II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 511

14.
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DeTte
essen nicht gefährdet werven.
Weiter meldet uns unser Korrespondent:
Id- London, 4. September. (Privattelegramm.) Die
(Kampagne zugunsten der Flottenvergrößerung, die von offi¬
ziöser Seite mit einem Artikel in der Morning Post
Telephon 12.801.
eingeleitet wurde, findet wieder einen neuen Anwalt in
rasthenisch gewandelt. Heute erkennt man, daß es unter
allen Umständen ein Verhängnis ist, wenn sich das an¬
JOSENTEN
geborene Weltbild des absoluten Instinktmenschen nicht
mit den festen Umrissen der realen Gegenwart zu decken
beh. konz. Unternehmen für Zeitungs¬
weiß.
Ein Mensch, der seine eingebildete Welt der ob¬
Ausschnitte und Bibliographie.
jektiven Welt entgegenhält und aus Lebenssehnsucht am
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Leben zugrundegeht, kommt der unverrückbaren Logik
unserer Tage als verrücktes Gebilde vor. Dabei vergißt
Vertretungen
man, daß sich gerade die Erkenntnisse der modernen
Berlin, Brüssel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Wissenschaft in manchen Individuen zu neuen Instinkt¬
Jenf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minncapolls,
kräften umgeformt haben. Der komplizierte Intellekt
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
unserer Zeit hat auch der Phantasie unserer Zeit in
burg, Toronto.
manchen Individuen ein kompliziertes Gepräge gegeben.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Neben der Bildung hat sich die Einbildung unsäglich ver¬
feinert. Die Tragik des Phantasiemenschen, der sich
Ausschnitt aus:
dem Wirklichkeitsmenschen entgegenstellt, besteht dem¬
mburger Zeitung
gemäß noch immer zu Recht und ist unter den Einwir¬
von. — Mae
kungen der neueren Kultur umso starker und schärfer ge¬
diehen. Die Figur des praktischen Phantasten, der das
Seiw in sich aufsangen will, aber an die Außenwelt nur
selbstgeschaffene Maßstäbe anlegt und darum den Gegen¬
kräften des falschbehandelten Lebens erliegen muß, ist
Deutsches Schauspielhaus.
also ein unveraltetes Phänomen. Ein Phänomen, das
sich unsäglich differenziert hat.
Ein Phänomen, das
Der Schleier der Beatrice von ArtburSchler.
etwa von Parsifal zu Anatol führt und in Filippo Loschi
Menschen, die auf den Wirklichkeitswert ihrer Empfin¬
eine noch steiler gebahnte Stufe erklimmt.
dungen, Stimmungen, Launen und Träume eingeschworen
Als Schnitzler diesen autobiographischen Grundpfeiler
sind, können in den Realitäten des Lebens nur unwirk¬
des Beatricedramas in den Jahren 1899 und 1900 schuf,
liche Phantome erblicken. Der positive Gehalt des Seins
stand er zwischen den Problemen der „Kakadu“=Tragödie
beginnt ihnen erst dort, wo die vermeintlich negative
und den wesensverwandten Gedankengängen der „Leben¬
Natur der sichtbaren, greifbaren, meßbaren, wägbaren
digen Stunden“, Schein und Sein, Irvealität und Wirk¬
Erscheinungen aufhört. Die grauen Weiden zu beiden
lichkeit in ihren erstaunlichen und erschütternden Beziehun¬
Seiten der Landstraße tanzen ihnen mit sübernen Schleiern
gen beschäftigten seinen kombinierenden und interpre¬
als Erlkönigstöchter entgegen. Geheimnisse, Wunder,
tierenden Sinn. Es ergab sich, daß er geneigt war, die
Symbole, Rätsel, Versuchungen, Offenbarungen und son¬
tragenden Fundamente des gegenständlichen Lebens, in
stige Gefahren, die von der Normallinie einer nüchternen
die übersinnlichen Bereiche der intuitiven Menschennatur
Existenz a lenken, lauern auf allen ihren Wegen.
Ein
zu verlegen. In der mystischen Region des halbwachen
unheilbares Fieber ist ihr natürlichstes Element.
Die
oder schlafwandlerischen Wesens, des triebhaften Ge¬
Geister der unbegrenzten Begierde, der Sehnsucht,
der
schehens und Werdens suchte er
nach den Ursprüngen
Nichterfüllung, der Enttäuschung, der Verzweiflung, sind
unserer Erkenntnisse und Entschl
die befruchtenden Gewalten ihrer Reise. Aber im Augen¬
se, unserer Gedanken,
Taten, Siege und Niederlagen. nd es geschah, daß er
blick, da sie „sicher und warm“ das Ziel ihrer Wünsche zu
zwischen den Sphären des Wahns und der Wahr zit nicht
erreichen scheinen, sterben sie an sich selbst, wie das Kind
mehr oder nur leichthin unterscheiden wollte, weil ihm
der Ballade, das durch Nacht und Wind dem häuslichen
gerade in den Grenzflächen beider Gebiete der er,e und
Frieden entgegenreitet.
letzte Keim des menschlichen Glücks und der seelschen
Es gab eine Zeit, die in diesen problematischen Men¬
Katastrophen zu wurzeln schien. Aus der weltmannischen
schen den märchenhaften Typus der Sonntagskinder er¬
Bewußtheit Anatols fand er in die phantastisch=grüblerische
kennen wollte. Eine Zeit, die ihnen den Segen des
Unbewußtheit Filippos hinein. Beide Gestalten sind
inneren und äußeren Wohllauts, der heimlichen und offen¬
Entwicklungsstadien seiner eigenen Natur. Und in beiden
kundigen Harmonie anzudichten liebte. Heute will man
Figuren nimmt das Problem der Lebenskunst ein beson¬
die „süße Harmonia“, des Simplizius Simplizissimus
deres Gesicht an.
selbst den Sonntagskindern nicht mehr zugestehen. Heute
Ein Renaissancerahmen umgrenzt dieses zweite Selbst¬
hat sich die menschliche Spielart der Sonntagskinder neu¬ I porträt.