II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 489

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14. Der Schleien der- Beatrice
vorbehalten, wenn der Begriff Staat nicht zur Posse
Saal überfüllt und außer der Kaiserin war die ganze
werden soll. Wenn also ein Stück sich bei der Auf¬
Hofgesellschaft von der Gräfin Bülow abwärts anwesend.
führung als wirklich gefahrvoll erwiese, so würde es
Herzoge und Herzoginnen, Fürsten und Fürstinnen wett¬
nach der Aufführurg verboten werden müssen; und
eifern in der Bewunderung für den Russen; und das
daraus erwüchse dann den Direktoren ein Schaden, der
Souper, das dem Künstler nach dem Konzert im Reichs¬
wohl gar sein ganzes Unternehmen in Frage stellen
kanzlerpalais gegeben wurde, wird natürlich nicht das
könnte. Hat dagegen die Zensur gesprochen, so ist der
einzige sein, das er hier zu überstehen haben wird.
Theaterdirektor in seinen Entschließungen unbehindert; er
Man erblickt in Sapellnikoff einen neuen Anton Rubin¬
kann ruhig an die Einrichtung und Ausführung des
stein und macht ihn deshalb frühzeitig zum Schoßkind
Stückes gehen und die letzte Entscheidung dem Publikum
der internationalen Gesellschaft.
und der Kritik überlassen. Würde die vorbeugende
Weniger gut als dem russischen Musiker und
Theaterzensur abgeschafft, so wären die Theaterdirektoren
Komponisten ist es dem französischen Komponisten Char¬
die geängstigtsten Leute von der Welt; und sie würden
pentier und seiner „Luise“ im Opernhause gegangen.
noch feiger und verschlossener werden als sie es, wenig¬
Von der letzten Pariser Weltausstellung her war diesem
stens den Stückeschreibern gegenüber, jetzt schon sind.
„Musikroman“ eine Reklame gemacht worden, welche die
Mehr Aussicht auf Erfolg als die Herren des Goethe¬
Erwartung der Opernfreunde recht hoch gespannt hatte.
Bundes dürften wohl die Artisten mit ihren Beschwerden
Leider wurde diese Erwartung in mehr als einer Be¬
haben; denn ihnen mutet die Polizei wirklich etwas viel
ziehung enttäuscht; und auch Charpentier wird enttäuscht
zu. Wenn das neue Kinderschutzgesetz streng gehandhabt
worden sein: denn der Kaiser, der sich sonst allen aus¬
würde, so müßten Hunderte von Artistensamilien sehen
ländischen Künstlern gegenüber (zumal wenn sie aus
wo sie blieben; denn ihre Kinder sind gewöhnlich die
Frankreich kommen) kaum genugtun kann an Aufmerk¬
Hauptstützen ihrer „Nummern“. Dazu kommt, daß die
samkeiten, fehlte im Hause. Wie es heißt, soll die un¬
„Kunst“ des Artisten schon früh, sehr früh geübt werden
sittliche Handlung des „Romans“ dem Kaiser ein Greuel
muß; der Begriff der „Kinderarbeit“ darf bei ihnen
und die Unterdrückung des Werkes in Aussicht gewesen
deshalb keine Anwendung finden. Während die Artisten¬
sein. Schließlich hatte man den geschlossenen Kontrakt
kinder „arbeiten“ machen sie sich geschickt für ihr ganzes
halten und die Oper zur Aufführung bringen müssen.
Leben; und es hieße, den Artistenberuf (z. B. den der
Aber man hätte vielleicht wirklich besser getan, wenn
Gymnastiker) unmöglich machen, wenn man die „Kinder¬
man die schwache, für uns Deutsche ganz überflüssige
arbeit“ auf Bühne und Brettl verböte.
Arbeit den Parisern überlassen hätte. Wäre nicht unter
Inzwischen bereitet man hier alles vor für eine
Dr. Mucks Leitung das Orchester von Sieg zu Sieg
glänzende Begehung des 15. Bismarck=Kommerses
geschritten, so hätte man den ganzen Abend für einen ver¬
am 4. April, dem am 1. April die Grundsteinlegung der
lorenen halten müssen.
großen Bismarck=Warte auf dem Müggelberge vor¬
Etwas besser fuhr das Publikum im „Deutschn
ausgehen soll. Noch fehlen freilich etwa 30000 Mark an der
Theater“ mit Arthur Schnitzlers Trauerspiel „Der
Summe, die zur Errichtung der Warte nötig ist; aber
Schleier der Beatrice". Obwohl dieser Schleier bei
die Kleinigkeit wird sich hoffentlich schnell zusammen¬
Schnitzler eine ähnliche Rolle spielt, wie Desdemonas
finden. Wenn der neueste russische Modepianist Sapell¬
Taschentuch bei Bacon,*) so ist das Ganze doch nicht ganz
nikoff zu Gunsten der Bismarck=Warte ein Konzert
so grausig, wie das Trauerspiel auf Cypern; und wenn
geben wollte, so würde die Summe wahrscheinlich sehr
das Glück günstig ist, so kann Beatrice ihren Schleier
bald beisammen sein; denn diesen Künstler umbuhlt zur
recht oft vor den Augen des Berliner Publikums ver¬
Zeit unsere hohe Gesellschaft ebenso sehr, wie ihn die lieren.
musikalische Gesellschaft Berlins bewundert. Als er neu¬
lich in der Singakademie ein Konzert gab, war der
*) Andere würden Shakespeare sagen. D. Red.
dee g e g e g 6 90
Hof und Gesellschaft.
Am 9. März vor fünfzehn Jahren starb Kaiser Wilhelm I.
Der Tod hat wieder große Heerschau gehalten in dieser Woche. Am
Und am 10. war der Geburtstag der Königin Luise. Tout
4. März starb in Prag Prinz Eugen von Thurn und Taxis,
Berlin hat dieser beiden Tage gedacht, trotz des Fastnachtskaters,
nur 25 Jahre alt, am Typhus. Er war der zweite Sohn des
und sie in würdiger Weise gefeiert.
Prinzen Alexander und der Prinzessin Marie, geb. Hohenlohe¬
Der Kaiser ist zurück aus Helgoland. Am 7. nahm er mit
Waldenburg=Schillingsfürst. Die beiden Brüder des Verstorbenen,
seinem Bruder die Huldigungsfahrt der Automobilisten ent¬
Erich und Alexander, stehen im K. K. Husarenregiment Nr. 9 in
gegen, die im Schmuck elektrischer Lampen die Hauptstraßen der
Odenburg.
Stadt durchfuhren, und zwar ausnahmsweise langsam und überall
Und dann die Liste:
(vielleicht der Langsamkeit halber) Beifall und Bewunderung er¬
Am 9. März im 80. Jahre der Geheime Ober=Justizrat a. D.
weckten.
Starck.
Die Kaiserlichen Prinzen waren in Agypten. Sie haben den
Am 7. der Oberst a. D. Robert v. Poseck, Ritter des
Chedive besucht, sich Kairo angesehen und fahren nun in das
Eisernen Kreuzes I. Klasse, in Halle a. S.
heilige Land.
Am 7. in Mentone der Generalleutnant z. D. Hans Florian
Der Prinzregent Luitpold von Bayern vollendete am
von Nostitz=Drzewiecki.
12. d. M. sein 82. Lebensjahr. Der Tag wurde in München be¬
Am 10. Generalmajor z. D. Moritz, früher Kommandeur
geistert gefeiert.
der 36. Kavalleriebrigade in Langfuhr, 66 Jahre alt.