II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 228

und da er sie um keinen niedrigeren Preis gewinnen kann
und mag, erhebt er sie zu seiner Braut und schenkt ihr als
Zeichen seiner Liebe und Verehrung einen wundervollen
Schleier. Zur Vermählungsfeier aber lädt er ganz Bologna
ein, Bologna, soweit es jung und schön...
In den weiten Gärten des Schlosses tummelt sich am
Hochzeitsabend eine bunte, lebens= und liebestolle Menge, junge
Krieger, vornehme Edelleute und schöne, liebreizende Frauen
und Mädchen. Sie alle erfaßte der Taumel des letzten Genießens.
Wonach man sonst geseufzt, was man sonst Wochen und
Monate ersehnt und erbettelt hatte, heute fordert man es
ungestüm und lachenden Mundes. Peinigt alle doch die
Furcht, das Mahl des Lebens verlassen zu müssen, ehe man
vom letzten, köstlichsten Kruge Weins getrunken, ehe man
von der letzten goldenen Schüssel gegessen. Im Palaste
selbst berathen die Edlen, bringen die Boten Nachricht auf
Nachricht, ordnet man das Letzte für den nächsten
blutigen Morgen. Ein gefangener Spion wird geblendet.
Der Verräther Mariscotti wird abgeurtheilt. Und das
Hauptereigniß des Tages, die Hochzeit des Herzogs, wird be¬
sprochen, bekrittelt, belächelt. Man meint, die kirchliche Ver¬
mählung sei eine Farce, ein Mummenschanz gewesen. Man
erzählt von dem Adler, der zu Tode getroffen niederstürzte
zwischen die Menge, als der Kardinal das junge Paarge¬
segnet. Und plötzlich wird der Ruf laut nach Beatrice. Sie
ist verschwunden —
In der Villa Loschi's war sie gewesen, bei ihm, den sie
nicht vergessen konnte. Sie war zu ihm gekommen, um mit
ihm zu sterben. Doch Filippo erkannte ihre Schwäche, ihre
Todesfurcht. Er stellte sie auf die Prohe, reichte ihr ver¬
meintliches Gist und sah, daß sie nich die Kraft besaß,
unerschrocken mit ihm aus dem Leben zu scheiden. Ihre Liebe
war seiner nicht würdig. Traurig und enttäuscht trank er
allein den giftgefüllten Becher. Beatriee aber stürzte zurück
ins Leben.
Als der Herzog sie fragt, wo sie gewesen, sucht sie zu
leugnen. Aber der Schleier, das Geschenk ihres Gemahls,
ist nicht zur Hand. Sie hat ihn im Hause Loschi's verloren.
Der Herzog fordert, daß sie ihn beschaffe. Sie weigert sich,
bis endlich furchtbare Todesdrohung sie vermag, den fürst¬
lichen Gemahl zu der Stätte zu führen, wo sie den Schleier
zurückgelassen. So findet der Herzog die Leiche des von
ihm so hochverehrten Dichters. Er ist erschüttert über das
Verhängniß, das den Herrlichen durch die Hand dieses
Mädchens in den Tod getrieben. Doch während er noch
über Schuld und Sühne grübelt, macht Francesco, der
Bruder Beatriec's, allem ein Ende. Er tötet die Schwester,
da er die Schmachbeladene nicht mehr unter den Lebenden
wissen mag. Der Herzog aber befiehlt, daß man den Dichter
und seine Geliebte im Grabmal der Bontivoglio beisetze.
Dann verläßt er das Haus des Schreckens, um sein Bologna
gegen Cesare Borgia zu vertheidigen. —
So läuft die Handlung auf verschlungenen Pfaden zu
eihrem Schluß, diese seltsame Geschichte vom Herzog, Dichter
Nund Mägdlein. Der Herzog: ein Charakter, fest in sich
geschlossen, ein Wille, dem die Kraft entspricht, ein fröhlich
rücksichtsloses Gemüthohne Skrupel ehne Nene ständig im
ch# Sichte. Sfeinfühlig bis zur acrankhaftig¬
keit und dabei egoistisch bis zur
Brutalität¬
Mägdlein ausgestattet mit allen Reizen, die Jugend.
und Schönheit verleihen, unwissend und doch vielleicht nicht
mehr ganz unschuldig in ihren Gedanken, zur Liebe
geschaffen und doch ohne die Kraft, ihr das höchste Opfer,
sich selbst, zu bringen. Vor allem aber noch nicht reif dazu,
die Geliebte eines genialen Dichters, die Gattin eines voll¬
kraftigen Herrschers zu sein. Der Herzog kennzeichnet sie
richtig am Schluß des Stückes in folgenden Versen:
„Warst Du nicht, Veatrice, noch ein Kind,
Das mit der Krone spielte, weil sie glänzte, —
Mit eines Dichters Seel', weil sie voll Rätsel, —
Mit eines Jünglings Herzen, weil's Dir just
Geschanft war? Aber wir sind allzu streng
Und leiden's nicht, und jeder von uns wollte
Nicht nur das einz'ge Spielzeug sein — nein mehr!
Die ganze Welt. So nannten wir Dein Thun
Betrug und Frevel — und Du warst ein Kind!“
Zur Charakterisirung dieser Persönlichkeiten hat Schnitzler
viel feine Züge ersonnen. Und es ist ihm auch nicht so übel
gelungen, den Herzog und die jugendliche Beatrice zu zeichnen,
wenn auch beide etwas romantische Gewänder tragen und in
einer Handlung dargestellt werden, die aus dem Rahmen des
Gewöhnlichen markant heraustritt. Weniger deutlich wird
uns die Figur des Filippo. Ist es möglich, daß ein solches
Schwanken von Extrem zu Extrem vorkommt, daß sich eine
so übersensitive und impulsive Art, wie sie sich im Verhalten
des Künstlers zu Beatrice zeigt, mit einer solchen Indolenz
und Brutalität paart, wie sie Filippo seiner Vaterstadt und
seiner ehemaligen Braut, der unglücklichen Teresina gegen¬
über bewiesen? Wir erkennen viel wahre Einzelheiten
in dem Bilde, aber das Ganze erscheint uns künstlich
konstruirt und innerlich unwahr. Vor allem aber weist
es den Fehler so vieler Dramen= und Romaufiguren
auf: der Dichter hat es
nicht verstanden, in ihm
die geistige Größe zu verkörpern, die ihm vorschwebte.
Daß Filippo Loschi ein genialer Dichter war, hören wir
zwar aus manchem Munde. Wir haben aber nicht die
geringste Ursache, selbst an sein Genie zu glauben. Wir er¬
kennen in ihm nur einen exzentrischen und haltlosen Menschen,
der uns alles andere als die Liebe und Nachsicht seines
Fürsten und seiner Mitmenschen zu verdienen scheint. Wir
werden das Gefühl nicht los, als würde von den Empfind¬
samkeiten dieses Herrchens der nichts für seine bedrohten
Mitbürger, der nichts für seine von ihm moralisch mi߬