II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 541

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14. Der Schleier der Bestrice
Gettagen. Gelose woehn s1 9
gewissen achtbaren Sehnsucht nach geistiger Schulung. Sie werden sollen. Wir
so bleibt sie noch zu fördern übrig, und Millionen Männer
sollte sich um anderes bemühen. Knaben und Mädchen lehen an das Ausla
auf dieser schönen Welt müssen unter der Erde arbeiten. Man
auf indirekte Weise
erzählt uns mit lautem Geschrei daß von unserer Kohlen¬
müßten gelehrt werden, zuerst an andere zu denken, und in
Fabrikate erfolgt und
materieller Hinsicht wäre ihnen die Weisheit beizubringen,
produktion unsere Exportfähigkeit abhängt und von dieser
ein Ueberschuß an
daß die Ebnung des Weges für alle auch zum Pfade des
die Kraft, unsere eingeführten Nahrungsmittel zu bezahlen.
eigenen Glückes und Wohlseins führt. Es ist eine Frage gewissermaßen „uns
Nur beschwichtigend lispelt man, wir sollten dafür unsere
des Gemütszustandes, wie wir im Lernen unter= dieser einfache Gede
Nahrung selbst anbauen — was vollkommen möglich wäre,
Illusion. Vor de
richtet werden. Der Gemütszustand wäre von der Schulzeit
wenn wir unser Sinnen dieser Aufgabe zuwendeten — und
200 Millione
an so zu sormen, daß unser von Natur aus wetteifernder
so die würgende Kohlennot beheben. Aber warum diese
Interessen, und
fatalistische Verneigung vor der Kohle? Bloß weil wir uns Egoismus gedämpft, nicht aufgestachelt wird. Niemand kann
zleich, der alljährl
das tun, als die für das Ideal des Dienens am Gemeinwohl
noch im Geleis einer Entdeckung bewegen, die noch nicht
purde. Wir waren in
ganz ausgewertet, doch schon tief auf die menschliche Durch= begeisterten Lehrer. Die erste Notwendigkeit der Zivilisation
in der Höhe dieses
schnittsnatur einwirkt. Wir wissen, wir haben noch ist darum das Auffinden und Ausrüsten solcher Lehrer. Der

Straßenbekanntschaft
Theaterstücken Artur Schnitzlers das schnitzlerischeste; und
zogen, kein Werk außer der Reihe, das, wie man damals
Becher ihrer Träum
es ist dies, weil es das dichterischeste ist.
annahm, „kein wahrer Schnitzler“ ist, es ist im Gegenteil
Bedungung: daß der
gewissermaßen ein Extrakt aus allen seinen Werken, und
Drei Personen stehen im Mittelgrunde der kühn= und
Herzog tut es, er w
insofern noch etwas wahrer als wahr, nämlich eine wahre
hochgesteigerten Handlung, die im effektvollen Renaissance¬
Cesare
lben —
Dichtung. Das Grundverhältnis Schnitzlerischer Liebes¬
kostüm im belagerten Bologna vor sich geht: Der Dichter
fürchterlicher Gegner
problematik, das Verhältnis des geistig und gesellschaftlich
Philippo Loschi, der Herzog, und zwischen beiden,
an — und also feie
überlegenen Mannes zu dem grad und einfach empfindenden
entzweiend und im letzten doch verbindend, die liebliche
sie von ihrem fürstlic
schlichten Mädchen aus dem Volke, bestimmt auch den
Beatrice, des Wappenschneiders Nardi allzu schöne Tochter.
herrlichen Schleier,
Grundriß dieses Jambenstückes — dieses Verhältnis, von
Philippo Loschi liebt sie seit drei Tagen und so heftig, daß
Schnee, das ihre S
dem die Beziehung Anatols zu dem sattsam berufenen süßen
er ihretwegen sein Verlöbnis mit der Gröfin Teresina löst;
rätselvolle Beatrice
Mädel eigentlich nur eine spielerische Parodie ist, und das,
aber da sich Beatrice zum Liebesstelldichein in sein Haus
über das Gesicht und
wenn man es ernst nimmt, immer auch etwas von dem
stiehlt, gesteht sie ihm, ahnungslos aus der Schule ihres
Verhältnis Grillparzers zu Kathi Fröhlich hat und auch von
Herzens plandernd, daß sie eben erst von Küssen des Herzogs zu ihrem Dichter zum
demjenigen Egmonts zu Klärchen. Nebenbei bemerkt: es
geträumt hat — geträumt, nichts weiter. Dennoch weist zusehen verschwor,
ist bezeichnend für dieses Verhältnis, daß es zur Hälfte aus
ihr der hypochondrische, auch hypochondrisch eifersüchtige Loschi, der Echtfär
der Literatur kommt, und auch dort, wo es dem unmittel¬
nauend, stellt sie a
Liebhaber — daß er ein Hypochonder der Eifersucht ist,
baren Leben zu entspringen scheint, sich schon an der Quelle
gewesen, lügt er ihr
beglaubigt ihn als schnitzlerischen Liebeshelden — sogleich
mit der Presie vermischt; denn das Verhältnis Egmonts
ihre erste, angstvolle
die Tür; denn, sagt er: „Träume sind Begierden ohne
zu seinem tapferen Klärchen ist ja eigentlich auch nichts
Novelle „Sterben“;
Mut!“ — ein edler Vers —, und er nennt sie, minder
anderes als die ins Geschichtliche verkleidete=Liebesbeziehung
eine der schönsten
edel, und mehr im Geiste des französischen Theaters: „Du
Goethes zu irgendeinem namenlosen Frauenwesen aus dem
schweigen!“ verläßt
Dirne deines Traums!“ Die also Angerufene kehrt traum¬
Volke, zu dem er in seinen Träumen flüchtete. Im Schleier
Leichnam des Gelie
verloren in ihr Elternhaus zurück; ja sie scheint sogar
der Beatrice“ aber sehen wir dieses Verhältnis von Schnitzler
Scherz Ernst gemach
gewillt, mit ihrem ursprünglichen Verlobten, dem braven
zum erstenmal an seinen Wurzeln ergrifsen und nach seiner
zweitenmal pendelt
Vittorino, zum Altar zu gehen. Da begegnet ihr auf dem
geistigen wie nach seiner weltlichen Seite hin gleichzeitig ent¬
doch hat sie, verst
Wege zur Kirche der Herzog in Person; und der Traum
wickelt. Diese Bipolarität, die schon auf den „Reigen“ hin¬
Schleier, den schönen
wird Wahrheit Der Herzog entbrennt in Liebe zu der
deutet, macht das neue Werk komplexer, künstlerischer als
gelassen. Der Herzo
sträflich schönen Beatrice; er spricht sie an, er hält um ihre
die vorangegangenen, weist ihm aber keineswegs einen Platz
außerhalb des Gesamtwerkes Artur Schnitzlers an. Ganz! Hand an, figürlich zunächst nur und weniger wie ein ihr bei Todesstrafe,
im Gegenteil: „Der Schleier der Beatrice“ ist unter allen Herzog als etwa wie ein österreichischer Erzherzog, der eine Schleier vergessen #
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