II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 480

14: Der Schleier der Beatrice
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Bühne und Welt.
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Schnitzler hat in dieser Beatrice, ähnlich wie in modernem Milien Wedekind im „Erd¬
geist“, ein Verkörperung der dämonischen Weibsnatur schaffen wollen. Das Mädchen aus Bologna
ist freilich keine bewußte Sünderin, die mit teuflischem Behagen Männer in ihre Retze lockt,
sondern unbewußter, instinktiver Wille zum Leben und Lieben treibt sie und stürzt sie und die
Männer, die in ihre Kreise geraten, in finstere Schicksale. Den Herzog, den Mann der That, und
den von des Gedankens Blässe angekränkelten Dichter hat Schnitzler scharf kontrastieren wollen.
Die Besetzung der Rolle des Loschi mit Rudolf Rittner, der als Charakteristiker in Scenen
voll ätzender Bitterkeit und dumpfer Melancholie ebenso ergreift, wie er in der Verkörperung
blühenden Heldentums und heiterer Lebensfreudigkeit unglaubhaft und deplaziert erscheint, hat
freilich nicht wenig dazu beigetragen, Schnitzlers Intentionen nicht zum Ausdruck kommen zu
lassen. Meist recht glücklich und sinnfällig brachte dagegen Irene Triesch die naive Sünd¬
haftigkeit, die tändelnde Lebenslust, das leichtsinnige Spiel mit Menschenschicksalen, die holde Ver¬
träumtheit der 16 jährigen heraus. Friedrich Kapßlers Herzog wirkte, namentlich im Schlu߬
akt, kraftvoll im Sinne des Dichters.
Schnitzlers Bestreben, uns in Situation und Stimmung anschaulich einzuführen, uns einen
Hauch des Renaissancegeistes verspüren zu lassen, ist unverkennbar. Aber seine poetische Kraft
hat es nicht vermocht, uns in dieser Hinsicht in ihren Bann zu zwingen. Wir hören allerlei,
ohne indes überzengt zu werden. Bologna soll in eiserner Umklammerung eines blutdürstigen,
unerbittlichen Feindes liegen, die ganze Stadtgemeinde ihrem letzten Tage entgegenschauen. Aber
der Zuschauer fühlt diese Sitnation nicht im mindesten mit. Da hat es Maeterliuck weit besser
verstanden, uns die ähnliche Situation Pisas suggestiv zu vermitteln. Wenn Prinzivalli den
Zeltvorhang zurückschlägt und der gewaltige Wagenzug auf seinen Wink sich in Bewegung setzt,
wenn wir später dann die Stadt im Feierglanze erstrahlen sehen, so kommt uns die Notwendigkeit
und der Zweck von Dannas Opfer eindringlich zum Bewußtsein. Shakespeare hätte sicherlich
keinen Moment gezögert, eine Scene in dem Lager Borgias spielen zu lassen und uns dadurch
für das Schicksal, das Bologna droht, näher zu interessieren. Wenn Schnitzler sein Gemälde
nach dieser Richtung hin nicht erweitert und abrundet, so ist wohl nicht nur die Furcht vor dem
Zwischenvorhang und Scenenwechsel schuld, sondern auch der Umstand, daß es ihm eigentlich nur
um das Charakterproblem der Beatrice zu thun war. Er mag anfänglich auch an eine gewisse
spmbolische Bedeutung des Schleiers gedacht haben, aber im Laufe der Handlung ist derselbe,
jedenfalls nicht zum Schaden des Stückes, zu einem bloßen Requisit geworden, allerdings zu einem
ebenso wichtigen, wie es das Schnupftuch Desdemonas ist.
Obgleich ich im allgemeinen der Ansicht bin, daß spätere Umarbeitungen von Stücken, die
ihrem Verfasser bereits als fertig und abgeschlossen gegolten haben, wenig fruchten, habe ich
doch bei diesem Stücke die Ueberzeugung, daß Schnitzler an das bunte Renaissancegewebe dieses
Schleiers noch einmal die ordnende und bessernde Hand legen sollte, um daraus ein Stück zu
schaffen, das nicht nur im Wollen, sondern auch im Können den Meister lobt.
Den seltenen Fall, daß wir über ein Stück vom dramaturgisch=kritischen Standpunkt den Stab
brechen oder wenigstens sehr viele Fragezeichen dahinter setzen und doch bekennen müssen, das
Stück hat uns in menschlicher Hinsicht eine herzliche Freude bereitet und ist es wert, angeschaut
und gelesen zu werden, haben wir mit Hermann Katsch' historischer Komödie in vier Auf¬
zügen „Die Siegesfeier“ erlebt, deren Uraufführung am 13. März im Königl. Schauspiel¬
hause stattfand. Während Katsch in seinem Erstlingswerk, der von Frau Sorma kreierten „Kol¬
legin“, einen sensationellen „Fall“ mit einer bei einem Anfänger verblüffenden Bühnenroutine,
aber brüchigen Pfrchologie und Effekthascherei ausgestaltete, hat er in seinem zweiten Stück aus
dem eignen Innern, dem eignen Erleben geschöpft und frisch und dreist die Tragikomödie des
Dichtermalers im altrömischen Milien mit viel Behagen und meist ungekünsteltem Humor nieder¬
geschrieben, Trivialität und bittern Lebensernst, hausbackenen Sinn und tiefere Weisheit dicht
nebeneinander gestellt. Die beterogenen Elemente zu einheitlich wirkendem Kunstwerk zusammen¬
zuzwingen, hat seine dichterische Kraft freilich noch nicht ausgereicht, aber der menschliche Gehalt
des Werkes, das den Stempel persönlichen Erlebens trägt, mutet uns sympathisch an und erhebt
diese römische Komödie weit über die Kostümlustspiele, die sich neuerdings auf unseren Bühnen
breit machen.
Marcus Pacuvius, der Beld der „Siegesfeier“, ein Zeitgenosse des jüngeren Scipio, von
dem uns einige Tragödien=Fragmente überliefert sind, war Maler wie Hermann Katsch und wollte
wie Hermann Katsch auch Hoet sein. Aber der per des Dichters war ihm, anfangs wenigstens,