II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 481

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14. Der Schleier der Beatrice
Bühne und Welt.
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ein bitteres Blatt. Zum großen Verdruß seiner praktischen Hausfrau vernachlässigte er die mehr
Prot als Ehre bringende edle Malkunst und schrieb und feilte nicht nur an den Dersen seines
Trauerspiels „Iliona“, sondern vergendete auch manche schöne Stunde mit allerhand Versuchen,
eine praktische Dersenkung zu erfinden, um die Geister der Abgeschiedenen nicht auf der „acheron¬
tischen Stiege“, der Kellerleiter, in der üblichen Weise aufsteigen, sondern plötzlich aus dem
Boden wachsen zu lassen. Der neue Apparat des Pacuvius, dessen Vorhandensein auf der
römischen Bühne sich nach Körtings „Geschichte des römischen Theaters“ (180?) freilich nicht
nachweisen läßt, funktioniert, wie Katsch mit dichterischer Lizenz annimmt, ganz vortrefflich, und
Pacuvius hat auch das Glück, den großen Scipio für seine Tragédie, die bei der Siegesfeier auf¬
geführt werden soll, zu interessieren. Ehre winkt ihm und, was dem Meister im Augenblick
noch nätiger ist, auch blankes Gold, um drohende Gläubiger zu beschwichtigen. Aber bei der
Generalprobe bereits stellt sich das Unheil ein. Der Schauspieler, der Priams hehre Cochter ver¬
körpern soll, hat sich zur Feier des Tages einen gehörigen Rausch angetrunken und antwortet
auf sein Stichwort mit Schnarchen. Seipio und die ihn begleitende jennesse dorée verlassen
den Zuschauerraum unter Hohngelächter, Pacuvins wird von den Gerichtsdiener in die Schuld¬
knechtschaft abgeführt und muß für den hartherzigen Gläubiger Bretter streichen. Aber jetzt,
wo er seine Sach' auf nichts gestellt hat, siegt seine kernhafte Natur und sein philosophischer
Humor. Wie Lessings Al Hafi erkennt er, daß der Bettler der wahre König ist, und bringt
durch seinen Gleichmut seinen Gläubiger, der ihn gern leidend und gedrückt sehen möchte, in
wahrhafte Verzweiflung. Inzwischen hat der große Seipio nach dem Manne, den er nach der
einmaligen kurzen Unterredung mit den ehrenden Worten verabschiedet hat: „Ich habe einen
Menschen mehr in Rom gefunden“, suchen lasse de er seine Absicht, die „Iliona“ zur Sieges¬
feier aufzuführen, wegen des unverschuldeten Mi„,geschicks des Dichters durchaus nicht aufgegeben
hat. Er findet den zufriedenen Sklaven auf seinem Bretterhofe, befreit ihn, und Pacuvins ist
inkonsequent und wagehalsig genug, nicht nur sein Glück als freier Mann, sondern auch die
lannische Fortuna auf den Brettern des römischen Theaters von neuem zu erproben.
Katsch' Bestreben, den bunten Gegensatz der Stimmungen und Situationen uns auszumalen
und alles, was er über freies Künstlertum und Broterwerb, Hoffen und Bangen des angehenden
Dramatikers, über die Möglichkeit, in zwei Rünsten etwas zu leisten auf dem Herzen hat, uns
zu satzen, hat manche undramatische Länge des Dialogs, manche zu breite Familien= und Atelier¬
seene verschuldet, die unsere Geduld auf die Probe stellt. Ein sehr lebendiges Spiel der Haupt¬
personen und stimmungsvolle Ausstattung' kamen anderseits dem Eindruck zu statten.
Dem Mareus Dacuvius lieh Arthur Kraußneck sehr sympathische Züge. Den majestäti¬
schen, jovialen Besieger Karthagos verkörperte Georg Molenar durchaus glaubhaft. Ruscha
Butze war die vom Dichter gewollte bedächtige, praktische Hausfrau im altrömischen Gewande.
Eine prachtvolle Charakterfigur schuf wieder Arthur Vollmer aus dem hartherzigen, geprellten
Gläubiger. Hermann Böttcher hatte in der Rolle des trunkfälligen Mimen Fufius seinen
Spezialerfolg. Die Majorität des Publikums ging, die Absichten des Dichters erkennend, willig
auf die ungewohnte Mischung von Tragödie und Posse, Parodie und Römerstück mit freundlichem
Beifall ein.
A S