II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 406

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14. Der Schleier der Beatrice
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Der Schleier der Beatrice.
irrt der Fürst durch Palast und Park. Hätte er doch die Stunde, seit er Bea¬
trice Ehgemahl nennen durfte, genützt, um ihres Wesens Schrein zu entrie¬
geln! Dann wüßte er jetzt, wo sein Wunsch sie zu suchen hätte, ahnte wenig¬
stens ihres Wollens Ziel. Aber er röstete sich an der Gewißheit, die gute
Beute für eine Nacht sicher zu haben, fragte ihrer Art, ihrem Trachten nicht
nach, — und steht nun und kann nicht entscheiden, ob eines Kindes Laune
ihn narrt, oblistige Tücke den Unachtsamen um hohen Kaufpreis prellt.. Doch
die Ersehnte kehr ihm zurück. Bleich tritt sie aus dem Säulengang in den
Saal; im Brautkleid; ohne den Schleier, das reichste Geschenk seiner Zärt¬
lichkeit. Woher kommst Du? Aus der Kirche. Und wo blieb der Schleier?
Im Gebet entglitt er mir wohl. Was die blasse Lippe bebend spricht, ist
leicht als Lüge entlarvt. Nicht wie ein roher Tyrann will Bentivoglio schal¬
ten; mitschuldig fühlt er sich an der Wirrniß solchen Erlebens und will,
was auch geschehen sein mag, verzeihen, wenn die Frau den Schleier zurück¬
schafft. Sie sträubt sich. Nie die Stätte wiedersehen, wo sie den Schleier
ließ; in einsames Elend lieber. Erst das Grausen vor schmählichem Folter¬
tod bricht den starren Sinn. Gut also; da es denn sein muß, wird sie den
Schleier holen. Doch nicht allein kann sie den Schreckensweg betreten. Der
Mann muß mit ihr gehen, ihre Hand fest in seiner halten und schwören, daß
keine Frage die zitternde Gefährtin quälen, zu klärender Rede zwingen soll.
So schreiten sie; Hand in Hand, mit schneller stets pochendem Herzen.
Schreiten durch nächtige Gassen, an den Nachzüglern des Festgewühles vor¬
über, die sinnlos lachen, in Trunkenheit lallen und das stille Paar nicht er¬
kennen, durch dunkle Alleen in den dämmernden Morgen. Die Herzogin
weiß den Weg. Viermal ging ihn Beatrice; viermal nur. Am ersten Abend
war hier, als das Gartenthor hinter ihr ins Schloß fiel, ihr Fächer zerbrochen
und sie hatte so bitterlich geweint. Um den Fächer? Im Zorn wirfts ihr der
Freundvor: So bist Du zimmer Thränen, — gestern um ein hübsches Nichts,
heute um eines Mannes verwirktes Leben. Leidenschaft ist leicht ungerecht.
Vor der Stadt, beim lauten Volksfest, hatte er sie gefunden. Ein schöner
Jüngling, vornehm und zart, anders, so ganz anders als Alles, was ihr
Auge im Kleinbürgerstande je sah. Am selben Abend noch war sie ihm gefolgt;
nicht als ein bethörtes Kind, nein: in freiem Entschluß, Diesem nicht, was
so Viele begehrten, zu weigern. Und sie sollte nicht weinen, da das Thor zu¬
schlug, die Mauer sie von aller Sippschaft trennte und ein Zittern bewußt
werden ließ, was sie dem Entzückten aufs Lager trug? Zweimal lag sie selig
in seinem Arm. Am dritten Tage... In einem Jahr lernt die Klügste den
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