II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 253

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14. Der Schleier der Beatrice
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Der Kampf des Helden geht mit Nachdruck wider Jansen, — der Kritiker „steht auf¬
gerichtet, bleich, in starrem Fanatismus“. Man schüttelt den Kopf. Das Wichtigste
des Erlebnisses wird ihm wohl das Erlebnis mit Rosenberg gewesen sein. Die
wesentlichere Erfahrung ist der Befreundete, der umfällt, nicht ein Kritisierter, der
sich rächen will. An diesem nachdenklichsten Punkte geht das Werk vorbei.
Der Direktor (im Stück) bekennt sein Unrecht.
Was für Herrn Rosenberg und die andern Römer bleibt, ist die Erinnerung,
vor einem Jansen ins Mauseloch geschlüpft zu sein. Und die Aussicht: daß eines
Tags etwan ein Dichter kommt, ihre Schwäche zu verewigen, dem kompakt
Majorisierten aber in einem, wennschon durchfallenden Stück die Palme zu reichen.
Etsch! Ecoutez le poête! Ecoutez le réveur sacré!
IV.
Aus dem Vorstehenden ergiebt sich, daß ich nicht maßgebend sein kann für
die Beurteilung dieser Arbeit: als ein Kritiker, dem schon ähnliches widerfuhr.
Dem Dichter fehlte die Distanz zum Stoff; dem Kritiker fehlt sie zum Stück.
Immerhin rafft er sich zusammen; sagt nach bestem Wissen, es sei das leerste und
mißlungenste von allen Werken dieses Schriftstellers. (Besonders der Held ist
windig.)
Doch scheut er sich nicht Folgendes hinzuzufügen. Im Vater des Helden
liegt sehr Schönes, wohl nicht nur für Beteiligte. Dieser hohe Sechsziger, ganz
liebendes Familienhaupt, zermürbter Redakteur, der einst in Chemnitz einen Patrotlos
spielen ließ, durch Jahre das Joch trug, — schließlich aber, meine Teuren, für die
Freiheit erwacht und gegen die Banausen kämpft: herrlich ist er. Ja, es rührt
an die Seele, wenn der Greis vom Tisch aufsteht, in Gedrücktheit, und aus dem
Innersten sagt:
„Man muß protestieren.“
Wär' ich maßgebend, ich bekämpfte einige Rezensionen. Fritz Goldner hat
ein Drama verfaßt. Man schrieb: vielleicht war es schlecht. Und: er streite nicht
für ein allgemeines Gut, sondern für sich. Für sich? O Sodom, Babylon und
Gehenna! Tell mordete bekanntlich Geßlern, weil einem fremden Kind der Apfel
auf den Kopf gelegt war. Kohlhaas empörte sich bekanntlich, weil fremde Gäule
verschwunden waren. Julius Harts leuchtende Sachlichkeit rührt mich zu Thränen.
Keusch sein; diskret selber darauf hinweisen; in Zurückhaltung bloß, aber auch
bloß für die Andren schaffen, ihre Werke mit Idealismus beschauen, der Leib
förmlich besät mit Bethlehemorroiden, das sittliche Bewußtsein auf der linken Hand¬
fläche: verehrungswürdig ist ein solches Schauspiel. Mein Taschentuch!
Vergeßt nicht, daß die sogenannte Sittlichkeit auch zum Nutzen des Ein¬
zelnen da ist; daß sie ja aus dem Bedürfnis vieler Einzelner entsprang; daß nichts
daran liegt, wie groß der Gegenstand eines strittigen Rechts ist; daß alles daran
liegt, wie groß er für den Kämpfer ist; daß es gleichgiltig im bestimmten Fall ist,
ob das Stück faul oder gut war; daß es gleichgiltig ist, ob die Kohlhaasischen
Pferde billig oder teuer waren; kurz: daß eine Rechtsfrage zur Erörterung
steht, nicht sowohl eine Kunstfrage.
Wär' ich maßgebend, ich schriebe noch Einiges. Hart schilt den Kritiker
in der Komödie gehässig. Er ist es nicht. Er mag es ruhig sein. Bloß wünsch'
ich ihm: er sei nicht versteckt gehässig; er sei nicht sittlich gehässig; er sei nicht
nazarenisch gehässig; er sei vielmehr ganz frech gehässig. Er gebe als Kritiker (was
uns recht himmlisch dünkt): die Kritik des Hasses und der Liebe, temperiert durch
historische Gerechtigkeit. Davidsbündlerkritik, die gleich dem biblischen König zwei
Werkzeuge liebt: die Schleuder und die Harfe. Er krieche nicht in den Autor
hinein: sondern stelle der Persönlichkeit des Autors die eigne gegenüber. Er mühe
sich in allen Unternehmungen, das beste Deutsch in Deutschland zu schreiben. Und
er mühe sich, über ein Kunstwerk nur durch ein Kunstwerk zu richten.
Gehässig mag er sein.
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