II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 592

zeichnet eben die künstlerische Verwahrlösung unseres in des
Wortes eigentlichem Sinne sgoldenene Zeitalters. Die Zeitge¬
hössen mögen immerhin die erfolgreichsten sein — aber weiche
Zeitgenossent Ist in den Ernst, Sudermann, Philippi und
Hartleben auch nur eine Ahming von dem ungeheuetlichen
Leben unserer furchtbaren Zeit, haben sie je ihire Gedanken be¬
lauscht und die verschiedenen Differenzierungen der Menschen¬
der ohrenzerreissenden diabol¬
seelen auch nur be
erklang auch nicht ein einzig
schen Symphonie
WVerken. Haben Sie sich, kluge Zärt.
atrnseliger Accord
linge und feine 4
#ta aus dem wirten Chaosin die
bünte Welt der Gesetichte gettüchtet, das Skelett der vergangen¬
heit mit blühendem Eleische überzogen, aus Pergamenten und
alten Historien wieder das Leben hervorgezaubert? Ach, nichts
von alledem! Sie haben Theaterstücke geschrieben, bunten,
grellen Tand, fade Lügen und seichte Oberflächenscherze!
Das Officierscorps ist anders als im -Rosenmontags, die Schule
hat andere und tiefere- Probleme als die Flachsmänner, die allst
das Gehirnchen eines Otto Ernst erfasst, die grosse Seelener¬
weiterung durch echte Künstlerschaft äussert sich anders als bei
der jämmerlichen Magda in der -Heimat-. Und eind diese Stücke
eia nur a#le #e mien Erfolger Werden sie nur gespielt, weil
unsere Zeit keine dramatischen Dichter hat? Mit nichten; was
in Schreibtischen und muffeinden Archiven an Dichterkraft, and

verhöhnter, gemordeter Dichteikraft schlummert
wer weiss es? Aber einiges wissen wir. So dass Philipp Lang
mann uns in seiner -Herzmarkes den grossgedachten Versuen
der Tragödie der Industrie geschrieben hat, ein nachdenkliches,
manchmal tiefes, an verborgenen Schönheiten reiches Werk —
und wir wissen, dass sich noch keine Bühne zum Vollstrecker
dieser Dichterthat gemacht hat. Und man komme ja nicht damit#
dass dies oder jenes in der Dichtung unklar, schrullenhaft oder
verfehlt sei — wer so Grosses will und so Vieles kann, der
muss gehört werden! Weshalb denn übrigens gerade bei Dichtern
so strenge? Ist etwa die -Gerechtigkeite so tädellos in der Form,
Es lebe das Lebens so meisterhaft durchgeführt? Und was
komte der peinlichste Verehrer glatter Mittelmässigkeit an dem
„Schleier der Beatrices von Arthur Schnitzler für Uneben¬
(heiten finden? Dies Drama, das rücksichtslos und kürstlerisch
##lern der Frau löst, dieses in leuchtenden, unvergiglichen)
FFarben gemalte Bildnis der Renaissancezeit, dieses Werk, von
dem eine Scene. mehr Wert hat als Sudermann und
s
gobei noch Otto Ernst draufgegeben werden kam, wie oite
Mirde es gespielt? Antwort: 0. So ergeht es den Dichtern, so¬
Mhl jenen, die den pochenden Athem der Zeit belauschen, wie
jeben, die in Visionen uns grosse Bilder der Menschengeschichte

vg die Augen zaubern.
Wer etwa noch bezweitein weilte, dassein der Zeitddest
#rinen Capitalismus der Bühnenerfolg etwas anderes be¬
weise, 1 Mittelmässigkeit und Allerweltsgedanken, dem sei noch
eine Ziffer vorgelegt. Friedrich Hebbe), der Vieigestaltende
und Gewaltige, hat 90 Aufführungen zu verzeicht
schöpfer der Nibelungen:, von -Maria Maglialena-,ferodes:
und Mariamnes, Gyges und sein Ring und dem -Rubine —
alles inallem 90 Aufführungen gegen 1139 Sudermann'e!l
Freilich er ist noch zahlreicher vertreten als Henrik ibsen,
als Kleist und Molière, deren Ziffern so niedrig sind, dass
sie die Bühnengehossenschaft bei Verfertigung ihrer Bilanz als
Inz unbeträchtlich gar nicht angab. Die Thatsache, dass eine
tische, nicht einmal lustige und geschickte Philisterposse von Otto
Ernst zehnmal mehr Hörer hatte als der ganze, so uner¬
Anspflich reiche Lebenswers von
was bes
weist sie?
Sie beweist, dass das Théater unserer Geldepoche sich
vollkommen von der Kunst losgesagt hat, dass das Drams
überhaupt nicht mehr ein Mittel künstlerischen Ausdruckes Seit
kann. Während in den anderen Gebieten sich wenigstens eine¬
kleine Gemeinde noch ein höheres Empfinden gewahft hiat unc
uu nkinst zur Beitgenwrrric waheemantenensht
Theater eine Anstalt, in dem die Mehrheit als unurschränkter
Herrscher gebietet und die Minderheit ohne Schutz und Ver¬
treter bleibt. Die Leistung und Wirksamkeit der Maierität-haben
wit nun gesehen. Da muss man den Mut haben, die trau
Wahrheit auszusprechen: das Theater ist der Kunst für lande
vielleicht für immer verloren und muss von ihr aufgegeben
werden. Wir haben ruhig die Sudermann und Ernsta#
Shakesueare's entwicklungsgesetzliche Erben anzuerkennen.
fnüssen das alte Land verlassen und steuern die geschändesen
Gaiter auf unserem kleinen Boote zu anderen Ufern¬

an