sie dann wirklich zu
derselbe Ideenkreis, aber ein= für
zu
Ende gedacht. Es sind dieselb
Gegenwärtigen entrückt, in's Allgem
In Beatricen erscheint daß „süße
nur verlogen, treulos, lieblich
Sie begeht Treulosigkeiten, sie
dorben gescholten. Aber der Dichter
„Zu staunen nicht gemacht. Nien
Des Daseins Wunder namenlos
Nie bist Du vor der Buntheit die
In Andacht hingesunken, und da
Die Beatrice ist, und ich, Filippo
Sich unter den unendlich Vielen
Hat nie mit tiefem Schauer Dich
Und daß Dein Vater toll, füllt i
Daß Vittorino starb, der Dich ge
Nicht mit dem fürchterlichsten Gr
Und daß Du Fürstin von Bolog
Macht Dich so wenig staunen, B
Wie wenn sich eine Mück' auf D
Und wenn Gespenster aus dem
Ich weiß, sie schreckten Dich, wie
Doch auch nicht mehr und nicht
Und der Herzog sagt zu ihr:
„Warst Du nicht, Beatrice, nur
Das mit der Krone spielte, weil
Mit eines Dichters Seel', weil si
Mit eines Jünglings Herzen, wel
Geschenkt war? Aber wir sind al
Und leiden's nicht, und Jeder v##
Nicht nur das einz'ge Spielzeug
Die ganze Welt. So nannten wi
Betrug und Frevel — und Du
Zum erstenmale wird das Weib
sehen. Vorurtheile von „Sünde“
„Laster“ zerstieben unter diesen W#
Wichtigkeit, die dem Geschlechtsver
schwindet. Ebenso wie die Gestalt
Gestalt des Herzogs, ist die künstleris
zu bewundern, der für sein Dramal
welcher hohe geistige Entwicklung m
nissen zusammenging, in welcher Für
auf dem Schlachtfeld ruhend, sich
vorlesen ließen. Beziehungsreich ist
gegenübergestellt, dem Mann der W#
der Mann der Thaten und des W
nach dem Anderen sich sehnt, Eines
ist ein tief poetischer Zug. Ein tie
auch, wie Schnitzler alle die bunt
Acte vom Abend bis zum Morgen
Liebesgeschichte Beatricens, Filippo's
Fieber einer Nacht taucht, die vie
sein kann, und eben deshalb
offen steht.
Dieses Werk ist vorerst nur
worden. Mit unzulänglichen Darstell
zulänglichen Apparat. Seine Wirkun
allerdings erprobt. Daß es für das
kann, steht nunmehr außer Zweifel.
an verborgenen und blühenden
kommt es dem Alltagsbedürfniß nur
dem Alltagsverständniß. So wird
seinen Weg machen, wird sich erst
eigenen Gewichtes durchsetzen, und es
ehe das abschließende Urtheil üb
Beatrice“ gesprochen ist. Die Zeit
davon — sie holt ihn ein.